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Etwas Philosophie zu Ostern: Warum sind eigentlich nur noch glänzende Fahrzeuge unterwegs?

Published in fusselblog.de

Ich hatte die Diskussion schon öfters: "Sag mal KLE, hast Du auch das Gefühl, daß früher mehr Verbrauchtwagen auf der Gasse waren?" Ja, waren sie, davon bin ich überzeugt.

Ich habe meinen Führerschein seit 1986 und als ich meine ersten automobilen Gehversuche machen, gab es eine einfache Rechenformel für Verbrauchtwagen bei uns in der Provinz: 1 Monat TÜV = 100,-DM. Das Auto konnte schlimm aussehen, wenn es technisch so einigermaßen auf der Reihe war und nicht vom Rost komplett zerfressen, bedeutete das immer für Schülerverhältnisse einen ganz ordentlichen Wert. Und die Autos in den 80ern waren oft üble Roster.
Als Beispiel nenne ich die verfallenste Karre, die ich jemals gefahren habe, meinen Einser Scirosto.

Leck mich am Arsch war die Karosse tot. Bis heute weiß ich nicht, wie der Bock den letzten TÜV geschafft hatte. Schweller zum hinteren Radkasten weg, A-Säulen durch, Radläufe fratze, Kotflügelauflagen abwesend, Stehwände - reden wir nicht drüber...

Es gab für die Karre eigentlich nur eine zeitwertgerechte Verwendung: TÜV runterfahren und wegwerfen. Gut, vermutlich hat der Bock sein Leben nie viel Pflege bekommen und jeden Winter viel Schnee und folglicherweise viel Salz. Aber meine Damen und Herren: Der Bock war damals schlanke 12 Jahre jung.

Wie sieht heute ein 12 Jahre altes Auto aus? Also ich bezeichne so "junge" Autos scherzhaft als Neuwagenscheiße. Außer ein wenig Kantenrost findet man da meist nicht. Trotzdem gibt es Karren, die auch in dem Alter in die Presse oder nach Afrika gehen. Aus der Sicht der 80er Jahre Wahnsinn, als der Rost noch der Hauptgegner war. Heute hat es oft andere Gründe, warum ein gar nicht sooo altes Auto auf dem Schrott landet. Als die Autoindustrie das Rostproblem im Griff hatte mit Ausnahmen, wie z.B. der Opel Omega, stand sie vor einem Problem: Die Autos hielten einfach zu lange.
Aber das hat sich relativiert: Die technische Instandsetzung wird oft einfach zu teuer. Lichtmaschinen, bei denen man die Kohlen nicht mehr einzeln wechseln kann, streikende Steuergeräte, die nur komplett getauscht werden kann, etc. sind einfach zu teuer, um sie zu erneuern. So werden optisch gar nicht mal so elendige Fahrzeuge zu wirtschaftlichen Totalschäden - denn der nächste Gebrauchtwagen kostet oft weniger, als das Ersatzteil. Und das mit ordentlich Guthaben auf dem TÜV Konto. Ich hätte beinahe einmal einen A6 der ersten Generation deshalb gekauft: Der Kostenvoranschlag der Werkstatt für den nächsten TÜV überschritt den Zeitwert. Und der war noch deutlich über 2.000 Euro.

Optisch runtergeranzte Autos fährt man heute nicht mehr aus wirtschaftlicher Not. Man bekommt einfach für zu kleines Geld einen optisch wunderbar dastehenden Wagen, der auch noch einigermaßen aussieht, wenn der Reparaturstau eine Instandsetzung der Technik unwirtschaftlich macht.

Runtergeranzte Autos sind meiner Meinung nach heute Lifestyle, so absurd das klingt. Wenn sich jemand entschließt, Schweißarbeiten in Kauf zu nehmen oder eine Karosserieinstandsetzung mit einfachsten Mitteln, dann tut er es aus Liebe zum Modell und nicht, weil er sich kein besser erhaltenes Fahrzeug leisten kann. Eine mies aussehende Karre wird zum Luxus, die Patina von Ratten ist inzwischen meist gefaked und nicht mehr "natürlich gewachsen".

Wir leben schon in einer verrückten Welt und ich freue mich über jeden Verrückten, der sich diesen Luxus gönnt...

In diesem Sinne: Frohe Ostern Ihr Verrückten da draußen!

Original: Fusselblog

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