Fahrbericht Maserati Ghibli Q4-1292
Zuerst: erstaunlich, wie kompakt 4,97 Meter wirken können. Vorne eine ewig lange Motorhaube, dann ein massives Greenhouse, hinten ein Bürzel - und schon schaut der Ghibli, mit 4,97 Metern Länge auf dem gleichen Niveau wie der Panamera, so ein bisserl aus wie obere Mittelklasse, 5er, E-Klasse. Den Trick dafür haben wir nicht durchschaut, doch er funktioniert ja schon beim neuen Quattroporte, massive 5,26 Meter lang, bestens, auch der wirkt eleganter als noch so manches Oberklasse-Gerät. Der Quattroporte ist aber auch hübscher als der Ghibli, der hinten schon so ein bisserl aussieht, als ob er einen Auffahrunfall gehabt hätte.
Kofferraumvolumen beim Ghibli: 500 Liter. Aber seit wann interessiert bei einem Maserati das Kofferraumvolumen? Müssen wir uns jetzt, nach 99 Jahren zwar nicht immer schöner, aber doch faszinierender Geschichte, an solche Dinge gewöhnen bei den Italienern? Und auch daran, dass sie in Zukunft Modelle im Angebot haben, die nur noch 5,8 Liter im Schnitt verbrauchen sollen? Wollen wir wirklich einen Diesel im Dreizack? Wollen wir vorerst nicht, wie schreiben hier ein paar Worte über den Q4 mit seinem 3-Liter-V6-TwinTurbo, der 410 PS abdrückt - an alles andere müssen wir uns noch ein bisschen gewöhnen, auch an die Vorstellung, dass Maserati irgendwann in den nächsten Jahren 50'000 Exemplare pro Jahr absetzen will (2012: 6200 Stück, weniger als Ferrari).
Warum der neue Ghibli so heissen darf, das wissen wir nicht, es erscheint auch so ein bisschen ein Frevel an einem grossen Namen, zumindest, wenn man sich an die erste Generation entsinnen mag. Doch abgesehen davon haben die Italiener einen feinen Wagen hingestellt, einen ganz feinen Reisewagen, der bei Bedarf sehr fröhlich um die Kurven knallt. Sehr, sehr fröhlich sogar: man merkt ihm seine Länge und heftige Breite (1,95 Meter) sowie sein Gewicht (unter 1,8 Tonnen geht gar nichts beim Ghibli, der Q4 wiegt 1870 Kilo) nicht wirklich an.
Man sieht ihm die Grösse irgendwie nicht an.
Dabei misst er doch 4,97 Meter.
Auf das Knöpfchen für den versteiften Modus beim aufwendigen Fahrwerk kann man bestens verzichten, wie bei so vielen anderen Fahrzeugen auch, auf den nicht immer guten Strassen in der Toskana überzeugte der Ghibli mit souveräner Haltung auch bei fiesen Tritten auf das Fahrpedal.
Ein anderer Knopf in der Mittelkonsole ist aber wichtig, da steht «Sport» drauf, und es lässt den Ghibli nicht nur höher drehen und schneller schalten, sondern auch mächtiger röhren. Und das kann er dann richtig gut, es ist das Kläffen eines räudigen Köters beim Hochdrehen, ein erfreuliches Scheppern, wenn der ZF-8-Gang-Automat mit Zwischengas herunterschaltet. Was zu einem Benz oder einem Audi nicht so recht passen mag, gehört bei einem Maserati einfach dazu. Und die Italiener schaffen das beim Benziner ohne irgendwelche Soundklappen im oder für den Innenraum, es ist unverfälscht und ehrlich und gut so.
Man sieht ihm die Grösse irgendwie nicht an.
Dabei misst er doch 4,97 Meter.
Ob uns die Abstimmung der Automatik wirklich gefällt, hmm, das wissen wir jetzt nicht so recht: er erlaubt sich schon eine Gedenksekunde beim Herunterschalten, und das ist der Sportlichkeit nicht unbedingt förderlich. Andere ZF-Kunden, wir denken da vor allem an Jaguar, haben das noch ein bisschen besser hingekriegt mit dem Feintuning dieser Wunderbox.
Denn er animiert halt schon, der Ghibli Q4, man will es gerne fliegen lassen. Der Allradantrieb, der selbständig entscheidet, wie viel Kraft er auch die Vorderräder schicken will (zwischen 0 und maximal 50 Prozent) ist eine gute Sache: wir sind schon lange kein Fahrzeug mehr gefahren in dieser Kategorie, das keinerlei Tendenz zeigt, über die Vorderräder zu schieben. Es sind auch keinerlei Krafteinflüsse auf die erfreulich präzise Lenkung spürbar, das haben die Italiener wirklich gut gemacht. Und die 410 PS sowie das maximale Drehmoment von 550 Nm, das zwischen 4500 und 5000/min anliegt, kommen jederzeit an den Rädern und an und werden perfekt auf die Strasse übertragen. 0 auf 100 in 4,8 Sekunden, Höchstgeschwindigkeit 284 km/h, 10,5 Liter Most auf 100 Kilometern, zumindest in der Theorie. Gute Bremsen, fein dosierbar.
Es wird den Ghibli ab 73'550 Franken geben (das ist dann der Diesel), der Q4 kostet ab 93'420 Franken. Selbstverständlich sind das Kampfpreise, auch Maserati hat unterdessen erkannt, dass sich mit Sonderausstattungen Geld verdienen lässt, und da kann man noch gut einen Kleinwagen reinbuttern in so einen Ghibli. Ganz so arg wie bei den deutschen Premium-Herstellern ist es aber nicht.
Wie bei Maserati üblich, ist das Leder vom Besten, wunderbar verarbeitet - eher irritierend sind dann aber die Plastikverschalungen, die zwar wie Holz aussehen, aber halt kein Holz sind. Und auch was nach Chrom aussieht im Innenraum, ist dann Plastik.
Man sieht ihm die Grösse irgendwie nicht an.
Das mag nicht so ganz zum ansonsten sehr gediegenen Auftritt des «kleinen» Maserati passen, aber die Italiener dringen unterdessen in Preisregionen vor, in denen es früher nicht einmal einen anständigen Gebrauchten dieser Marke gab; irgendwo muss da gespart werden. Wir würden uns auch ein wenig mehr Detailliebe beim Gestühl wünschen, das ist ein bisschen gar ausladend, viel Seitenhalt ist da nicht. Gut ist, dass Maserati die Bedienung sehr einfach hält, es hat fast keine Knöpfe und Schalter, ein grosser Teil der Bedienung findet über das massige Infotainment-System statt, und das erscheint als gute Lösung. Ob sie dann auch im Alltag funktioniert, können wir nicht beurteilen, die Wartezeit auf das Navi erschien uns bei dieser ersten Probefahrt etwas gar lang, aber das ist man sich von Maserati ja gewohnt. Platz für die hinteren Passagiere ist auch vorhanden, üppig ist er allerdings nicht. Was dann aber wohl wieder dem guten Aussehen geschuldet sein dürfte; alles kann man ja nie haben.
Vermisst man den V8 im Ghibli? Vorerst nicht, aber das können wir ja erst sagen, wenn wir ihn, also: den V8 mit seinen über 500 PS gefahren haben. Er wird kommen, das ist noch nicht offiziell, aber sicher.
Sicher ist auch, dass der Ghibli eine interessante Alternative zu den herkömmlichen Luxus-Fahrzeugen ist. Zwar ist er irgendwie schwierig einzuordnen, von der Grösse her tritt der gegen A8, 7er, auch S-Klasse an, doch gefühlt und vom Preis her sind eher die Top-Versionen von A6, 5er, E-Klasse seine Gegner, auch ein Jaguar XJ vielleicht noch (kriegen wir Haue, wenn wir den unterschätzten Citroën C6 hier mal wieder erwähnen?). Doch eigentlich steht der Ghibli, wie auch sein grösserer Bruder, der Quattroporte, ziemlich allein, diese aussergewöhnliche Mischung zwischen wohltuender Eleganz und wildem Röhren kann nur aus Italien kommen, genau wie die kleinen, fast schon charmanten Fehler, die so ein Maserati einfach immer hat.
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Original: radical