Fliwatüüt für die Stadt von morgen: Mit diesem Wechsel-Van will Mercedes die Megacities vor dem Kollaps bewahren
Er kann zwar weder fliegen noch schwimmen. Doch wenn man Volker Mornhinweg über den Vision Urbanetic sprechen hört, dann fühlt man sich auf Anhieb an das Fliewatüüt aus dem Kinderfernsehen erinnert. Denn so wie dieses Gefährt das Genre wechseln und die Welt retten konnte, will dieser Van von Übermorgen, der seine Premiere als spektakuläres Showcar nächste Woche auf der Nutzfahrzeug-IAA in Hannover feiert, nicht weniger als den urbanen Verkehrskollaps verhindern und die stetig wachsenden Städte wieder lebenswert machen.
Dafür setzt die Designstudie, die mit über fünf Metern Länge das Format des aktuellen Sprinters hat, nicht nur auf einen sauberen Elektroantrieb und auf das voll autonome Fahren. Sondern Mercedes denkt den Gedanken vom Robo-Van noch eine Runde weiter und liebäugelt als erster Hersteller mit einem Wechselaufbau. Binnen weniger Minuten wird so aus einem führerlosen Shuttlebus für bis zu 12 Passagieren ein Amazon-Lieferwagen mit Autopilot. So will Mornhinweg die Effizienz der Flotten steigern, den Stillstand der teuren Fahrzeuge vermeiden und zugleich drastisch die Zahl der Vans und Busse reduzieren, die in den Megacities von Morgen die Straßen verstopfen.
Basis dafür ist eine Art Skateboard, das die elektrisch angetriebenen Achsen mit einer in der Bodenplatte integrierten Batterie verbindet, und die Technik fürs autonome Fahren samt zweier Sensoren birgt, die sich wie Insektenaugen aus der Karosserie schieben. Darauf kann man wahlweise eine Art riesigen Rimowa-Koffer schnallen, der ein Ladevolumen von zehn Kubikmetern bietet, Platz für zehn Europaletten hat und mit einem automatischen Fördersystem und einer von außen zugänglichen Klappe auch eine mobile Paketausgabe ermöglicht. Oder man bestückt das Skateboard mit einem Bus-Baustein: Gezeichnet wie ein silbernes Fabergé-Ei mit diamantenen Tropfen fürs Fenster, bietet diese Kabine acht für jede Fahrtdauer unterschiedlich bequeme Sitz- und vier Stehplätze sowie ein neues Infotainment-Konzept. Das lebt vor allem von einem 360-Grad-Display, das am Dachhimmel schimmert wie ein Heilgenschein und kombiniert wird mit Augmented-Reality-Technik, die personalisierte Infos aufs Smartphone spielt, sobald man das Handy auf einen bestimmten Punkt im Wagen richtet.
Welcher Aufbau gerade zum Einsatz kommt und wann und wo die Fahrzeuge unterwegs sind, das ermittelt und plant eine selbstlernende IT-Infrastruktur, die Angebot und Nachfrage in Echtzeit erfasst und die Ressourcen optimal an den Bedarf anpasst. So sollen zugunsten des Verkehrsflusses Leerfahrten vermieden und zu Gunsten der Bilanz des Flottenbetreibers der Stillstand vermieden werden. Abgesehen von der Ladezeit und den paar Minuten zum weitgehend automatisierten Wechsel zwischen Rimowa und Robo-Shuttle ist der Urbanetic in der Mercedes-Vision deshalb 24 Stunden im Einsatz. Dass die Schwaben natürlich weniger Fahrzeuge verkaufen, wenn die einzelnen Vans mehr Kilometer machen und effizienter eingesetzt werden können, nimmt Spartenchef Mornhinweg billigend in Kauf: “Denn der Trend vom Fahrzeug- zum System- und Serviceanbieter wird sich beschleunigen“, ist Mornhinweg überzeugt. „Die Erlösquellen werden sich damit verändern, aber es nach wie vor ein sehr gutes Geschäft sein.“ Denn Kunden werden künftig eben nicht nur Fahrzeuge oder Transport-Kilometer kaufen, sondern auch die Intelligenz dahinter. Dies öffnet neben den bewährten auch ganz neue Geschäftsmodelle als Flottenmanager, Service-Dienstleister oder Anbieter von ganzheitlichen Mobilitätslösungen.
Zwar weist das Design weit in die Zukunft, die Inneneinrichtung der Bus-Kabine ist für den öffentlichen Nahverkehr zu vornehm, zu fragil und vor allem zu teuer, und der austauschbare Aufbau funktioniert noch lange nicht so einfach wie das Umladen eines Containers. Doch so futuristisch die Vision anmutet, so greifbar ist sie bereits: Schon bald will Mercedes die ersten, noch etwas konventioneller gestrickten Fahrzeuge mit der Urbanetic-Technik auf privatem Gelände oder festen Routen in der Flotte testen.