Open Menu
Open Menu
 ::

Mechthild meint:, Fahrbericht Mercedes S 63 AMG 1831

Published in radical-mag.com

Barbies rosarotes Lieblingspferd

Noch nicht erstellt
Unsere Mechthild ist den S 63 AMG gefahren. Das beste oder nix, heisst es bei den Schwaben. Ob Mechthild diese Meinung teilt?

Wenn Du im leichten Nieselregen auf dem Weg von der deutschen Grenze in Richtung München die Distronic Plus auf 200 km/h einregelst, die Hände vom Lenkrad nimmst und dich ganz darauf konzentrierst die Luftionisierung und die Innenraumbeduftung zu aktivieren, damit die frische Gülle nicht mehr so in der Nase beisst, weisst Du: 900 Nm sind einfach lächerlich. Hättest du vor wenigen Jahren noch ehrfürchtig vor dem Drehmomentberg darniedergelegen, bist du heute nur froh darüber, dass sich die Sitzbelüftung auch bei aktiver hot-stone Massage aktivieren lässt. Denn ganz ehrlich, die Steine sind einfach eine Spur zu heiss, länger als fünf Minuten hält man das kaum aus ohne die kühlende Brise aus der Tiefe des perforierten Ledersessels.

Überhaupt, diese Sitze sind wirklich einmalig. Abrahams Schoss kann nicht bequemer sein. Zumindest nicht individueller einstellbar. Wo wir eh beim Thema wären: Einstellen. In der neuen S-Klasse kannst Du einfach alles einstellen. Wie wäre es zum Beispiel mit Ambiente Beleuchtung in twilight purple? Oder eher late low red? Nein, daylight white sollte es sein, so ein bisschen Seriosität braucht es dann doch. Dabei kann man den S63 AMG eigentlich nicht ernst nehmen. Zu viele Tasten, zu viele Funktionen, zu viele Menüs, zu viele Spielereien – während du weiterhin mit einem 200er über die Autobahn gleitest, ohne auch nur einen Blick auf die Strasse zu werfen oder die Hände am Lenkrad hast.

Intelligent Drive nennt sich das Ganze. Im Klartext heisst das: der Benz kann es besser als du. Gut deshalb: 4Matic. Erstmals gibt es den S AMG auch mit vier angetriebenen Rädern. Und bei 900 Nm ist das auch bitter nötig. Denn wenn dich die Massage in einen wohligen Dämmerzustand gekrault hat und du aus Gründen der totalen Entspannung aus Versehen wie ein Grobmotoriker auf das Gaspedal steigst, dann läuft der Film vor Windschutzscheibe plötzlich in «fast forward». Da bist du froh, dass sich alle Viere um den Vortrieb kümmern.


Nicht auszudenken, wenn die 585PS sind allein an der Hinterhand vergreifen und dir der Zweitonner im engen Geläuf ständig auskommt. Da fängst du am Ende noch ohne heisse Steine an zu Schwitzen. Selbst mit dem «Performance orientierten AMG-Allradantrieb 4Matic» entgleitet dir die Fuhre ab und an. Etwa wenn du bei der Bergwertung am Obersalzberg am Audi A3 1.8T eines Eingeborenen dranbleiben willst.

Und diese Momente sind es dann auch, die dich zweifelnd zurücklassen. Er kann schon, irgendwie. Aber er darf nicht richtig, denn: zurückhaltend muss er sein. Nicht zu dick auftragen. Weder bei der Optik, noch beim Geräusch und in Sachen Komfort.




Und wenn die 7-Gang Speedshift Automatik dann beim Kickdown zwei Gänge zurücklupft und die nächste Fahrstufe in einer Strenge einlegt, dass du Angst hast die Getriebebrösel im Rückspiegel gleich durch die vier Auspuffrohre rieseln zu sehen – im nächsten Moment aber wieder in der totalen Stille sitzt, weil der S ja ein S sein muss, dann fragst du dich:  was soll das?

Wo ist der Wahnsinn? Wo ist das noch AMG? Der neue S63 ist mehr Apfelbaum und weniger scharfe Nockenwelle. Dabei hätte es in den Tiefen der Menüstruktur sicher noch ein paar Bits und Bytes für einen Sport Plus-Modus gehabt. Denn die Anlagen sind da: Abgasklappen für den richtig dreckigen V8-Sound, ein in Zug- und Druckstufe vollvariables Fahrwerk, eine steifere Fahrwerklagerung – die richtigen Zutaten eben. Nur, er darf nicht. Er ist einfach nur die schnellste Version des «besten Automobils der Welt». Dem russischen Oligarchen wird das auf dem Weg zum Ölfeld ebensowenig auffallen, wie dem chinesischen Hardwarefabrikanten. Dem Amerikaner mit seinem 25mph-Speedlimit sowieso nicht. Bloss, wenn es nur um den Liegesitz im Fond geht, das famose Burmester-Soundsystem, guten Duft und bunte Lichtlein, dann braucht es kein AMG-Logo. Ein Produkt aus Affalterbach muss immer ein bisschen vulgär sein. Ein Hot Rod. Ein feuerspuckendes Monster, vor dem du immer ein bisschen Angst hast. Nicht Barbies rosarotes Lieblingspferd. Und solange man ihm den Sport Plus-Modus verwehrt bleibt der S63 mehr der brave Gaul als der scharfe Hengst. Und das muss doch eigentlich nicht sein, oder?

Mehr Mercedes gibts im Archiv.



Original: radical

Related Items from Catalogue Show Related