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Übersättigt, Mercedes SLS AMG Black Series 1954

Published in radical-mag.com

Fahrbericht Mercedes
SLS AMG Black Series

Noch nicht erstellt
Wer erinnert sich nicht an die Momente der Kindheit, als die eigene Mutter einem mit erhobenem Zeigefinger ermahnte: «Iss nicht so viel von den Süssigkeiten, Dir wird schlecht.»

Doch nur der Versuch macht klug und so hat der eine oder andere von uns schon früh festgestellt, dass übermässiger Genuss bis kurz vor die Grenze der Übelkeit etwas Feines ist, danach aber schlagartig zum vomieren führt. Mit zunehmender Alter haben wir es meistens begriffen: Egal, was man im Übermass auch zu sich nimmt, es tut nicht gut und man muss lernen, mit den Folgen zu leben. Oder eben nicht. In Affalterbach bei Stuttgart zum Beispiel scheinen Menschen zu arbeiten, die fortwährend einer gewissen Masslosigkeit frönen dürfen ohne an deren Folgen leiden zu müssen oder einen mahnenden Finger zu befürchten haben. Im Gegenteil! Die Affalterbacher Mutter in Stuttgart bat ihr liebstes Kind sogar, noch zügelloser zu Werke zu gehen, um eine moderne Interpretation des legendären Mercedes-Benz Flügeltürers von 1954 zu erschaffen. Das Ergebnis war für die Marke mit den Stern ein unglaublicher in Aluminium gegossener Exzess, wie man ihn seit dem 300 SLR Uhlenhaut Coupé nicht mehr gesehen hatte.

Alle Aussenstehenden glaubten beim Anblick des Mercedes-Benz SLS AMG im Jahre 2009, dass es jetzt eigentlich gut sei mit der Völlerei, denn auch, wenn sich die Aluhaut des Coupés sehnig über das Gerüst von Technik und zwei Sitzgelegenheiten zieht, irgendwie irritiert das Erscheinungsbild dieses Sportwagens die Sehgewohnheiten. Die Motorhaube ist einfach genau diese Spur zu lang, wie auch das Heck gerade so viel zu breit ist, dass man dem «L» im Akronym SLS das «Leicht» nicht so richtig abnehmen will. Und richtig, da ist sie wieder, die Masslosigkeit: 4,64m lang, 1,94m breit und knapp über 1,6 Tonnen schwer. Das sind für einen Sportwagen schon mächtige Werte.

Doch es kam Sommer 2013 noch dicker. Als ob man, wie bei Monty Python, einem adipösen Restaurantbesucher nach einem üppigen Mahl empfiehlt noch ein «hauchdünnes Pfefferminzblättchen» zu sich zu nehmen, schien der SLS förmlich zu explodieren. Noch ausladender, noch mehr ungezügelte Leistung. Und da eine solche Völlerei auch immer etwas mit Ungehorsam zu tun hat, gaben die Affalterbacher diesem Fahrzeug auch gleich das Siegel der dunklen Seite der Macht: Black Series! Doch in diesem Jahr endet nach rund 5000 produzierten SLS die Epoche der Masslosigkeit. Wir erweisen dem ersten von AMG eigenständig entwickelten Fahrzeug daher zum Abschied die letzte Ehre mit einem Ausritt in eben dieser ungezügeltsten aller Varianten, dem Mercedes-Benz SLS Black Series.

Da steht er also vor uns. Breit, flach, stark. Und noch bevor man sich unter der nach oben schwingenden Türe durch die schmalen Luke in den Schalensitz faltet, wird man das Gefühl nicht los, die schwarze Bestie pumpt bereits im Stand, wie ein Vollblüter in seiner Startbox.





Weit geöffnete Nüstern an der Front gieren nach kühlendem Sauerstoff, in den carbonisierten Flanken warten Auslässe nur darauf, schnaubend die erhitzte Luft wieder freizusetzen und in den aufgeplusterten Radhäusern kauern klebrige Michelin Pilot Sport Cup 2 in den unpackbaren Dimensionen: 275/35 R 19 (vorne) und 325/30 R 20 (hinten) nur darauf, dass das Triebwerk zum Leben erweckt, ein Gang eingelegt und die Tür der Startbox aufsperrt wird.

Wer beim Anblick dieses Fahrzeugs keinen Respekt verspürt, der frisst auch kleine Kinder. Und spätestens wenn nach dem Druck auf den Starterknopf das helle Sirren des Starters verstummt und man das Wummern der acht Zylinder in der Magengrube spürt, ist klar: Das ist kein Spass, das sind 631 nervös trampelnde Pferde, die nur schwierig zu bändigen sind. Auf D gestellt leitet das Automatikgetriebe dann auch die Kraft nicht über einem trägen Drehmomentwandler an die Hinterräder, sondern ruppig und direkt mit einer sogenannten nassen Anfahrkupplung. Geschmeidiges Anfahren ist somit aussichtslos. Der SLS Black Series kann nur Galopp und wer dafür im Stadtverkehr an der nächsten Kreuzung abbiegen muss, der spürt, wie sich das mechanische Sperrdifferenzial ruckend gegen zu geringe Kurvengeschwindigkeiten mit allen Zahnrädern wehrt.

Das schwarze Ungetüm muss raus aus der Stadt und rauf auf die Rennstrecke. Doch Rundkurs ist heute nicht. Wir müssen Vorlieb nehmen mit dem Schwarzwald im Süden Baden-Württembergs. Doch dort gibt es Strassen für fahrdynamische Gourmets: Einsam, eng, verwinkelt aber leider auch häufig mit einem Flickenmuster der unterschiedlichsten Asphaltsorten gepflastert. Leider liegt genau das dem SLS der schwarzen Serie so gar nicht. Die elektronisch regelbaren Dämpfer kennen nur zwei Nuancen von bretthart. Das mag auf einem Hockenheimring zwar die Rundenzeiten purzeln lassen, ist aber auf den von uns gewählten Strassen nicht zielführend. Der SLS springt unwillig von Bodenwelle zu Bodenwelle und kann mit seiner ausladenden Breite von knapp zwei Metern nur mühsam auf dem gefühlt viel zu schmalen Asphaltband gehalten werden.

Hinzu kommt noch das Wetter. Kalt und nass, so dass weder die sensible französische Gummimischung an den Felgen, noch die Pizzateller grossen Keramikbremsen hinter den Schmiederädern auf Temperatur kommen wollen.

Erst in der Nähe von Freudenstadt (nein, kein Wortspiel) fanden wir ein Stückchen trockenen Asphalt und spannten an den Schaltwippen eine kürzere Fahrstufen ein und akzelerierten die Pneus endlich auf Betriebstemperatur. Was das AMG Coupé durchgewärmt zu zeigen im Stande ist, lässt einen vergessen zu schlucken. Denn auch, wenn der Black Series mit seiner 100kg Diät nicht vom Sumo Ringer zum Balletttänzer mutiert ist, lenkt er überraschend präzise in aberwitzigem Tempo um alle Arten von Kurven und lässt sich punktgenau aus jeder beliebigen Geschwindigkeit am Ortseingang auf die erlaubten 50km/h herunterbremsen. Dekoriert wird das ganze von der automatischen Zwischengasfunktion, die beim Zurückschalten markerschütternden Salven aus den vier Endrohren in den Schwarzwald feuert.

Ist das Ortsausgangsschild dann passiert und man spielt mit dem rechten Fuss den Vollstrecker, wird man mit einer Gänsehaut fördernden Klangkulisse aus acht 776 ccm Eimern belohnt, die sich auf knapp 10 cm bis zu unglaublichen 8000 Mal auf und ab bewegen ohne aus der Puste zu kommen. Doch so berauschend der lukullische Genuss im ersten Augenblick ist, so schnell wächst auch die Erkenntnis, dass diese Kreation aus feinsten Zutaten einfach zu viel des Guten ist. Für den Schwarzwald, den Alltag und auch für uns hinter dem Steuer. Also nicht unsere Mutter muss mahnend die Stimme erheben, nein wir kapitulieren freiwillig vor so viel Masse und Leistung. Das Gefühl von Völle und Übersättigung ist einfach zu übermächtig.

PS: Wie sich das Teil auf der Rennstrecke anfühlt, haben wir vor einem Jahr hier beschrieben. Der Autor Axel Griesinger hat ausserdem feine Seiten im Netz. Empfehlenswert, nicht nur für Mini-Fans.

Mehr Mercedes-Benz gibts im Archiv.


Original: radical

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