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Supertest 2013 (2)-1354

Published in radical-mag.com

Noch nicht erstellt

(Ihr werten Freunde des Sterns, wendet Euch ab von diesem Text, hier kommt es: grob.)

Da habe ich kürzlich Bilder zusammengestellt für den Fahrbericht vom S400 Hybrid, und dann kam da plötzlich die Frage auf: ist das überhaupt schon der Neue? Ich hab dann meinen Kollegen gefragt, der war auch unsicher, wir mussten dann auf den Website von Mercedes gehen, damit wir Gewissheit hatten. Aber es ist ja eh nur ein «Facelift», es hat sich mittlerweile herumgesprochen, wie Daimler da die EU-Normen austricksen will und anscheinend auch kann (dazu kommen wir dann noch), doch es ist auch so, dass die neue S-Klasse halt optisch nicht der grosse Wurf ist. Etwas, wie soll ich mich ausdrücken: langweilig? Ein grosses, grosses Automobil, aber genau diese Grösse würde doch auch viele Möglichkeiten bieten, das eine oder andere hübsche Detail einzubauen. Sie ist mächtig, die S-Klasse, aber es fehlt ihr trotzdem der machtvolle Auftritt eines Bentley. Vom Charisma eines Rolls-Royce will ich gar nicht schreiben - und dabei muss die neue S-Klasse doch auch noch den unrühmlich verstorbenen Maybach ersetzen, oder hat man bei Daimler die grossmäulige Ankündigung in diesem Zusammenhang im Vorfeld schon wieder vergessen, im Sinne von: was kümmert mich mein Geschwätz von gestern? Ich seh sie kaum, auf der Strasse, was aber nicht allein daran liegt, dass sie so unauffällig ist: bis Ende September hat Mercedes in der Schweiz 119 Stück an S-Klassen verkauft (das sind die alten Modelle zu Abverkaufspreisen noch mit dabei), Ferrari schaffte vom F12 im gleichen Zeitraum immerhin 128 Exemplare. Einverstanden, es ist ein klarer Trend gegen unten bei den Oberklasse-Limos, sowieso, wenn man auf die Verkaufszahlen schaut: 2006 verkaufte Mercedes in der Schweiz noch 690 Stücker, 2007 waren es 679, 2008 490, 2009 362, 2010 265, 2011 327, im vergangenen Jahr waren 204.

Sie ist «trotzdem» schlecht gestartet, die S-Klasse, es gab Haue von allen Seiten.

Mercedes S500
Noch nicht erstelltMercedes S500
Als «das Beste oder nichts» gepriesen, gab es schon vor dem Serienanlauf viele Diskussionen um die Klimaanlage und das Kältemittel 1234yf, das Daimler nicht verwenden will, weil es - anscheinend - zu Bränden führen kann. Das mag durchaus sein, die Diskussion ist kontrovers, doch es ist halt einfach so: Regeln sind Regeln, die gelten auch für Mercedes. Zwar sieht es mittlerweile so aus, als ob die Übergangsfristen für 1234yf einfach bis ins Jahr 3013 verlängert werden, die deutsche Automobilindustrie hat viel, viel Macht in Brüssel. Doch der erste Image-Unfall gerade für die S-Klasse war schon da, bevor sie überhaupt auf der Strasse war. Und dann die Präsentation: Grosskotz vom Feinsten, Airbus und ein ganzer Flughafen und Propaganda wie einst. Und dann die ersten Fahrberichte: positiv, ja, aber vor Begeisterung überschlug sich nicht einmal die ansonsten sehr Stuttgart-freundliche deutsche Fach- und Tages-Presse.Mercedes S500
Mercedes S500
Mercedes S500
Mercedes S500
Mercedes S500
Es gab sogar jede Menge Kritik, auch zu Dingen, die von Mercedes als Weltneuheiten, als Alleinstellungsmerkmale angekündigt wurden. Ich möchte da jetzt nicht noch einmal ins Detail gehen, aber ich empfehle folgenden Artikel zur Lektüre: «Kritik des reinen Marketings». Haben wir die Innenraumparfümierung, wie es sie bei Citroën schon in den 50er Jahren gab und wie sie auch der unsägliche Beetle von VW hat, schon erwähnt?

Mein Problem ist: ich hasse Gebrauchsanweisungen. Wenn ich eine solche zücken muss, dann ist das Gerät, egal ob Blockflöte, Smartföhn oder Automobil, eigentlich schon verloren. In der S-Klasse kann man die Bedienungsanleitung als Film auf dem riesigen Bildschirm im Auto anschauen. Allerdings muss man zuerst die Bedienungsanleitung lesen, damit man diese Bedienungsanleitung als Film auf dem Bildschirm im Auto dann auch findet. Eigentlich wollte ich ja bloss die Klimaanlage ausschalten, so im Sinne von: aus. Nicht jetzt ein bisschen Wind von oben und etwas von der Seite und etwas mehr an den Füssen und links wärmer als rechts sowie hinten, sondern nur: aus. Ich hätte am liebsten ins edle Lenkrad mit dem schönen, altertümlichen Mercedes-Benz-Schriftzug gebissen. Ich will kein Auto fahren, in dem ich nicht einmal die elementarsten Dingens mehr tun kann, da geht mir der Grad der Parfümierung und die Ambient-Beleuchtung und kompletter Unsinn wie Armlehnenheizung aber sowas von vorbei am, Sie könnens sich vorstellen, das glauben Sie jetzt gar nicht. Ja, ich weiss, wenn ich so eine S-Klasse besitzen würde, dann würde ich eine Woche lang abends im stillen Kämmerlein sitzen und mir alles in Ruhe zu Gemüte führen, einen Samstag dafür investieren, sämtliche Dingens und Dödels nach meinem Gusto einzustellen, aber ich leide am typischen Kurzmut des Motor-Journalisten. Andererseits: einfach nur fahren geht wirklich nicht. Und wenn ich ein Buch lesen will, dann. Vielleicht mit der ansonsten unnötigen 360-Grad-Kamera?

Denn ich will ja vom Fahren berichten (ich habe schon vom Fahren berichtet, beim Fahrbericht S400 Hybrid). Und das Fahren ist: wunderbar.Mercedes S500
Wir hatten im Supertest das «geistige Basismodell» der S-Klasse, den S500, 4,7-Liter-V8, 483 PS dank BiTurbo, 700 Nm, gefühlt ab 1000/min, eine ausgezeichnete 7-Gang-Automatik, die irgendwie immer den richtigen Gang bereithält. Was bei dieser bulligen Kraft aber auch nicht ganz so schwierig ist. Er säuselt bloss, der V8, er wirkt auch bei höheren Drehzahlen nicht angestrengt, und er hat keine Mühe mit den knapp 2 Tonnen, die er über die Hinterräder antreiben muss. Im Vergleich zum Bentley ist der Benz ein Leichtathlet, und so fühlt er sich auf der Strasse auch an, mühelos, sehr souverän. Sehr komfortabel, das Langstreckenfahrzeug par excellence. Das aber auch mehr als nur ordentlich in die Kurve geht: man spürt es nicht so recht, aber man ist wohl schnell, auf den Landstrassen. 530 Liter Kofferraumvolumen, das ist anständig und gut zugänglich. Man sitzt auch gut hinten, fürstlich, deshalb ist ein grosser, gut zugänglicher Kofferraum noch wichtig, da kann man gern auch einmal zu 4t verreisen.

Dort am Berg, in engeren Passagen, ist dann eher nicht eine der Stärken des Benz. Zum Beispiel: wir mussten beim Supertest für den Photographen so durch zwei Spitzkehren, immer wieder, den Berg hoch, den Berg runter. Der Benz macht das edel, kaum Seitenneigung, und wenn man sauber kommt, alles im Griff hat, dann tut er kaum einen Wank. Doch ich fahr ja manchmal auch gern dort, wo es wehtut (dem Wagen), grob bremsen, hart reinhauen, wild aus dem Eck. Geht nicht mit dem S500. Da wird sämtliche Fahrfreud' aber sowas von konsequent im Keim erstickt, abgeregelt, per ESP und sonstigen Assis eingebremst (kann man die ausschalten? Steht wohl in der Bedienungsanleitung, Seite 752), da bleibst Du quasi stehen. Gut, Vatern, also der durchschnittliche S-Klasse-Kunde, seit einem Jahrzehnt im wohl oder vielleicht auch mit Üblem verdienten Ruhestand, macht solches eh nicht, weil es Muttern die dritten Zähne und die Haupthaarimplantate an die Doppelverglasung des Innenraums schmieren würde. Doch es sei die Frage erlaubt, was denn der ganze Aufwand in Sachen Fahrwerk soll, wenn da nicht kein Häuchlein Spass übrig bleibt? Überall ein Airbag, wo es nur einen Airbag haben kann, 10 Stück insgesamt, serienmässig.

Wendlinger, dieser Karl, meint dann aber nach seinen schnellen Runden auf der Rennstrecke: «Vom Sitzen und Schalten her ist er sicher die beste der Limousinen. Vom Fahrverhalten her am kompaktesten, das beste Paket.» Wir müssen nicht immer einer Meinung sein, der Karl und ich, ausser bei den Sitzen, die sind wirklich gut. Und Karl sieht nicht, was die Rundenzeiten sagen (wir verraten es dann erst später, beim Fazit). Und über die wilde Rauchentwicklung von den Vorderradbremsen schaut er hinweg, «obwohl ich eine Abkühlrunde hatte». Der Kühlschrank im Fond kostet 38 Flaschen mittelguten Champagner extra; TV im Fond kann man auch haben, kostet weitere 37,7 Flaschen.

So ein S500 kostet in der Schweiz ab 140'500 Franken. Er soll zwischen 8,6 und 9,1 Liter verbrauchen (das haben wir jetzt nicht ganz verstanden, auf was kommt es da an? Aber egal, es ist vorbildlich für solch ein Geschütz). Es ist, erfreulicherweise, schon vieles an Assis drin, aber man kann ihn selbstverständlich ordentlich aufrüsten, Nachtsicht-Assi für 3375 Franken (gab es vor gefühlten zwei Jahrzehnten in den Cadillac schon ohne Aufpreis), Burmester-High-End-Hi-Fi für knapp 10 Riesen, Aschenbechereinsätze sowie Doppel-Cupholder für je 114 Franken, und auch noch, keinen Head-up, keine vernünftigen Internet-Anschluss wie etwa im Tesla. Trotzdem, wir schreiben es gern: die S-Klasse ist, so man denn eine S-Klasse will und braucht, das Geld sicher wert, im Vergleich zur Konkurrenz sowieso, da ist sie fast schon ein Schnäppchen. Die Verarbeitung ist auf den ersten Blick bestens, die Langzeit-Qualität müsste vorbildlich sein, der Wiederverkaufswert ist eine Katastrophe, niemand will sich derzeit Oberklasse-Occasionen antun, ausser: mit massivem Einschlag. Der Kofferraumdeckel öffnet und schliesst auch von fern, automatisch, ohne Aufpreis, ohne Studium der Gebrauchsanweisung.

Mehr Mercedes gibt es im Archiv. Mehr Supertest gibt es: hier.


Original: radical

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