Ferrari 400 Superamerica-1681
Enzo Ferrari war, man darf es zumindest annehmen, so ein bisschen schlauer, cleverer, geschäftstüchtiger als noch so manch ein anderer. Das Spielchen von den Rennsiegen am Sonntag und der Verkaufserfolgen dann am Montag, das hatte er schon früh erkannt. Und es gefiel ihm bestens, vor allem deshalb, weil ihm die Strassen-Ferrari nicht nur die Schatulle füllten, sondern weitere Rennautos ermöglichten, mehr Siege; ein sinnvoller Kreislauf. Und obwohl der grosse «Commendatore» sich am liebsten in der Region Modena aufhielt, war ihm auch schön früh klar geworden, dass Amerika ein wunderbarer Markt war, dort liess sich noch mehr Geld verdienen als anderswo, und ausserdem war die Kundschaft nicht so zickig wie europäische, leichter zufrieden zu stellen.
Doch die USA und Ferrari, das war in erster Linie ein Name: Luigi Chinetti. Was Mercedes, BMW und Porsche an Maxi Hoffman hatten, nämlich einen genialen Verkäufer und Strategen, das war Chinetti für Ferrari. Der Italiener Chinetti, geboren im Jahre 1900, wanderte schon früh nach Frankreich aus und war ein sehr begabter Rennfahrer, gewann 1932 auf einem Alfa Romeo die 24 Stunden von Le Mans (zusammen mit Raymond Sommer), konnte 1934 noch einmal nachlegen (wieder auf Alfa, diesmal zusammen mit Philippe Etancelin) - und emigrierte im 2. Weltkrieg in die USA. 1949 wurde Chinetti zum ersten Piloten, der Le Mans zum 3. Mal gewinnen konnte - und es war dies, zusammen mit Peter Mitchell-Thomson, dem 2. Baron Selsdon, auch der erste Sieg von Ferrari beim berühmtesten Langstreckenrennen der Welt. Im Alter von 50 Jahren gewann Chinetti dann auch noch die Carrera Panamericana, zusammen mit Piero Taruffi in einem Ferrari 212.
Doch Chinetti war weit mehr, schon in den 30er Jahren hatte er in Frankreich ein gutes Händchen als Auto-Händler bewiesen. In den 50er Jahren wurde er zum ersten Ferrari-Händler in den USA, eine Position, die er für viele Jahre exklusiv halten konnte.
Welche eine Wonne.
Und auch wenn Enzo Ferrari Aerodynamik für überflüssig hielt: Aerodinamica.
In dieser Funktion gründete er auch den N.A.R.T.-Rennstall, der bis weit in die 70er Jahre viele Rennsiege für Ferrari erringen konnte, weil, eben: win on Sundays, sell on Mondays.
Aber während Hoffman von den deutschen Herstellern sportlichere Modelle verlangt hatte, kleinere, handlichere, brauchte Chinetti grösseres, komfortableres Material. So kam es zur «America»-Linie, es begann mit dem von 1951 bis 1955 gebauten 375 America, ein absoluter Supersportwagen, wie ihn die Welt damals noch nie gesehen hatte. Der von Aurelio Lampredi konstruierte V12 stammte direkt aus der Formel 1, hatte 4,5 Liter Hubraum und schaffte etwa 300 PS. Für den 1955 vorgestellten 410 Superamerica wurde der Hubraum auf 4962 ccm (Bohrung x Hub: 88 x 68 mm) vergrössert, mit drei Weber-Doppelvergasern (40DCF) und erhöhter Verdichtung (8,5:1) stieg die Leistung auf 340 PS. Geschaltet wurde über ein manuelles Viergang-Getriebe.
Welche eine Wonne.
Und auch wenn Enzo Ferrari Aerodynamik für überflüssig hielt: Aerodinamica.
Das Fahrwerk entsprach mit dem Kastenrahmen, doppelten Dreieckslenkern vorne, einer Starrachse hinten und den Trommelbremsen dem 250 GT, dem Brot-und-Butter-Auto von Ferrari in jenen Jahren. Vom 410 Superamerica gab es drei Serien, gebaut wurde er bis 1959, und die Anzahl war eher gering, dafür die Marge gross. Die Wagen hatten allerdings auch ein Problem: sie waren zu schwer. Ferrari gab 1200 Kilo an, doch es waren dann wohl eher 1700.
Zurück zu einem mehr sportlichen Fahrzeug musste man also, das wusste Enzo, das verlangte Chinetti, und deshalb musste der massive Lampredi-V12 dem Colombo-V12 weichen. Einst (1946) als 1,5-Liter-Rennmaschine konstruiert, zeigte dieses Aggregat über die Jahre eine erstaunliche Flexibilität und kam im neuen Modell als Tipo 163 auf 4 Liter Hubraum (genauer: 3967 cm3, Bohrung x Hub 77 x 71 mm; drei Weber 42DCW-Vergaser, 340 PS). Und wer jetzt rechnen mag, der müsste behaupten, dass dies neue Modell dann die Typen-Bezeichnung 330 hätte tragen sollen, doch erstmals wich Ferrari bei diesem Wagen vom üblichen Schema ab und nannte ihn: 400 Superamerica. Warum gerade 400? Keine Ahnung.
Erstmals gezeigt wurde das neue Modell auf dem Turiner Salon 1959, damals aber noch nicht mit der neuen Bezeichnung und auch nicht als Serien-Fahrzeug, sondern als Sonderanfertigung für Fiat-Chef Gianni Agnelli, ein Coupé Speciale von Pininfarina. Unter dem Blech: das Chassis des 250 GT (Kastenrahmen, hintere Starrachse) mit einem Radstand von 2,5 Metern. Dies wurde dann aber nicht für die erste Serie übernommen, denn die hatte dann einen Radstand von 2,42 Metern (wie die letzte Serie des 410 Superamerica). Es folgten dann drei Cabrios mit dem kürzeren Radstand, die aus ein paar Metern Entfernung durchaus auch als 250 GT Cabriolet hätten durchgehen können, aber besser ausgestattet waren, alles Einzelanfertigungen nach besonderen Kundenwünschen.
Welche eine Wonne.
Original: radical