Der elektrische Ernstfall: Mit dem Model3 kommt das Akku-Auto gar vollends im Alltag an – beinahe zumindest
Jetzt wird es so langsam Ernst in Europa – für die Elektromobilität im Allgemeinen und für Tesla-Chef Elon Musk genau wie für seine Konkurrenten im Besonderen. Denn nach schier endlosem Vorgeplänkel und wie immer bei Tesla ein bisschen später als geplant, ist jetzt endlich das Model3 auf dem Weg über den Atlantik, um das Akku-Auto auch in der alten Welt gar vollends zu einer alltäglichen Erscheinung zu machen. Schließlich wollen die Amerikaner damit beweisen, dass man auch ohne großes Vermögen vernünftige Reichweiten erzielen und ohne Kompromisse elektrisch fahren kann. Das ist ein Versprechen, an dem sich Mr. Musk genauso messen lassen muss und die Konkurrenz aus Europa, die so langsam aufgewacht ist und mit Autos wie dem VW ID Neo bald eine ganz ähnliche Position bezieht. Wenn das gelingt, dann kann man nicht nur das Akku-Auto tatsächlich ernst nehmen, sondern dann wird auch die Lage für VW & Co ernst. Und wenn es nicht gelingt, dann tritt für Musk der Ernstfall ein und er muss womöglich mehr als die 3 000 Mitarbeiter entlassen, die er gerade auf den Hof gesetzt hat. Spannend wird es also allemal, wenn das Model3 in diesem Frühjahr in den Handel kommt.
Den ersten Wortbruch begeht Tesla dabei schon, bevor man überhaupt hinter dem Lenkrad sitzt. Denn vom großspurig angekündigten Einstiegsmodell für 35 000 Dollar sind die Amerikaner meilenweit entfernt, selbst wenn man den Kurs großzügig umrechnet, die Steuern draufschlägt, die Elektroauto-Prämie abzieht und noch einen Aufschlag für den Transport und den Import einkalkuliert. Denn der Grundpreis liegt bei 55 400 Euro plus einer Bearbeitungsgebühr von rund 1 000 Euro, mit ein paar Extras ist man bei über 6 000 Euro und mit den potenteren Konfigurationen kommt man über 70 000 Euro. Damit ist der Tesla abgesehen von der halbwegs konventionellen Karosserieform Konkurrenten wie dem EQC von Mercedes, dem e-tron von Audi oder dem i-Pace von Jaguar deutlich näher als einem vermeintlichen Volksstromer wie dem ersten ID von VW
Sieht man einmal von der Preisfrage ab, kommt das Model3 dem Ideal von einem elektrischen Alltagsauto allerdings schon ziemlich nahe. Nicht nur, weil der Viertürer mit der leider nur kleinen Heckklappe und dem Design eines glatt geschliffenen BMW Dreier GT bei 4,69 Metern Länge und 2,88 Metern Radstand vorn mehr Platz bietet als ein Fünfer, hinten auf dem Niveau der konventionellen Mittelklasse-Limousinen liegt und in seinen gleich zwei Kofferräumen hinten 340 und vorne 85 Liter Gepäck verschwinden. Sondern schon die günstigste der aktuell zwei angebotenen Konfigurationen bietet mit einer Batteriekapazität von 75 kWh und zwei E-Motoren von zusammen 346 PS eine Normreichweite von 560 Kilometern und ein Spitzentempo von 233 km/h. Und wenn man im Top-Modell „Performance“ unterwegs ist, fühlt man sich eher wie in einem BMW M3 als in einem 318d. Immerhin drehen dann zwei E-Maschinen von 487 PS alle vier Räder, so dass es die immerhin knapp zwei Tonnen schwere Limousine in 3,5 Sekunden auf Tempo 100 reißt und die 250 km/h Topseed zu einer reinen Formalität werden. Und selbst wenn die 530 Kilometer Reichweite vom Prüfstand in der Praxis natürlich nicht zu halten sind, erst recht nicht, wenn man das Model 3 tatsächlich wie einen M3 bewegt, kann man die Ladestandsanzeige geflissentlich ignorieren. Spätestens nach ein, zwei Stunden lässt die Nervosität nach und man merkt schnell, dass man lässig durch den Alltag kommt. Das dürfte auch für die Variante mit um die 60 kWh gelten, die Tesla mittelfristig nachreichen will, und ebenso für das Einstiegsmodell mit 50 kWh. Den 250 echte Kilometer sollten auch dafür drin sein.
Dabei fühlt sich das Model3 deutlich souveräner und stimmiger an als etwas das Model S, so dass man den Amerikanern durchaus eine gewisse Lernkurve für Aufbau und Abstimmung attestieren kann. Doch weder ist der elektrische Herausforderer so komfortabel wie ein Mercedes, noch ist er so handlich und bestimmt wie ein BMW und spätestens ab 160, 170 km/h wird das Rauschen des Windes fast so laut wie in einem Cabrio. Da ist also genau wie bei der Materialauswahl noch immer ein bisschen Luft nach oben. Immerhin ist der Verarbeitung mittlerweile auf Industriestandard angekommen. Aber dafür hat sich Tesla beim Produktionsanlauf ja auch schmerzhalft viel Zeit gelassen.
Doch wahrscheinlich hat Elon Musk recht, wenn er die Aufmerksamkeit seiner Mannschaft auf andere Eigenschaften lenkt. Denn die Zeiten, in denen Fahrdynamik kaufentscheidend war, gehen unweigerlich zu Ende. Und mehr als mit Torque-Vectoring oder variabler Dämpfung beeindruckt man heute mit einem großen Touchscreen und einer weitreichenden Digitalisierung – und da ist Tesla ganz vorn.
Man fühlt sich deshalb fast schon verloren im Model3, so leer ist das Cockpit. Hinter dem Lenkrad? Nichts! Auf dem Mitteltunnel? Nichts! Auf dem Armaturenbrett und in der Mittelkonsole? Nichts. Bis auf die Fensterheber in den Türen, die zwei Bedienhebel hinter und die zwei Drehwalzen im Lenkrad gibt es im Tesla keinerlei haptischen Bedienelemente mehr. Selbst der Schlüssel wird zu einer erschreckend fragilen Chip-Karte, die man nur noch selten aus dem Portemonnaie holen muss. Alles, was es in diesem Auto zu bedienen gibt, macht man über den Touchscreen, der größer ist als die meisten Tablet-Computer und zugleich als Fenster in eine umfassende Infotainment-Welt fungiert. Das sieht klasse aus und funktioniert kinderleicht, geht aber manchmal, ein wenig über das Ziel hinaus. Denn es gibt gute Gründe, weshalb man das Handschuhfach seit über 100 Jahren mit einem Griff öffnet, die Lüfter von Hand einstellt und die Außenspiegel mit einem Schalter oder einem Hebel in der Tür justieren kann.
Was Tesla neben dem bedingungslosen Bekenntnis zur Elektromobilität noch ausmacht, das ist das Vertrauen in die Assistenzsysteme. Zwar können die Amerikaner wahrscheinlich auch nicht mehr als Mercedes oder BMW, schalten aber viel mehr frei als die konservativen Deutschen. Deshalb sucht sich das Model3 auch dort selbst seinen Weg, wo ein Siebener oder eine S-Klasse das Kommando an den Fahrer übergibt. Und wo die Autpiloten bei den Deutschen den Fahrer nach ein paar Sekunden Untätigkeit wieder in die Pflicht nehmen, kann man im Tesla die Hände minutenlang in den Schoß legen – selbst wenn einem der Gesetzgeber in dieser Zeit keine Nebentätigkeiten erlaubt.
Ach ja, und dann gibt es da noch einen gravierenden Unterschied zwischen dem Herausforderer aus Kalifornien und den Elektroautos der etablierten Hersteller: Eine erfrischend augenzwinkernde Selbstironie, die gepaart mit den regelmäßigen Software-Updates über die serienmäßige Datenfunkverbindung zu erstaunlichen Ergebnissen führt. So verwandelt sich das Model3 pünktlich zu Weihnachten in Santas Schlitten und ruft bei jedem Blinken laut „HoHoHo“ durch die Bordlautsprecher, sondern spätestens wenn man die Funktion „Furzkissen“ aktiviert, leistet sich sogar das Elektroauto ein paar Emissionen, selbst wenn man die nur hören und nicht riechen kann.