Wasduwolle? Ruch, wie er lenkt und denkt
Ruch, wie er lenkt und denkt
Alle zwei Jahre, so etwa Ende August, überfällt mich eine gewisse Auto-Verdrossenheit. Es kommen dann jeweils fast im Minutentakt die News im Vorfeld der IAA, heuer waren es rund 100 Welt- und sonstige Neuheiten, welche uns die Hersteller um die Ohren prügelten. Man schaut sich das dann so an, liest so ein bisschen die angefügten Presse-Mitteilungen, betrachtet die Teaser-Bildchen, schüttelt dann und wann den Kopf, wirft das Zeug einfach in den Papierkorb. Oder schreibt dann halt ein paar Zeilen, wenn es ein einigermassen wichtiges neues Modell ist oder so ein Designer-Dings, das so ein bisschen anders ist als alles andere auch nicht. Die Aussicht dann, nach Frankfurt fahren zu müssen, wieder Dutzende von Kilometern zwischen der BMW-Overkill-Halle und dem charmebefreiten Riesen-Parkplatz des Volkswagen-Konzerns abmarschieren zu müssen, die macht die Vorfreude auch nicht grösser.
Heuer war es noch schlimmer als in anderen Jahren. Am Dienstagmorgen spazierte ich noch frisch im Geist und am Fuss traditionsgemäss zuerst zu Fiat, denn dort gibt es einen anständigen Kaffee. Und ja, auch ein paar hübsche Damen, deren Anblick den Morgen versüssen könnten (es seien deshalb diese Zeilen mit diesen Hostessen verschönert, mehr davon gibt es in der Bildergalerie). Man plaudert dann so ein paar Worte, nach den wilden Neuheiten des Fiat-Konzerns braucht man sich ja nicht zu erkundigen, denn solche gibt es auch in diesem Jahr nicht, doch dann redet man über die Aussichten für nächstes Jahr, es komme dann dies und das und jenes sicher nicht – und schon überfiel mich eine sanfte Tristesse. Obwohl den Italienern absolut zugetan muss ich mich fragen: kommt das gut? Kommt da überhaupt noch etwas, irgendwann?
Gut, weiter, da ist ja Hyundai in der Nähe. Die Koreaner sind die aufstrebende Marke, sie wollen zusammen mit Kia auch ganz nach oben, zum ersten Mal überhaupt hatte der Hyundai-Europa-Chef Allan Rushforth am Vorabend der IAA einige etwas forschere Worte gewagt gegen den Weltmachtsansprüche des Volkswagen-Konzerns. Das dürfte dann noch lustig werden in den nächsten Jahren, denn ganz kampflos werden sich die Asiaten nicht plätten lassen von den Norddeutschen.
Doch genau hier, bei Hyundai, wurde die schon vorhandene Verdrossenheit dann plötzlich stärker, ganz intensiv.
Also, da haben wir einen der führenden Konzerne, einen, der durchaus wohlgemut in die Zukunft schauen darf, Geld hat und auch Kraft und dazu noch Macht. Doch was zeigt Hyundai in Frankfurt? Den i10. Ein ganz netter Kleinwagen – und gleichzeitig eines dieser vielen Produkte, die eigentlich keine Zukunft mehr haben. Ganz einfach: ein Produkt. Geeignet für den Abverkauf. Und sonst: nichts. Keine Idee, keine Gedanken darüber, wie sich das automobile Weltbild verändert hat in den vergangenen Jahren und sich noch viel mehr verändern wird in den nächsten Jahren, soziologisch, politisch, philosophisch, überhaupt. Ein Blick zurück: vor einigen Monaten erschien eine Studie, die besagte, dass in Europa die grosse, grosse Mehrheit von Autos von über 45jährigen Männern gekauft wird.
Das ist keine grossartige Erkenntnis, per se, aber erschreckend ist der Rückgang bei den jungen Käufern, die noch vor wenigen Jahren doppelt so viele Neuwagen kauften wie 2012.
Hauptgründe dafür: die zu hohen Preise, eine steigende Unlust am reinen Besitztum – und eine gewisse Auto-Verdrossenheit. Es sind nicht mehr das Haus und das Auto und die schöne, kluge Frau und die drei Kinderchen und der Golden Retriever, die im Lebensplan als erstrebenswert erscheinen, sondern: keine Ahnung.
Und genau das ist das Problem, dieses: keine Ahnung. Man sieht es bei praktisch allen Auto-Herstellern, dass sie schlicht und einfach keine Ahnung haben, wohin der Weg führen soll. Und wird. Hyundai: Abverkauf von Produkten – und noch so ein bisschen Brennstoffzelle. Daimler: Abverkauf von Produkten – und ein Designproblem, was diesem Abverkauf von Produkten in Zukunft deutlich erschweren wird. Der Volkswagen-Konzern: Produkt, Produkt, Produkt, Produkt, vor lauter Produkten und dem treibenden Nummer-1-Anspruch ging längst der Blick auf das Grosseganze verloren. Die Franzosen: nicht einmal Produkte. Ford: der kleinste Stand auf der IAA, wohl aus gutem Grund, denn man hat nichts zu kommunizieren. General Motors: der hässlichste Stand auf der IAA – und null, null, null Visionen. Die Japaner: waren sie überhaupt da, auf der IAA?
Wer nichts zu sagen hat, spricht dann halt noch ein bisschen vom autonomen Fahren und all diesem «connected»-Müll, denn das sind für die Auto-Auguren gerade die Riesentrends. Interessiert bloss kein Schwein, man trägt das Smartphone ja in der Hosen- oder Handtasche, und das reicht alleweil. Und auch in Zukunft, denn die Dinger werden in so viel kürzerer Zeit so viel smarter als es ein Auto je sein kann, dass es die Automobil-Industrie eigentlich erschrecken müsste. Und dazu ist das Ding noch so ganz privat, es gehört mir, nur ich (und die NSA) kann sehen, was mir wichtig ist. Falsches Pferd, ihr Jungs von der Auto-Industrie, und dann noch von
hinten aufgezäumt. Apple, Samsung, Google & Co. Sehen keinen Grund,
weshalb sie ihre Vormachtstellung mit den Auto-Herstellern auch nur so
ein bisschen teilen sollten, die fressen den grossen Kuchen ganz
alleine.
Ich sehe nur anderthalb Ausnahmen: BMW und noch so ein bisschen Volvo.
Die Schweden sind gerade daran, sich neu zu erfinden, sie müssen, denn die langweiligen Anti-Visionäre von Ford können jetzt
nicht mehr als Entschuldigung herhalten. Selbstverständlich versuchen sie das über neue Produkte, das muss auch so sein, denn schliesslich verdient man nur mit Produkten Geld (das gilt natürlich auch für alle anderen Hersteller, da darf man mich jetzt nicht falsch verstehen). Aber Volvo denkt, erfreulicherweise, auch ein bisschen weiter, hat erkannt, dass die gesellschaftspolitischen Veränderungen zu einem ganz anderen Kaufverhalten führen werden – und dass man sich jetzt, jetzt, jetzt Gedanken darüber machen muss, Konzepte entwickeln und durchziehen muss, denn in sechs Jahren, auf der IAA 2019, ist es dafür zu spät. Die Automobil-Industrie ist aufgrund der langen Entwicklungszeiten sehr, sehr träge, sie müsste jetzt die Weichen stellen dafür, was auf der IAA 2019 gezeigt wird, doch sie tut es, mit wenigen Ausnahmen, nicht.
BMW, so macht es den Eindruck, hat als einziger Hersteller begriffen, wohin der Hase läuft – und auch warum. Es geht nicht allein um die clevere Trennung von reinem Abverkauf (die Stammmarke, die weiterhin die ganz grosse Kohle verdient) und Zukunft (die i-Untermarke, die in den nächsten Jahren ein paar Milliarden verbraten wird), es geht vor allem darum, am Puls der Zeit zu bleiben. Visionen zu haben. Und nicht bloss darüber zu reden, sondern diese auch aufzugleisen. Auf die Strasse zu bringen. Erlebbar zu machen. Und von den Erfahrungen, die teilweise wahrscheinlich bitter sein werden, profitieren und vor allem: lernen zu können. Flexibel zu bleiben – und nicht alles auf eine Karte zu setzen.
Bei praktisch allen Herstellern heisst diese eine Karte: Wachstum. Das ist ein altbekanntes Prinzip, die Mutter des Kapitalismus, das Benzin im Motor der Auto-Industrie. China, Russland, Brasilien, Indien, Mexiko, Indonesien und vielleicht irgendwann Afrika stehen im Zentrum, dort muss in Zukunft das Spaziergeld verdient werden, und dafür braucht man Produkte, Produkte, Produkte. Das wird auch noch ein paar Jahre funktionieren, der Rubel wird rollen, der Dollar brennen, doch dieses Geschäfts-Modell hat keine nachhaltige Zukunft, es ist business as usual - und wohin das führt, das erleben gerade die Banken. Noch kann man feist und dreist abkassieren, aber lange dauert das in dieser Form nicht mehr. Die Ansprüche an das Automobil werden sich nicht ändern – sie haben sich bereits geändert.
Denn die Zukunft ist: anderswo. Das Automobil, das immer grösser und intelligenter und sicherer und deshalb auch teurer wird, liegt in seinen letzten Zügen. Jene Menschen, die noch eine S-Klasse brauchen, um ihren Status nach aussen zu demonstrieren, sind ein elitäres Grüpplein, das glücklicherweise schon rein altershalber am Aussterben ist (dagegen spricht, dass die Lebenserwartung immer höher wird). Es mag noch Millionen Chinesen und Inder geben, die unbedingt das Automobil zur Selbstdarstellung brauchen werden, mit fetten Audi und scharfen Jaguaren und dicken Süffern zeigen möchten, dass sie es geschafft haben. Doch dieser Markt ist endlich, sein Ende ist absehbar, allein schon aus (verkehrs)politischen Gründen. Die chinesischen Städte werden niemals derart von individueller Mobilität durchdrungen sein wie Europa, dafür fehlt schlicht der Platz und die Infrastruktur. Und die Behörden können es auch gar nicht erlauben, es werden bereits jetzt Modelle aufgegleist wie jenes von Singapur.
Die Diskussion um das Automobil der Zukunft handelt nicht von verbrauchsoptimierten Verbrennungsmotoren, Elektroantrieben oder Brennstoffzellen. Sie handelt von Mobilitätskonzepten, Car-Sharing-Modellen und den gesellschaftspolitischen Veränderungen auf dieser Welt, in der das reine Besitztum immer mehr zu einem Luxusgut wird, dass sich nur noch eine winzige Minderheit leisten kann. Das heisst nicht, dass es in Zukunft keine individuelle Mobilität mehr geben wird, doch man wird sich vermehrt und vor allem verstärkt Gedanken darüber machen müssen, wie und wann man das Automobil tatsächlich einsetzen will und kann. Es heisst auch nicht, dass die Freude am Fahren verloren gehen wird, ganz im Gegenteil: wenn man den Fahrspass noch erleben darf, dann muss er noch intensiver, wahnsinniger, unmittelbarer sein als bisher. Es heisst auch nicht, dass es keine Produkte mehr braucht, es wird sie immer brauchen, doch der Zugang dazu wird ganz anders sein, der Gebrauch vernunftgesteuert (oder vom Staat), die Besitzmodelle anders, ganz anders.
Und am Abend schmerzten mich die Füsse. Und einmal mehr schwor ich mir: nie, nie wieder Frankfurt. Ausser vielleicht auf ein anständiges Mahl im Weinbistrot Lobster an der Wallstrasse in Sachsenhausen...
Original: radical