Ich bin kein Bus!, Fahrbericht Mercedes-Benz V-Klasse 1933
Fahrbericht
Mercedes V-Klasse
Noch nicht erstellt
Über den Jaguar F-Type wollen wir nicht schreiben, über den Porsche 911 Targa können wir gar nicht genug schreiben, so gut gefällt der uns. Und nach zwei Sportwagen jetzt das: Eine Schrankwand aus Stuttgart! Radical sattelt um auf Fernfahrer? Falsch, denn Mercedes-Benz sagt: Das ist eine Grossraumlimousine und kein Transporter. Um uns dies zu beweisen schickten uns die Schwaben in ihrer neuen V-Klasse auf die Insel und wir liessen uns erst einmal chauffieren. Natürlich ganz hinten rechts, wo auch sonst?
Wir nehmen nach dem Öffnen der elektrischen Schiebetür also Platz auf dem weich belederten Einzelsitz eines V 250 BlueTec Avantgarde. Wir geben dem Fahrer das Zeichen, die 190 PS der Topmotorisierung zu starten, um die geplante Reiseroute vom Hamburger Flughafen Richtung Sylt einzuschlagen. OM651, dies die interne Motorenbezeichnung, nimmt geschmeidig seinen Dienst auf und grummelt selbstzündend vor sich hin. Hier wird Fortschritt hörbar. Während man im Vorgänger Viano immer glaubte, dass speziell die vierzylindrigen Diesel Aggregate eher im Innenraum, statt im separaten Motor-Kompartiment ihre Arbeit verrichteten, ist die V-Klasse hervorragend gekapselt. Zusätzlich verspricht Mercedes-Benz mit diesem weiterentwickelten Biturbo Motor Sechszylinder-Kraft mit Vierzylinder-Verbrauch. Das mit dem Verbrauch können wir sogar bestätigen, denn unser Chauffeur, der es gekonnt versteht, den 2,2 Tonner mit Tempi jenseits der 160km/h über Bundesdeutsche Autobahnen zu treiben, bestätigt auf Nachfrage, dass die Durchschnittsverbrauchsanzeige geflissentlich vor der 12 Liter Grenze inne hält. Dieser Wert ist natürlich kilometerweit entfernt von den versprochenen 6,0 Liter Diesel, doch wer eine Querschnittsfläche von rund 3,6 m² durch den Wind peitscht, muss mit solchen Verbrauchsstürmen rechnen. Gut, dass man im Inneren davon nicht viel mitbekommt, denn Dank des aerodynamischen Feinschliffs (cw = 0,31) an diesem 5,14 Meter Koloss pfeift und zischt nichts, wenn man verzweifelt nach einer 12-Volt-Steckdose für sein Smartphone oder einer Sitzheizung sucht.
Ersteres gibt es, jedoch nur in Kombination mit einem 935 Franken teuren Klapptisch. Der zweite Wunsch bleibt für die beiden hinteren Sitzreihen leider unerfüllt, denn die Bestuhlung der maximal sechs hinteren Sitzplätze ist nicht fest verschraubt, sondern kann bei Bedarf verschoben, ausgebaut oder gedreht werden. Wobei man sich das gut überlegen sollte, denn unser Wunsch, einmal gegen die Fahrtrichtung chauffiert zu werden, führt zu einer 45 minütigen Fahrtunterbrechung und brachte drei Männer fast zur Verzweiflung. Nicht weil so ein Einzelsitz knapp 30kg wiegt, sondern weil der Wiedereinbau eine überraschend hohe Präzision bedarf, damit die sechs Greifarme wieder sauber in den zwei Laufschienen auf dem Führungsschlitten einhaken. Der strategische Projektleiter Dr. Klaus-Jürgen Benzinger erklärt den Hintergrund für das mühsame Gefummel: «Die gesetzlichen Prüfnormen verlangen einen Zugkrafttest an den Gurten der Einzelsitze mit fünf Tonnen. Da muss dann einfach alles halten.»
Wir entschuldigen uns bei dem Lenker unserer V-Klasse für den zeitlichen Verzug und betrachten die Grossraumlimousine etwas beschämt von Aussen. Ja, das ist an der Front die neue Formensprache, wie man sie aus dem Pw-Bereich seit Einführung der aktuellen A-Klasse kennt: Aufrechte Kühlermaske, grimmiger Blick, der durch die Tagfahrlichtbraue der optionalen LED Scheinwerfer zusätzlich betont wird. Das mag man oder eben nicht. Im Profil beweisen die schwäbischen Designer dann, dass man einem rechteckigen Quader durch den geschickten Einsatz von Lichtkanten, sowie konkaven und konvexen Flächen durchaus Dynamik verleihen kann. Die V-Klasse steht stämmig vor einem und glänzt besonders mit ihrem praktischen Heck, das sich in der gehobenen Avantgarde Ausstattungslinie zweigeteilt öffnet. Man muss also nicht immer die riesige Heckklappe komplett aufsperren (wofür wir dringend die Option «Easy Pack» empfehlen, denn dann klappt das elektrisch), sondern kann sich auf die Heckscheibe beschränken. Einmal geöffnet findet man eine zweite Ablagefläche auf Höhe der Heckscheiben-Unterkante, samt zweier praktischer Klappboxen. Doch bevor wir jetzt auf die Idee kommen, diese Funktionalität als mobile Theke zu interpretieren, an der man auch bei typisch norddeutschem Kackwetter unter dem Schutz der weit aufschwingenden Heckklappe ein Bier ordern könnte, wollen wir lieber selber einmal das Ruder übernehmen.
Der Eindruck aus der dritten Reihe bestätigt sich hier: Baureihe 447 fährt wirklich sehr gefällig und erinnert tatsächlich mehr an einen Personenwagen, als an einen Transporter. Verantwortlich ist dafür in erster Linie eine elektromechanische Servolenkung, die eine überraschend präzise Rückmeldung von der 18 Zoll Rädern an den Fahrzeugführer gibt, ein butterweich schaltendes 7-Gang-Automatikgetriebe und das selektivem Dämpfungssystem, welches die V-Klasse straff, aber nicht unkomfortabel federn lässt.
Nur wofür der im «Agility Select Schalter» wählbare Sportmodus ist, bleibt uns verschlossen, denn die daran gekoppelte Drehzahlanhebung nervt und die Verhärtung der Lenkung ist überflüssig. Zusätzlich suggeriert natürlich auch das Cockpit, von dem wir schon vor einiger Zeit geschwärmt haben, den Limousinen-Charakter. Doch leider mussten wir in der Praxis feststellen, dass diese Verwandtschaft zur C-Klasse in der Praxis ein Problem aufwirft: Es gibt nur eine vernünftige Ablagemöglichkeit und die befindet sich irgendwo im tiefen Graben zwischen Fahrer und Beifahrer.
Da hilft dann alles Marketing nicht: Die Sitzposition ist und bleibt einfach bustypisch hoch und aufrecht. Doch es ist in unseren Augen keine Schande, ein grosses, praktisches Transportmittel zu sein. Auch auf der Luxusinsel Sylt nicht. Warum wollen die Stuttgarter also mit aller Gewalt dieses Fahrzeug als „Grossraumlimousine“ tituliert wissen? Denn auch wenn Mercedes-Benz mit diesem Van den derzeit einzigen echten Wettbewerber überflügelt, bleiben Volkswagen Multivan und V-Klasse in der Wahrnehmung einfach immer eins: Kleinbusse. Und das ist auch gut so, denn damit sind sie schon eierlegende Wollmilchsau genug.
Die V-Klasse steht ab Juni in den Showrooms und startet in drei Längen ab 52'900 Franken - natürlich gegen oben weit offen. Die Modellpalette wird ab Winter 2014 um allradgetriebene Varianten ergänzt.
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Diese Zeilen stammen von unserem grossen Mann für die kleinen Autos. Axel Griesinger ist unser Mini-Almanach, aber er kann auch mit Kleinbussen. Logisch, da ist ja das Wort «klein» auch drin...
Original: radical