3, 2, 1 - meins!, Nürburgring verkauft 1918
Nürburgring verkauft
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Mechthild blickt auf die Geschichte und die Zukunft des eben verkauften Nürburgrings. Und hat auch sonst eine feine Klinge, nachzulesen: hier!
Der Nürburgring. Eigentlich eine 1927 als „Gebirgs-, Renn- und Prüfungsstrecke“ eröffnete Rennstrecke. Eigentlich. Denn in Wahrheit ist der Nürburgring eine Legende. Vielleicht die letzte grosse im Motorsport überhaupt. Was im Jahr 1927 als Notstandsmassnahme für den ärmsten Landkreis Preussens erdacht wurde und als Ziel die produktive Erwerbslosenfürsorge hatte, sollte nach den ersten Rennveranstaltungen bereits einen ehrwürdigen Ruf erhalten. Auf der 28,3 Kilometer langen Strecke, bestehend aus Teilen der Nordschleife, der Südschleife und der Start-Ziel-Schleife, die je auch einzeln befahren werden konnten, sah Rudolf Caracciola beim Eifelrennen im Sommer 1927 als erster Rennfahrer die Zielflagge um danach mit blutigen Blasen an den Händen von einer „bärig schweren“ Streckenführung zu sprechen.
Es folgten weitere fahrerische Grosstaten, so etwa 1957 beim Grossen Preis von Deutschland, als ein mässig von der ersten Position gestarteter Juan Manuel Fangio auf seinem Maserati 250F #2529 nicht nach dem Start zurückfiel, sondern auch noch beim Boxenstop 48 Sekunden wegen einer heruntergefallenen und von den Mechanikern nicht sofort wiedergefundenen Radmutter an der Hinterachse auf die führenden Ferraris von Collins und Hawthorn verlor. In den kommenden neun Runden brach ein wie entfesselt fahrender Fangio den Rundenrekord neun Mal in Folge um sich in der vorletzten Runde direkt hinter den beiden Ferraris wiederzufinden.
Wer das Rennen am Ende gewonnen hat sollte klar sein. Fangio behauptete danach zwar in seinem Leben noch nie so schnell gefahren zu sein und auch nie wieder so schnell zu fahren, die Legende war ihm aber sicher. Und die des Nürburgrings um eine reicher. Doch nach dem Tod von Marimón 1954 und Collins 1958 nahm auch der Gegenwind für die legendäre Rennstrecke zu. Kaum moderne Streckensicherungsmassnahmen seien möglich, zu wenig Platz, zu lange Rettungswege. Bereits 1970 kam es zum ersten Boykott durch die F1-Fahrer.
Einige Umbaumassnahmen später gastierte die Königsklasse wieder in der Eifel, 1976 jedoch ein letztes Mal. Das Rennen fand im Feuerunfall von Niki Lauda seinen tragischen Höhepunkt.
Schon in der Saison 1977 wurden deshalb neue Ideen diskutiert, wie man den Spitzensport in der Eifel halten könne. Die Idee für eine neue und moderne GP-Strecke war geboren. Für den altehrwürdigen Nürburgring bedeutete dieser Entschluss den langsamen und leisen Abschied vom grossen Motorsport. Erst wanderte die Motorrad-WM ab, 1983 endeten dann auch die Rennen von Formel 2, DRM, 1000km und der Sportwagen-WM.Mit der Einweihung der neuen GP-Strecke 1984 kam auch die Formel 1 wieder. Allerdings nur kurz. Erst 1995 kam der Lichtblick, als man neben Hockenheim (dem Veranstalter des Deutschland GPs) bis 2006 den Europa GP in der Eifel ausrichten durfte. Doch dann, zumindest in etwa, begannen die echten Probleme.
Weil man im immer absurder werdenden F1-Zirkus Schritt halten wollte, wurden unglaubliche Antrittsgelder an Bernie Ecclestone gezahlt (16 Mio. Euro jährlich) und das Gastspiel der Motorsport-Königsklasse wurde so ein finanzielles Desaster für den Ring. Alleine 2004 und 2005 waren es rund neun Millionen Euro Verlust für die Formel 1-Rennen. Um die Abwärtsspirale aufzuhalten wurde deshalb 2007 das Konzept «Nürburgring 2009» geboren. Ein Idee, die neben einer neuen Haupttribüne mit VIP-Logen, der Erlebnismeile ring°boulevard, einem Indoor-Themenpark mit 4000m^2, zwei Hotels, ein Feriendorf, sowie unzählige Restaurants, Diskotheken und Souverniershops beinhaltete. Nicht zu vergessen die Achterbahn ring°racer – die allerdings nach diversen Pännen und Unfällen statt 2009 erst vor wenigen Monaten in Betrieb ging. Ein Freizeitpark also. An einer Rennstrecke. Weil das niemand so richtig brauchte, höchstens die unfassbare Weite des überdachten ring°boulevards bei schlechtem Wetter als Unterschlupf nutzte, wurde aus der Idee Ganzjahresdestination Nürburgring nur ein teurer Flop. 480 Millionen EUR um genau zu sein, so gibt es zumindest die Europäische Union bei ihren Beihilfen an. Im November 2012 wurde dann die Reissleine gezogen und das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Partymeile am Ring hat die Steuerzahler in Rheinland-Pfalz etwa 330 Millionen Euro gekostet. Gegen die Verantwortlichen Politiker und damaligen Geschäftsführer der Ringgesellschaften laufen bis heute Gerichtsverhandlungen.
Im Rahmen der Insolvenz wurde lange nach einem geeigneten Investor gesucht, begleitet von massiven Protesten aus der Region, die gegen den Verkauf des Rings in private Hände Position bezogen. Gestern Abend dann hatten alle Spekulationen ein Ende, als die Insolvenzverwalter zur Pressekonferenz luden. Der Ring ist verkauft. An die Capricorn Group mit Sitz in Düsseldorf. Der Preis von 77 Millionen Euro zuzüglich der Zusage von 25 Millionen Euro Investitionssumme für weitere Entwicklung des Rings scheint nur mit Blick auf die horrenden Investitionen in den Freizeitpark gering.
Den Experten schätzten den Wert der ganzen Anlage gegen Ende des vergangenen Jahrs auf lediglich 130 Millionen Euro. Das nicht die scheinbar höherbietenden H.I.G. Capital aus den USA den Zuschlag bekam, lag am Nutzungskonzept von Capricorn.
Der Ring solle als das erhalten bleiben, das ihn berühmt gemacht hat. Als Renn- und Prüfstrecke. Der Motorsportzulieferer aus Düsseldorf, der seit Beginn der 2000er am Nürburgring ein Testcenter und eine rasant wachsende Composite-Fertigung betreibt, stellt gleich zu Beginn klar, dass er das Erlebnisdorf «Grüne Hölle» rückbauen werde und der ring°racer bereits an einen Freizeitpark in der Umgebung verkauft sei. Auch andere, besonders für den Gelegenheitsbesucher lästige Mechanismen wie das bargeldlose Bezahlsystem ring°card wolle man abschaffen. Auf der durch den Rückbau der ungenutzten Partymeile freigewordenen Fläche möchte Capricorn-Geschäftsführer Robertino Wild einen Technologiecluster ansiedeln. Eine enge Zusammenarbeit mit den Grossen der Branche pflegt Capricorn seit Jahren, unter anderem sind die Düsseldorfer das einzige Unternehmen im sogenannten Industriepool, das Zulieferer und kein Automobilhersteller ist. Es sollen Zusammenarbeiten mit Hochschulen entstehen, Einrichtungen wie das Fraunhofer-Institut könnten ihren Weg in das Technologiecluster finden – eine Art Silicon Valley, nur eben zum Thema Automotive und in der Eifel.
Für den Breitensport soll sich nicht viel ändern. Der Ring wird weiterhin die bekannten Veranstaltungen beherbergen und auch die Schranke für die Touristenfahrer geöffnet halten. Angst vor horrend steigenden Preise, weil ja nun ein privater Investor seine Kosten bedienen muss, sind auf den ersten Blick unbegründet. Das von Capricorn vorgelegte Nutzungskonzept legt einen klaren Schwerpunkt auf langfristige Zusammenarbeit mit der Industrie. Die Schaffung besserer Rahmenbedingungen für die dortigen Entwickler ist den Konzernen bares Geld wert, mit dem sich die Einnahmenseite auf dem Nürburgring deutlich verbessern lässt. Auch charmante Ideen, wie etwa das Trennen von Motorrad- und Autofahrern während der Touristenfahren, kann man nur begrüssen. Und so scheint es, als hätte allem vorherigen Wahnsinn und allen Unkenrufen zum Trotz, ein echter Petrolhead den Zuschlag für den Ring erhalten. Wir finden das gut so!
Original: radical