Charakterdarsteller: So schlägt die Mercedes G-Klasse der Zeit ein Schnippchen
Rund um das Chateax Lastours im Südwesten Frankreichs scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Denn genau wie zuletzt vor 30 Jahren startet hier und heute ein Geländewagen zur Jungfernfahrt im Unterholz, der sich zumindest auf den ersten Blick seitdem keinen Deut verändert hat: Noch immer kantig, als wär das Blech gefaltet und nicht gestaltet, noch immer mit Blinkern wie Krokodilsaugen oben auf dem eckigen Kotflügel, wie eh und je mit runden Glubschaugen als Scheinwerfern und nach wie vor mit dem Ersatzrad außen an der seitlich angeschlagenen Heckklappe – so ist die Mercedes G-Klasse zu einer Ikone geworden, für die es auch im Jahr 39 nach der Premiere offenbar kein Ende gibt. Denn während Land Rover den Defender mittlerweile eingestellt hat, fährt die G-Klasse immer weiter. Im Gelände, weil der Vierkant aus Graz mit der Dreifaltigkeit aus drei Sperren, einem Leiterrahmen und einer Getriebeuntersetzung im Schlamm, auf Sand oder in den Steinen schier nicht zu stoppen ist. Und in der Geschichte, weil „die G-Klasse ist das einzige Auto im Mercedes-Portfolio, für das es kein offizielles Produktionsende gibt“, sagt Baureihenchef Gunnar Güthenke, der statt über ein Ende nachzudenken lieber einen neuen Anfang feiert: Wo die Ikonen allerorten aussterben und eingestellt werden, erweist sich die G-Klasse einmal mehr als stärker als die Zeit, erfindet sich neu und geht deshalb im Juni zu kaum veränderten Preisen ab 107 041 Euro in einer komplett neu entwickelten Auflage an den Start.
Man muss zwar etwas genauer hinschauen, doch dann erkennt man, dass die Zeit rund um das Chateau Lastours deshalb eben doch nicht stehen geblieben ist. Sondern die G-Klasse des Jahres 2018 sieht nur auf den ersten Blick noch genauso aus wie das Original. Beim zweiten Hinschauen sieht man dagegen, dass der Vierkant nicht nur in jeder Dimension deutlich gewachsen ist, sondern sich sogar zumindest ein paar ganz zaghafte Rundungen leistet – wenngleich man schon die Hand anlegen muss, um zum Beispiel den Schwung in der Frontscheibe zu bemerken.
Innen wird der Zeitenwechsel dagegen um so deutlicher. Zum einen, weil nun auch die G-Klasse mit den Digital Natives flirtet und deshalb in einem abgesehen von den drei großen Tastern für die Sperren und den Haltegriff vor dem Beifahrer ziemlich verspielten Cockpit mit dem Cinemascope-Bildschirm aus E- und S-Klasse samt Touchpad und Command-Controller auf dem leeren Mitteltunnel lockt. Und zum anderen, weil es endlich Platz auf allen Plätze gibt. Mit zwölf Zentimetern mehr Breite und zehn Zentimetern mehr Länge wächst die Kabine auf ein Format, das Knien, Köpfen und Schultern ganz neue Freiheiten lässt, die Türausschnitte im Fond sind groß genug, dass man auch mit Schuhgröße 38 plus bequem einsteigen kann und mit einer in der Neigung verstellbaren Lehne und entsprechend Beinfreiheit verliert der Rücksitz seinen Ruf als Strafbank.
Auch unter dem Blech haben die Schwaben eine kleine Revolution angezettelt. Denn zum ersten Mal bekommt die G-Klasse so etwas wie ein modernes Fahrwerk „Wir montieren vorne eine Einzelradaufhängung, haben eine neue Lenkung und eine Verstelldämpfung“, schwärmt Baureihenchef Güthenke und die erste Testfahrt gibt ihm recht: Während der G-Klasse im Abseits auch nach vier Jahrzehnten noch keiner etwas vormacht, war das Fahrverhalten bislang – nun ja – eher mäßig. Selbst die erste M-Klasse von 1997 war komfortabler und spurstabiler als die letzte Evolutionsstufe der G-Klasse. Vom Vergleich mit modernen Modellen wie dem GLE oder dem GLS ganz zu schweigen.
Der neuen G-Klasse dagegen hat Mercedes die biestigen Bocksprünge abgewöhnt und endlich Manieren beigebracht: Das Auto federt softer, lenkt sich leichter und fühlt sich trotz des größeren Formats handlicher an – so wird die G-Klasse passend zum Preis so etwas wie die S-Klasse fürs Grobe und eignet sich – nicht zuletzt auch wegen der besseren Geräuschdämmung und der reduzierten Angriffsfläche für den Fahrtwind – endlich auch als Langstreckenauto.
Doch Güthenke weiß um das Risiko, dass sein Riesenbaby plötzlich als verweichlicht gelten könnte. Schließlich haben schon ganz andere Autos diesen Flirt mit dem Alltag verloren. Deshalb macht die G-Klasse für den Alltag keine Kompromisse beim Abenteuer. In der Theorie nicht, weil zumindest der Leiterrahmen, die Getriebeuntersetzung und die drei 100prozentigen Sperren so unverrückbar zur G-Klasse gehören wie der Stern im eckigen Grill. Und in der Praxis nicht, weil trotz des größerem Radstandes und der breiteren Spur alle im Gelände relevanten Werte sogar noch einmal besser geworden sind: „Bodenfreiheit und Wattiefe, Rampen- und Böschungswinkel – überall haben wir beim Generationswechsel noch ein paar Punkte rausgeholt“, schwärmt Güthenke. Weil es dazu neuerdings jede Menge elektronischer Helfer vom „G-Mode“ in der Fahrprofilauswahl bis zu 360-Grad-Kamera auf dem großen Bildschirm gibt, können auch Laien am Lenkrad diese neue Freiheit besser ausschöpfen denn je: Egal wie steil die Hänge sind, wie groß der Schotter ist oder wie tief man durchs Wasser watet – viel mehr als dem kleinen Finger und den großen Zeh braucht man nicht, um den Koloss durchs Grobe zu führen.
Das Design vorsichtig poliert, das Fahrwerk revolutioniert und das Innenleben endlich vernünftig modernisiert – nur unter der Haube hat es für etwas wirklich Neues bislang nicht gereicht. Denn zum Start kommt die G-Klasse nur als 500er mit einem 4,0 Liter großen V8, den man mit seinen 422 PS und 610 Nm schon aus dem letzten 4x4x2 kennt. Dass er trotzdem besser beschleunigt, schneller fährt und mit 11,1 Litern weniger verbraucht, liegt vor deshalb allein an der neuen 9-Gang-Automatik und den bis zu 170 Kilo, die das Stahlgebirge abgespeckt hat. Alternativ zum 500er gibt es zum Start gleich auch einen G63, den die Truppe von AMG verantwortet. Für einen Aufschlag von rund 40 000 Euro Aufpreis kitzeln sie aus dem V8-Triebwerk 585 PS, schrauben das maximale Drehmoment auf 850 Nm und lassen die Leine etwas lockerer: Mit schier unendlichem Schub und einem wunderbar wohligen Gewittergrollen aus den Sidepipes erreicht der G so bis zu 240 km/h – und fühlt sich bei diesem Tempo noch immer ziemlich souverän an.
Später im Jahr gibt es für die Sparer noch die neuen Reihensechszylinder-Diesel mit bis zu 340 PS aus der S-Klasse und dann macht der G bald den nächsten weiteren Sprung in die Zukunft und wird elektrifiziert. Ein Mild-Hybrid ist sicher, ein Plug-In wahrscheinlich und eine reine Akku-Version zumindest nicht ausgeschlossen. „Denn auch an diesem Klassiker wird die Ära der Elektrifizierung nicht spurlos vorüber gehen“, hat Daimler-Chef Dieter Zetsche bei der Premiere Anfang des Jahres in Detroit versprochen.
Sie fährt besser als je zuvor, und zwar auf der Straße wie im Gelände, sie bietet mehr Ambiente und Ausstattung und man hat endlich auf allen Plätzen genügend Platz: Obwohl sie ganz die alte geblieben ist, geht die G-Klasse mit der Zeit ist deshalb ein rund herum neues Auto. Das ist es, was für Baureihenchef Güthenke den Erfolg des Vierkants ausmacht. Denn man braucht nicht nur starke Gene, um die Evolution zu überstehen. Sondern man muss sich auch anpassen können, sagt der Mann mit den G-Punkt. Und wenn man es dabei schafft, sich selbst treu zu blieben, dann hat man eine Ikone, die sogar der Zeit ein Schnippchen schlägt. Die Dinosaurier mögen deshalb ausgestorben sein, doch glaubt man Güthenke, dann fährt die G-Klasse mindestens noch einmal 39 Jahre.