Supertest 2013 (10), Supertest 2013 (10)-1370
KTM X-Bow GT
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Es begab sich in einem Wald in der Umgebung von Wien, als ich wieder auf den Boden der Realität zurückgeholt wurde. Die Sonne schien, eine schöne Stecke, ziemlich eng, viele Kurven, hügelige Landschaft, null Verkehr. Vor mir einer aus dem Supertest-Team, der jeweils ganz schön flott unterwegs ist, ich dahinter im KTM X-Box GT. Vernaschen würde ich ihn, dachte ich mir, hatte ich mir vorgenommen, weil eben: KTM, das ultimative Spassgerät. Es kam dann anders: fast hätte ich den X-Bow weggeworfen. Nicht einmal, nein, gleich: öfter. Zuerst einmal: kein ABS, hatte ich vergessen. Dann: kein ESP, hatte ich auch vergessen. Also ruderte ich schon in den ersten flott gefahrenen Abschnitten ganz nah am Abgrund, Himmel, ist das ein Biest, eine Sau, wenn Du da nicht voll konzentriert bist, auf jedem Meter, dann bist du verloren. Nach ein paar Kilometern hatte ich das dann so einigermassen im Griff, also, sauber anbremsen, was nicht einfach ist, die Bremsen packen grob zu, der Pedalweg zwischen nicht so viel und voll ist ziemlich kurz. Dann sehr präzis durch die Kurve zirkeln (das hingegen geht bestens). Und dann auf gar keinen Fall zu früh wieder aufs Gas, der Wagen muss stabil sein, in die richtige Richtung schauen, das Fahrpedal wie ein rohes oder Dein eigenes Ei behandelt werden, sonst bist Du einfach: weg. Passierte mir zum Glück nie (anderen schon). Doch das Gerät fordert Dich, immer, immer, es braucht viel Erfahrung, bis man mit dem X-Bow auch wirklich schnell unterwegs sein kann. Und es braucht «balls», «cojones», mächtige, sonst schleichst Du damit durch die Gegend wie eine X5-Q7-GL-Mami.
Auf dem Genfer Salon im vergangenen Frühling präsentierten die Österreicher die Variante GT mit so etwas wie Scheiben rundum (ein Dach gibt es selbstverständlich weiterhin nicht), und die darf man jetzt auch ohne Kopfbedeckung fahren. Wir hatten da ja etwas Angst, dass der X-Bow nun weichgespült wird. Doch die ist vollkommen unbegründet.
Zwar halten die Plexiglas-Scheiben tatsächlich den Wind so ein bisschen ab, doch das Vergnügen ist weiterhin sehr, sehr offen – und es empfiehlt sich unbedingt, mindestens eine Schirmmütze zu tragen, denn von oben trifft die Sonne weiterhin direkt ins Gesicht des Fahrers, da gibt es keinerlei Rahmen, hinter dem man Schutz suchen könnte. Das Motorradgefühl stellte sich weiterhin ein, das ist erfreulich.
Und der Wahnsinn hat weiterhin Methode beim KTM X-Bow. Angetrieben wird der GT, der 850 Kilo wiegt, von einem 2-Liter-Turbo von Audi, der über ein manuelles 6-Gang-Getriebe flotte 285 PS an die Hinterräder abgibt. Diese Maschine macht den X-Bow, der definitiv kein Vorbild in Sachen Aerodynamik ist, zwar nur gerade 231 km/h schnell, dafür beschleunigt er in 4,1 Sekunden auf 100 km/h. Als Verbrauch gibt KTM, gemäss Norm, 8,3 Liter an.
Doch das sind rein akademische Werte, sie können bei weitem nicht ausdrücken, welch hirnrissiges Gerät der X-Bow in Tat und Wahrheit und auf der Strasse ist. Es braucht schon ein bisschen Erfahrung, sich nur schon in den KTM reinsetzen zu können. Zwar kann man das Lenkrad abnehmen, doch das ist nur Show (wir haben von solchen gehört, die das Ding dann nicht mehr fanden, das ists dann nicht besonders sexy...). Ist man einmal drin, gilt es, die Renn-Gurte zu montieren, eine Übung, die ein paar Minuten dauert; den coolen Gentleman-Start, bekannt von Sascha Hehn und seinem Golf Cabrio aus der «Schwarzwald-Klinik», den kannste mit dem X-Box vergessen. Oder hast dann ein Problem mit den «balls».
Aber dann mal los. Der Vier-Zylinder-Turbo hat leider keinen feinen Klang, das manuelle Getriebe braucht einiges an Kraftaufwand, die Lenkung ebenfalls, denn Servo ist etwas für Warmduscher. In der Stadt lässt sich der GT trotzdem relativ problemlos fahren, das Problem ist höchstens, dass man etwa auf der Höhe des Trottoirs sitzt, selbst Kleinwagen so gross wie Lastwagen erscheinen. Hat man dann die Landstrasse erreicht, dann – braucht es halt Mut, siehe weiter oben. Hat man das dann so einigermassen verstanden, dann ist die Fahrfreude gewaltig, grossartig, die Präzision der Lenkung, das knüppelharte Fahrwerk, der potente Motor mit seinem fetten Drehmoment (420 Nm bei 3200/min) sorgen für ein Dauerlächeln im Gesicht des Fahrers. Doch, eben, es ist immer ist höchste Konzentration gefordert, der GT verzeiht keine Fehler. Und weil es ja keinerlei Schutzzonen gibt bei diesem Wagen, möchte man nicht unbedingt die Bekanntschaft eines Baumes oder einer Mauer machen.
Hätte durchaus geschehen können, denn beim X-Bow, den wir im Supertest hatten, stellte sich im Nachinein heraus, dass das Fahrwerk komplett verstellt war. Nicht zum Guten; niemand weiss, warum, oder wer. Einstellmöglichkeiten können ein Segen sein, aber halt auch ein Fluch.
Und deshalb muss man die Zeit, die Karl Wendlinger auf dem Slowakia-Ring erreichte (2'29,55, nur unwesentlich schneller als der Cayman S) sowie seine Kommentare zum Fahrverhalten schon ein wenig relativieren. Karl: «Ist zu unruhig. In den schnellen Passagen, wenn man schlagartig vom Gas geht - das kann er gar nicht.» Karl: «Also bist Du ständig am Schauen, ob er kommt oder net.» Sorry, ich hatte das nicht gemerkt, ich kenn die KTM zu wenig, aber da war ich nicht der einzige. Aber es erklärt so ein bisserl, warum ich so sehr am Rudern war, dauernd.
Aber, trotzdem: Es gibt nicht viele andere Automobile, die derart hart und herzlich die reine Freude am Fahren propagieren. Sitze gibt es eigentlich nicht, das sind Schalen, Federung ist auch nicht viel, wers im Kreuz hat, der sollte auf die Anschaffung eines KTM verzichten. So richtig Spass hat man eigentlich sowieso nur, wenn man den KTM zwischendurch auch auf der Rennstrecke bewegen kann – oder ganz früh am Morgen, wenn die Strassen noch leer sind, die uniformierten Freunde und Helfer noch tief schlafen. 111 000 Franken kostet der GT, das ist viel Geld für ein Auto, dessen Alltagstauglichkeit gegen null geht. Andererseits: Viel wilder geht es nicht, und das darf man sich schon etwas kosten lassen.
Müssen wir noch etwas schreiben darüber, wie der KTM so ist im Vergleich zu seinen Konkurrenten im diesjährigen Supertest? Nein, eher nicht, er ist unvergleichlich. Wir empfehlen: nicht gleich kaufen, zuerst probieren. Entweder ist man nach einer Ausfahrt mit dem X-Bow für immer für den Rest der Auto-Welt verloren - oder man setzt sich nie, nie wieder in so ein Ding. Kundschaft bis anhin: 102 Prozent Jungs. Könnte etwas mit den «balls» zu tun haben. Derzeit wird der KTM X-Bow einzig von der X-Bow Schweiz GmbH in Recherswil importiert, Infos über www.allsports.ch.
Die Übersicht über den Supertest 2013 gibt es: hier.
Original: radical