Reisen statt rasen?
Wir befinden uns im 21. Jahrhundert. Die automobile Welt hat sich in über 130 Jahren rasend schnell verändert. Komfort, Sicherheit und elektronische Assistenzsysteme täuschen geschickt über Verbrennung, Öl und Gestank hinweg, die noch immer die Grundlage des Vortriebs der meisten Automobile sind. Dabei ist die ursprüngliche Idee auch heute noch immer der gleiche: Ein Motor, eine Karosserie, vier Räder. Wie viel ist notwendig, um sich in der heutigen Zeit fortzubewegen? Reicht ein 1958er VW Käfer, also ein Fahrzeug, das inzwischen fast halb so alt ist wie das Automobil selbst?
Es ist Frühling. Herr Müller möchte den sonnigen Maitag nutzen, um mit seinem Volkswagen 1200 zu einem kleinen Anwesen im schönen Schleswig-Holstein zu reisen. Er will dort ein paar Tage seinen Bruder besuchen. Einmal von seinem Bürojob abschalten, einmal keine Schreibmaschinen und keine Akten in großen Regalen um ihn herum sehen. Seinen fjordblauen 1958er Käfer hat er schon am Wochenende poliert und den Reifendruck geprüft. Gute versichert ist er auch, beim Spezialversicherer Hiscox. Klickt mal auf den Link – ja es ist Werbung aber es ist GUTE Werbung – und macht es mit eurer eigenen Versicherung wie Herr Müller Aber zurück zu den Reisevorbereitungen – nach dem Kühlwasser muss er nicht schauen, diesen Teil übernimmt praktischerweise die vom Gebläse um den Motor herum geschaufelte Außenluft.
Ein Koffer auf dem Rücksitz
Alles, was er für den Aufenthalt benötigt passt in seinen kleinen Reisekoffer. Dazu legt er noch ein gutes Buch und seinen Wanderstock mit den vielen schönen Erinnerungswappen vergangener Urlaubsziele. Der Rücksitz ist ein wundervoller Platz für dieses Utensil, und statt Laptop, Playstation, diversen Ladekabeln und Smartphone-Accessoires platziert Herr Müller unter der vorderen Haube sein Picknick-Körbchen, direkt hinter dem Tank. Da drin sind ein paar lecker belegte, frische Brote, Kekse und eine kleine Thermoskanne voller heißem Kaffee. Vielleicht lädt ein schönes Plätzchen am Wegesrand zum Verweilen ein.
Navigation mit Hirn und Augen
Ein dickes rotes Buch mit vielen bunten Linien aus ganz Europa eignet sich hervorragend zum Abschätzen der bevorstehenden Strecke. In Kombination mit vielen gelben Schildern an den großen Kreuzungen ist Herr Müller in der Lage, während der Fahrt seinen Weg nur mit seinen Augen zu finden. Die Notwendigkeit eines undurchsichtigen, dafür aber immer vor sich hinplappernden, Touch-Screen gestützten Navigationsgerätes entfällt.
Noch eine kurze Kontrolle des Motorölstands im Heck, alles im Rahmen. Die Haube schließt sich schwer und strahlt Zuverlässigkeit aus. Ein chromiger Knopf statt GPS gestütztem Keyless-Entry öffnet die wuchtige Fahrertür, die hinter ihm klonkend ins Schloss fällt. Die Morgensonne hat schon viel Kraft. In diesem Moment könnte man die mehrseitige Bedienungsanleitung der 8-Zonen-Klimatronic studieren, um über das Zentraldisplay eines der 42 möglichen Belüftungsprogramme über das Menü noch zu individualisieren. Herr Müller kurbelt das Seitenfenster einen Spalt herunter und dreht das kleine Dreiecksfenster so, dass frischer Fahrwind über die Unterarme flüstert. Läuft.
Wenig Spannung, keine Musik
Mehr als 6 Volt Bordspannung sind nicht notwendig, um den Boxermotor mit Zündfunken zu versorgen. Durch die plane, direkt vor ihm liegende Windschutzscheibe sieht Herr Müller die echte, nicht virtuelle Landstraße. Im Sichtfeld liebevoll zusammengestellt, da wo sonst oft ein Wunderbaum pendelt, befindet sich noch ein kleines Blumensträußchen. Das hat seine Frau Ilse ihm gepflückt. Er setzt mit dem kleinen Hebelchen den Blinker, der schnarrend aus der B-Säule klappt und rollt dem Tag entgegen.
Ein Liedchen auf den Lippen ersetzt das Soundsystem mit 10 digitalen Aktiv-Endstufen. Wo eigentlich schrill beleuchtete Disco-Displays den Interpreten, den Songtitel und die Kontonummer des Plattenlabels in den Fahrgastraum schreien – befindet sich im Volkswagen eine kleine, ebenfalls fjordblaue Metallblende. Es gab mal eine Zeit, da kam niemand auf die Idee, in einem Automobil zwingend Fremde Stimmen und Musik zu hören. Dafür gab es Beifahrer oder schlicht das eigene Organ. “Da_has muss ein schle_hechte_her Müller sein, de_hem niemals fie_hiel das Wandern ein….”
Der Weg ist das Ziel
Parallelen zum Wandern sind in einem VW Käfer bei Überlandfahrten schon zu entdecken. Müllers breite Füße pendeln geschickt mit den drei schmalen Pedalen im Fußraum, während er beherzt und manchmal Zwischengas gebend die Gänge einlegt. Die Reise geht zunächst durch Rapsfelder und kleine Ortschaften, der freundliche Krabbler schnurrt sein sonores Lied und ist zügig unterwegs. Kerngesund klingt das Maschinchen, keine Warnlampen weisen auf bevorstehende Inspektionen hin. Vielleicht auch, weil sie gar nicht da sind. Nichts stört den Genuss der Landschaft oder des Reisens, nicht einmal eine Tankanzeige.
Herr Müller beschließt, in einem der nächsten Orte noch eine kleine Kaffeepause einzulegen und bei der Gelegenheit auch gleich noch einmal nach dem Benzin zu sehen, bevor es auf die Bundesautobahn geht. Bei einer Nussecke und einem Kännchen Jacobs Krönung im Dorfkrug studiert er das Wochenmagazin, während auch der Käfer sich tickend und knackend eine kleine Auszeit in der Mittagssonne gönnt. Das Auto ist nicht verschlossen. Warum sollte jemand etwas aus ihm entwenden?
Zeiten ändern sich
An der Tankstelle belächelt man den Herren mit Hut, als er die vordere Haube öffnet, einen Metalldeckel aufschraubt und aus der Zapfsäule Benzin in den Tank laufen lässt. Immer mit einem halben Auge den Pegelstand im Inneren begutachtend. Einzig ein Mann mit einem Zweirad gegenüber scheint ihn zu verstehen. Die beiden fachsimpeln ein wenig über Baujahre und Höchstgeschwindigkeiten, während auch der Motorradfahrer kritisch guckt, dass sein eigener Tank nicht überläuft.
Etwas verwirrt ist Herr Müller im Verkaufsraum der Tankstelle. Er möchte vorsichtshalber noch einen halben Liter Öl mitführen, wird von der Aushilfskraft an der Kasse aber nur fragend angeschaut. Einen 2019er Chardonnay hätten sie im Angebot, und zum Scotch Whiskey gebe es noch einen Schlüsselanhänger dazu! Wer kauft denn heute noch Motoröl? Das macht ihn irgendwie traurig, und noch viel später auf der Autobahn fragt er sich, was eigentlich aus den ehemaligen Servicepunkten für Durchreisende geworden ist.
Sich Zeit lassen
100 km/h genügen völlig, um auf deutschen Straßen entspannt das Ziel zu erreichen. Der Stress der linken Spur ist komplett nicht vorhanden, kein pfeifender Turbo muss sich beruhigen und kein Verkehrsfunk lässt ihn nicht geplante, aber trotzdem völlig verstopfte Routen einschlagen. Eben gerade als er alle seine Wanderlieder durchgesungen hat sieht Herr Müller die Ausfahrt zum Anwesen seines Bruders. Das Auto kann direkt vor dem Portal stehen bleiben, es werden keine anderen Gäste erwartet. Und das Abendessen beginnt bitte pünktlich um 19:00 Uhr. Es versprechen schöne Tage zu werden.
Herr Müller ist im klassischen Sinn verreist. Ohne Internet und Navi, ohne Smartphone und TicToc Ablenkung hat er für eine mehrere 100 Kilometer umfassende Strecke vielleicht 30 Minuten länger gebraucht als sein Abteilungsleiter mit seinem 2020er Audi. Er muss sich nicht vom alles überlagernden Entertainment und vom gehetzten Dränglern erholen, er kommt schon vorentspannt und gut gelaunt an seinem Ziel an. Er lässt sich weder von informationsintensiven Multifunktionsdisplays noch von 24stündiger Erreichbarkeit wahnsinnig machen. Niemand erwartet von ihm, dass er Selfies vorm Raps oder sein Abendessen postet. Er fährt ein altes Auto, zahlt seine Steuern und ist gut versichert. Habt ihr vorhin einmal auf den Link zu Hiscox geklickt? Traut euch. Los!! Womöglich ist das Angebot auch für euren alten Entschleuniger attraktiv?
In einer Welt der elektrischen Helferchen und totalen Vernetzung in alles draußen lassenden Highspeed-Kapseln fehlt es in einem 60 Jahre alten Automobil genau genommen – an NICHTS. Diese Art des Verreisens macht glücklich und entspannt schon beim Hinweg. Vorausgesetzt man hat die Zeit dazu. Aber sollte man sie sich nicht einfach öfter mal wieder nehmen? Lasst euch wieder mal drauf ein. Der Sommer ist ja noch nicht ganz vorbei!
Sandmann
Einige Bilder mit freundlicher Genehmigung von Schloss Tremsbüttel
www.tremsbuettel.de
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