Beflaggter Erstserien-Beamter aus 1987?
Heute nachmittag kam ich zu Fuß an einem Autohändler in Frankfurt vorbei, der immer mal den einen oder anderen recht ordentlichen 126er im Angebot hat, da sah ich diesen hier:
Aus mehrerer Gründen ein sehr interessantes Objekt, wenn auch im schlimmsten Fall nur aus detektivischer Sicht. Der Reihe nach:
Oberflächlich fällt auf, daß es sich um ein Exemplar aus der ersten Serie handeln muß. Das erkennt man am besten an den geriffelten “Sacco-Brettern”, also der grauen Kunststoffbeplankung rundherum. Die war in der zweiten Serie glatt, später sogar nahe an der Wagenfarbe gehalten und nicht mehr grau. Ein weiteres Indiz sind die geschmiedeten 14-Zoll-”Barockfelgen”, die in der zweiten Serie von den sachlicheren “Gullydeckeln” in 15 Zoll abgelöst wurden. Das Baujahr dieses Wagens fällt demnach in die Zeit von 1979 bis einschließlich 1985. Kurioserweise fand die Erstzulassung des Wagens aber erst Mitte 1987 statt. So zumindest steht es auf einem Zettel hinter der Windschutzscheibe.
Auffallend ist auch dieses besondere blau. Es ist kein Metallic-Lack (also auf jeden Fall schonmal kein nautikblau) und eine recht warme Tönung. Hier kommen eigentlich nur zwei Farben ab Werk in Betracht: “hansablau”, das es von 1979 bis 1982 gab und auf welches “surfblau” bis 1990 folgte. Der Logik nach müßte es letzteres sein, wodurch sich das Baujahr des Wagens somit auf 1982-1985 datieren ließe. Mein Eindruck aber war, daß es sich in der Tat um das ältere “hansablau” handelt. Allerdings muß es sich ja hier nicht um einen Originallack respektive eine Originalfarbe handeln.
Auf der Heckklappe links sehen wir ein besonderes Extra, nämlich…. genau! Wir sehen NICHTS, ergo die Sonderausstattung “Wegfall Typkennzeichen”. Um nun trotzdem bestimmen zu können, was für ein “S” hier vor uns steht, schauen wir uns Auspuff und Hintertür an. Ein einzelnes Auspuffrohr ließe auf den Reihensechszylinder, also den 280er der ersten Serie schließen. Dieses Exemplar hier aber hat ein zweiflutiges Endrohr, was seinerzeit noch auf ehrliche zwei Zylinderbänke hinwies. Somit steht hier ein Achtzylinder der Größenordnung 380 oder 500, wobei in aller Regel der “Wegfall Typkennzeichen” auf die größere Motorisierungsvariante hindeutet, der man oft mit Understatement begegnen wollte.
Wir haben es also mit einem 500er zu tun und brauchen nun lediglich noch die fehlenden Buchstaben für das Lösungswort. Ist es ein kurzer SE oder ein SEL, also die Langversion mit mehr Beinfreiheit im Fond? Ganz klar ein SE, das verrät uns die Hintertür. Die ist nämlich kürzer als die Fahrertür (beim SEL wäre es umgekehrt) und die vertikale Scheibenunterteilung hat nur einen einzelnen Chromsteg. Beim SEL wären hier zwei Chromleisten zu erkennen. Die 14 Bonuszentimeter des SEL gegenüber dem SE kommen ausschließlich der hinteren Sitzreihe zugute.
Das Lösungswort lautet also: “500 SE”. Das hätten wir natürlich auch auf dem Zettel des Verkäufers nachlesen können 
Nun aber zu einem weiteren interessanten Detail:
Direkt neben dem Blinker findet sich die Aufnahme für einen Standartenhalter. Dieser Wagen kann beflaggt werden! Haben wir es also bei unserem 500er mit einem pensionierten Regierungsbeamten zu tun?
Eher unwahrscheinlich, auch wenn es eines der Rätsel um diesen Wagen hätte erklären können: wir müssen ja die Zeit von 1985 (Ende erste Serie) bis 1987 (Datum der Erstzulassung) überbrücken. Plausibel wäre es da gewesen, wenn der Wagen im Jahre 1986 noch mit einer Panzerung ausgestattet und dadurch erst 1987 an den Kunden ausgeliefert worden wäre. Eine Panzerung aber läßt sich nicht erkennen, denn dan wären bspw. die “Fensterrahmen” auffallend breit. Denn selbst bei einer leichten Panzerung sind zumindest die Scheiben verstärkt und “kugelsicher”. Hier Fehlanzeige!
Der 500 SE hätte ohnehin höchstens ein Begleitfahrzeug sein können, da chauffierte Passagiere (die echten VIPs also) üblicherweise die Beinfreiheit eines SEL bevorzugen. Kurzum: das Piercing für die Standarten hat der kurze 500er wohl erst später aus Jux und Dollerei erhalten, da sonstige Merkmale für den echten Staatsdienst fehlen.
Die sonstige von außen erkennbare Ausstattung ist schnell aufgezählt. Einerseits wäre da die Scheinwerfer-Reinigungsanlage vorne.
Andererseits (und auf diesem Handyfoto kaum zu erkennen) hat er blaues Velours, helles Wurzelnuss-Furnier, sowie eine Klima-Automatik. Vierfach elektrische Fensterheber und dergleichen mehr sind ebenso vorhanden.
Fazit: alles in allem ein optisch schönes Auto mit einer selten gewordenen Farbkombination. Rost habe ich außer an den Radbolzen in den allenfalls drei Minuten meiner “Begutachtung” nicht erkennen können. Ich muß sagen: eine Erstserie hat ihre besonderen Reize! Die grauen, geriffelten Planken finde ich persönlich schöner als die glatten und allzu dezent in blau abgesetzten meines 560ers. Mysteriös bleibt bei diesem 500SE die Erstzulassung. Vielleicht einfach nur ein Schreibfehler?
Der Wagen steht in Frankfurt auf der Hanauer Landstraße Nähe Großmarkthalle gegenüber des GTÜ-Stützpunkts. Ich bin weder verwandt noch verschwägert mit dem Anbieter und erhalte keine Provision, poste hier aber dennoch gerne auch die knappe “Produktbeschreibung” samt Kontaktdaten, falls bei einigen Lesern nun vielleicht doch Interesse geweckt wurde. Ein Schnäppchen ist er wahrscheinlich nicht, aber ein Anruf lohnt vielleicht trotzdem. Ich selbst hatte kein Interesse, deshalb habe ich mich auch nicht näher erkundigt.
Vielleicht bringt jemand an dieser Stelle Licht ins Dunkel? Über einen Kommentar auf diesen Eintrag würde ich mich dann besonders freuen.
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