Volltreffer, Fahrbericht Volvo XC90-1613
Fahrbericht Volvo XC90
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Verfluchen, auf ewig, werden sie in Göteborg den Tag, als sie die «soccer mum» in Pension geschickt haben. Jene Mütter, die ein halbes Dutzend Kinderchen im kantigen Kombi irgendeiner Volvo-Baureihe zum Fussball und wieder nach Hause gefahren haben, sich dabei sicher fühlten, auch noch gut aussahen. Es war dies eine biedere Kundschaft, mag ja sein, aber eine loyale, ehrliche, vernünftige. Doch sie war irgendwann nicht mehr schick genug, diese Klientel - auch weil sie ihre Autos viel zu lange behielt, hegte, pflegte. Der damalige Besitzer Ford (1999-2010) beerdigte also die Fussball-Mütter und verordnete Volvo Lifestyle sowie Premium, was tiefrote Zahlen und eine grosse Ratlosigkeit innerhalb der Marke zur Folge hatte. Es folgte 2010 dann das chinesische Konglomerat Geely, zu Beginn auch ruhelos und konzeptfrei.
Doch jetzt kommt der neue XC90 - und Volvo will damit Apple werden unter den Automobil-Herstellern. Benchmark wollen die chinesischen Schweden sein, in Sachen Sicherheit, Umweltbewusstsein, Design aussen und innen - das bisher einzige Argument dafür misst gut fünf Meter und wiegt deutlich über zwei Tonnen.
Die schwedische Marke, die heuer übrigens 100 Jahre alt wird, hat sich dafür in den Geely-Jahren komplett neu erfunden. Es geht dabei nicht nur um neue Technik und die ausgewechselte Führungsriege, der Relaunch von Volvo geht hinunter bis zu den Händlern, die sich ebenfalls einen neuen Auftritt zulegen müssen. CEO Hakan Samuelson sucht denn auch nicht den Vergleich mit den deutschen Premium-Herstellern, er spricht dafür gern davon, dass Volvo «anders» sei, ganz neue Werte auf den Auto-Markt bringe - und als Beispiel wird dann angeführt, dass es im neuen XC90 nur noch acht Knöpfchen gibt für die Bedienung, während ein gerade frisch aufgelegter Konkurrent derer 55 habe.
Tatsächlich findet der grösste Teil der Bedienung über einen Touchscreen von der Grösse eines iPad statt. Ein solches Konzept haben andere Hersteller, allen voran natürlich Tesla, aber auch der französische PSA-Konzern, schon länger im Programm, doch die Schweden ziehen das mit einer Konsequenz durch, die nicht bloss erstaunt, sondern von den Kunden sicher eine gewisse Gewöhnungszeit verlangt. Es ist schon gut durchdacht, das System, die Bedienung von Navi oder Klimatisierung erfolgt so intuitiv wie bei einem iPhone, selbstverständlich lassen sich die einzelnen Unter-Menus zur Seite oder wegwischen (oder über die Sprachsteuerung aktivieren). Der grosse Vorteil: das Cockpit kann sehr sauber gestaltet werden, alles ist ruhig und elegant. Leider sieht die Ablage in der Mittelkonsole mit den Becherhaltern aus wie in einem Billigprodukt, das wurde im Gegensatz zu den restlichen Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine irgendwie nicht zu Ende gedacht. Aber es braucht ja auch da noch Raum für Verbesserungen.
Verantwortlich für die neue Design-Sprache innen wie aussen ist der Deutsche Thomas Ingenlath, der von 2000 bis 2005 die Optik von Skoda aufmischte, seit 2012 für Volvo arbeitet. In den vergangenen zwei Jahren hat er bemerkenswerte Studien auf die Räder gestellt, welche die neue Richtung anzeigen sollen. Davon ist beim XC90 aussen nicht viel übrig geblieben, ein Lämpchen hier, ein Schwung da. Doch so ein «Full-Size»-SUV mit bis zu sieben Sitzplätzen folgt selbstverständlich gewissen Bedingungen, es muss ein Klotz sein, das verlangt insbesondere der amerikanische Markt, der für Volvo schon seit Jahrzehnten der wichtigste ist. Immerhin: der Radstand darf lang sein, weil die Überhänge bleiben.
«SPA» heisst dabei das Zauberwort, und dabei geht es nicht um wohlige Wellness, sondern um die «Scalable Product Architecture». Das ist die geistige, technische Schwester des modularen Quer-Baukastens (MQB) des Volkswagen-Konzerns, eine Plattform, auf der sich ein ganzer Konzern aufbauen lässt. Der neue XC90 von Volvo wird noch mindestens drei Brüderchen erhalten, Limousine, Coupé und Kombi - S90, C90, V90 - , dazu wohl noch zwei Handvoll kleinere Derivate, das spart Kosten in der Entwicklung und noch mehr in der Produktion. Der Kunde merkt das ja eh nicht (siehe: Volkswagen-Konzern), da kann man bestens nach oben und nach unten und auch noch in die Breite skalieren. Und weil Volvo in Zukunft als Antrieb sowieso nur noch Vierzylinder-Motoren mit Automatik-Getriebe anbieten will, passt «SPA» auch bestens für das gesamte Modell-Programm. Und die kompakteren Motoren eröffnen ausserdem mehr Möglichkeiten bei der Gestaltung des Fahrzeugs.
Ingenlath und die Marketing-Maschinerie sprechen dann natürlich von «skandinavischem Design», wobei es da in erster Linie um die Teilbereiche der schlichten Formalität und der grossen Funktionaliät geht; der Minimalimus und die preisgünstige Massenproduktion, in den 50er Jahren ebenfalls Forderung der Bewegung, gehören eher nicht zu den Stärken von Volvo.
Mit seinen sieben vollwertigen Plätzen oder dem wahlweise grosszügigen Kofferraum ist der mächtige Schwede sicher funktionell, er will auch noch das SUV sein mit der besten Aerodynamik überhaupt - und das sicherste Auto der Welt. Die Auflistung aller Systeme würde den Rahmen dieser Berichterstattung sprengen, doch die Schweden kommen mit dem XC90 ihrem Ziel, dass im Jahr 2020 keine Menschen mehr sterben sollen in einem Volvo, wieder ein Stückchen näher.
Prunkstück der Baureihe ist der T8, ein Plug-in-Hybrid, dessen 2-Liter-Vierzylinder-Benziner 320 PS leistet, die noch von einem 80 PS starken Elektromotor begleitet werden. 40 Kilometer will der XC90 rein elektrisch fahren können, und wird das in den Norm-Verbrauchszyklus eingerechnet, so liegt der Verbrauch noch bei 2,5 Liter/100 km, die CO2-Emissionen bei 59 Gramm/km. Ein solches Fahrzeug kann die deutsche Premium-Konkurrenz mit Ausnahme von Porsche nicht bieten, da zeigt der im Vergleich sehr kleine Hersteller eine erstaunlich hohe technische Kompetenz. Das hat dann natürlich auch seinen Preis, ab 99'900 Franken gibt es dieses Modell. Zu dem noch zu schreiben ist, dass die Batterien in den Mitteltunnel verbaut werden, was den Raum für Passagiere und Gepäck dann nicht einschränkt. Und das er halt schwer ist, was sich im Fahrbetrieb bemerkbar macht.
Einstiegsmodell wird aber der D4 sein, ein Zweiliter-Diesel mit 190 PS und ausschliesslich Frontantrieb, der kommt dann im Herbst für weniger als 69'600 Franken zu den Händlern. Das ist nicht gerade eine Kampfansage, und wir könnten jetzt auch noch etwas schreiben zu den Euro-Preisen, doch das machen wir besser nicht. Und ja, Volvo braucht diesen Erfolg: zwar war 2014 das beste Jahr in der Geschichte, doch mit etwas mehr als 450'000 weltweit verkauften Fahrzeugen ist man noch weit vom Ziel von mindestens 800'000 Stück entfernt.
Aber weil ja immer auch der Weg das Ziel ist, hat Volvo mit dem XC90 jetzt einmal eine Marke gesetzt. Die sich auf einer ersten Ausfahrt als aussergewöhnlich komfortables Fahrzeug erwiesen hat, als wunderbarer Gleiter, als feiner Langstreckenbegleiter; die Kurvenhatz ist eh das Ding nicht dieser mächtigen SUV, zu gross, zu schwer sind sie. Angenehm ruhig ist es in diesem Wagen, und wer Sound braucht, dem offeriert Volvo eine der besten HiFi-Anlagen auf Rädern überhaupt, konzipiert von Bowers & Wilkins. Und was man unbedingt haben muss: den hartgefertigten Kristallglas-Schalthebel von Orrefors. Sehr schön auch: der Schlüssel, der so gar nicht wie ein Schlüssel aussieht, sondern vom gleichen Leder ummantelt ist wie es auch im Innenraum verwendet wird. Das würde die «soccer mum» wohl kaum faszinieren, doch die soll ja auch keinen Volvo mehr fahren. Wir empfehlen neben dem feinen, teuren T8 den T6 (320 PS), der macht Laune. Was man vom D5 (225 PS) nicht behaupten kann, der wirkt schwerfällig, trotz 470 Nm maximalem Drehmoment.
Und, ach ja: definitiv Premium. Wunderbar verarbeitet, tolle Materialien.
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Original: radical