fast'n'smooth, Fahrbericht Mercedes-AMG GT-1583
Fahrbericht Mercedes-AMG GT
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Es wird dies ein schwieriger Text. Denn einerseits will ich erzählen, dass der Mercedes-AMG GT ein wunderbares Gerät ist, richtig, richtig gut. Andererseits soll es darum gehen, was einen Sportwagen ausmacht, es geht um Emotionen, Gefühle im Bauch, in den Ohren, für die Augen. Es geht aber indirekt auch um einen Vergleich zwischen dem GT und dem Porsche 911, denn ich bin am Montag den neuen 911 GTS gefahren, ausführlich, am Dienstag den Benz, ebenfalls ausführlich, beide in Kalifornien, beide auch auf der Rennstrecke, einmal Willow Springs (Porsche), einmal Laguna Seca (Mercedes). Ich schreibe es gleich vorne weg: ich würde den Porsche nehmen. Ohne wenn und auch ohne aber. Obwohl der Mercedes-AMG GT in der Summe seiner Eigenschaften, ganz objektiv betrachtet, wahrscheinlich das «bessere» Automobil ist.
Aber beginnen wir doch ganz klassisch, also: von vorne. Es ist schon dunkel, als ich im Carmel Valley ankomme. Am Morgen früh aufgestanden, mal so ein bisschen durch die Gegend gearbeitet im Porsche 911 GTS (hier ist der Fahrbericht), dann mit einem Cayenne Diesel die 500 Kilometer von Pasadena nach Norden gefahren. Ein edles Hotel dort, es ist ja Mercedes, es ist ja AMG, ich komme reichlich spät zum Abendessen - und vor dem Restaurant steht ein SLS. Oh, nein, stimmt ja gar nicht, ein erster Blick frontal von vorne, und ich habe ihn prompt verwechselt, ist gar kein SLS, ist ein GT. Das erzähle ich dann beim Nachtessen aber niemandem. Und ich schlafe trotzdem gut.
Am nächsten Morgen raus nach Laguna Seca. Dort steht ganz allein für mich ein Mercedes-AMG GT, als S, rot. Jetzt, in der kalifornischen Morgensonne, sieht er schon gut aus, tief, breit. An die Diskrepanz zwischen der aggressiven Front und dem filigranen Heck kann, will ich mich nicht gewöhnen, doch ich nehm mir die fünf Minuten auf dem riesigen Infield, schaue ihn mir genauer an, von nah, von weiter weg.
Wäre er schwarz, mit schwarzen Felgen, schon ein bisschen dreckig, gebraucht, angegast, ja, dann. Doch. Kommt schon gut, wird unser Strassenbild bereichern. So grossartig, wie Axel ihn in einer Replik auf meinen ersten Eindruck beschreibt, ist er aber nicht. Und diese Heckklappe, die ist so ein bisschen tuntig. Echte Sportwagen haben keine Heckklappe, echte Sportwagen müssen keine Golfbags durch die Gegend kutschieren, sondern Kreditkarten und Unterwäsche für zwei Tage und eine Wasserflasche für dann oben auf der Passhöhe, höchstens.
Innen: fein gemacht. Das kommt immer besser, jeder neue Mercedes ist wieder einen Schritt weiter, die Luftdüsen weniger dominant, der Screen besser eingepasst. Beim AMG GT kommt noch ein gewaltiger Mitteltunnel dazu, eine kleine Burg ist das, aber schön gemacht. Feinste Materialien, bestens zusammengefügt, stylish. Mit Ausnahme des riesigen, zentralen Lochs, in dem die Cupholder wohnen.
In das man aber auch etwa 5 Liter Cola reinschütten und darauf dann zwei Big Mac schwimmen lassen könnte. Ja, die Amerikaner haben sich beim SLS beklagt, dass sie ihren Capu mit Low-Fat-Milk, grande, nirgends unterbringen konnten, doch - wtf? Das Bier trinkt man dann abends, wenn man es sich verdient hat. Erst dann.
Zuerst gondle ich ein bisschen durch die Gegend. Pedal to the metal ist nicht, zu viel Verkehr da rund um Monterey, aber das macht er bestens, der Benz, allerfeinste Manieren hat er, kein Ruckeln, kein Stottern, keine Attitüden, die 510 PS starke Fahrzeuge, die in 3,8 Sekunden auf 100 rennen und 310 km/h Höchstgeschwindigkeit schaffen, sonst so haben. Komfortabel ist er auch, angenehm ruhig, wenn man es nicht darauf anlegt: ja, Mutti wird damit gut zum Einkaufen fahren können, die Bio-Petersilie am Bauern-Markt shoppen, oder auch das neue Prada-Schühlein abholen. Tönt jetzt wieder fies, sorry, eigentlich wollte ich die Alltagstauglichkeit des AMG GT ja loben, und, to be honest: 99 Prozent seiner Kilometer wird er genau so machen, der schnelle Benz, dort draussen im richtigen Leben, wo es andere Autos gibt und Polizisten und kaum Parkplätze.
Dann wieder zurück nach Laguna Seca. Es wartet die Rennstrecke, es wartet Bernd Schneider. Der wird ein paar Runden vor mir her fahren, also: ich werde schon nach zwei Turns schweissgebadet sein, mit Adrenalin bis zur Schädeldecke und auch noch im kleinen Zeh, während er auf seinem neuen iPhone 6 noch die Mails checkt. Und beantwortet. Und mir über Funk noch ein paar Anweisungen geben wird, wie ich die Kurve denn nun fahren soll. Und wo bremsen. Später bremsen, wird er sagen, dafür voll in die Eisen - und immer dahin schauen, wohin Du fahren willst. Recht hat er, ich weiss es. Doch auf den ersten zwei, drei Runden bin ich sowieso mit mir selber und dem Wagen beschäftigt, Corkscrew richtig anfahren, und vor allem diese blöde Kurve vor Start/Ziel, Himmel, warum kriege ich die nicht sauber hin?
Es ist so: wenn Du dauernd so ein bisschen den Bammel hast, der Wagen könnte hinten oder vorne weg, oder er wird instabil beim Bremsen, oder er fährt nicht so ganz genau dorthin, wo Du ihn eigentlich haben willst, dann bist Du langsam. Wenn Du aber Vertrauen hast in das Auto, wenn es Deine Fähigkeiten nicht übersteigt oder sogar noch unterstützt, dann bist Du schnell. Der AMG GT gehört definitiv in die zweite Kategorie. Ui, diese Balance - ein Traum. Die Lenkung, überhaupt die Präzision: vorbildlich (was auch der ausgezeichneten Balance geschuldet ist). Die Bremsen: Hammer. Der Motor: ein Viech. Das Getriebe: grossartig (und um etwa ein Lichtjahr besser als noch im SLS). Bernd sagt dann fünf Runden gar nichts mehr, was entweder ein gutes Zeichen ist oder dann hat er halt grad noch einen Conference-Call. Aber ich glaub, wir waren dann auch ziemlich schnell. Ausser in dieser blöden Kurve vor Start und Ziel, Mann, warum kriege ich die nicht in den Griff?
Ich denk: mit dem AMG GT ist man auf dem Track schneller als mit dem 911er. Gut, er hat als S auch deutlich mehr Pferdchen. Er ist zwar schwerer, klar über 1,5 Tonnen, doch mehr Power ist einfach mehr Power. Vor allem dann, wenn sich diese Kraft auch auf den Boden bringen, sinnvoll einsetzen lässt. Es gibt selbstverständlich verschiedene Drive-Modi, ich begann mit S-Plus, für die letzten zwei Runden dann auch noch «Race», doch, äh, ich muss zugeben, ich war zu beschäftigt, um da jetzt die letzten Feinheiten erfühlen zu können. Gut sind sie beide, das ESP-Lämpchen leuchtet oft, doch die Elektronik regelt sehr, sehr sanft, man fährt nicht gleich in eine Wand. Am besten bist Du sowieso fast'n'smooth.
Eine Wand ist dafür der Sound. Ja, wir klagen ja gern, dass solche Turbo-Geschosse nicht mehr so recht tönen mögen. Doch ein 4-Liter-V8, doppelt zwangsbeatmet, ist halt allein schon für sich eine akkustische Macht; er brabbelt im Leerlauf auch schön, fast so ein bisschen amerikanisch. Und wenn er getrieben wird (der S schaltet erst knapp vor 6500/min), dann kreischt er auch schön. Laut. Deftig. Schön haben sie das hingekriegt in Affalterbach, dafür darf man sie loben, unter den Turbos ist er einer der Feinsten, er braucht sich auch hinter dem Ferrari California T nicht zu verstecken.
Alles gut also? Sehr gut sogar? Ja. Ich werde nicht schmunzeln, wenn einer mit einem AMG GT vorfährt. Eine gute Wahl, auch deshalb, weil er halt beides kann, den Alltag und den Track. Und alles zwischendurch auch. Und nicht so ein bisschen, sondern: sehr gut.
Und jetzt kommt: das Aber. Er berührt mich nicht, der Benz. Es ist nicht so, dass man ihn als emotionslos bezeichnen müsste, wie ich es von gewissen Seiten gehört habe, aber ich verspüre dieses unbedingte Haben-Wollen nicht, das ich bei einem Alfa 4C, einem Ferrari 458 Speciale, einem Porsche 911 GTS (Coupé, heckgetrieben, handgeschalten) habe (sowie gefühlten 2578 Oldtimern). Ein absolut subjektives Gefühl, auch ein schwer beschreibliches. Es hat etwas mit Geschichte zu tun, Heritage, Ahnen, es hat etwas mit Saugmotoren zu tun (ich weiss, der Alfa ist ein winziger Turbo), es hat aber vor allem etwas mit Wahnsinn zu tun, mit der Liebe zu eben diesem Wahnsinn und der Konsequenz, mit der diese Liebe auch gelebt wird. Nein, der AMG GT ist nicht lauwarm, er ist in vielen Bereichen sogar heiss - aber halt nicht konsequent. Er will auch den Alltag können; das muss ein echter Sportwagen aber nicht. Er will - innen - auch luxuriös sein; das muss ein echter Sportwagen aber nicht. Wir hier bei radical pflegen die absolute Radikalisierung, das Echte, das Wahre - je älter wir werden, desto schlimmer wird das. Wie sagt das Magnus Walker so schön: no guts - no glory. Ich habe es geliebt, dass der 458 Speciale kein Navi und keinen Radio hatte; ich bin weiterhin hin und weg vom herrlichen Leichtgewicht des Alfa; ich habe mich erst gerade wieder verliebt in den handgeschalteten Porsche 911. Mein Problem, ja, aber ich steh dazu.
Ui, der Preis: ab 156'200 Franken für den GT, ab 181'100 Franken für den GTAbstandS. Da schenken sich 911er und Benz nicht viel.
Photos von der Rennstrecke wurden jetzt schon genug gezeigt, deshalb fuhren wir nach Monterey. Danke an Andreas Lindlahr.
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Original: radical