Vision wird Wirklichkeit- so fährt Audis virtueller Spitzensportler im echten Leben
Audi reißt die Grenzen zwischen Virtualität und Realität ein. Denn als erster Hersteller holen die Bayern jetzt ein Auto für die Spieleserie Gran Turismo von der Datenautobahn auf die Rennstrecke und bauen den Designentwurf als voll funktionsfähigen Sportwagen auf: E-Tron Vision Gran Turismo heißt der Flachmann mit dem fiesen Blick und man wird ihn künftig sogar öfter zu Gesicht bekommen – als Renntaxi bei den europäischen Läufen der Formel E.
Für Designchef Marc Lichte geht damit ein Traum in Erfüllung. Nicht nur, weil er endlich eine Neuinterpretation des legendären Audi 90 quattro IMSA GTO aus dem Jahr 1989 zeichnen konnte, der für ihn zu den Ikonen bei Audi zählt. Sondern auch, weil er damit seinen Kollegen bei der Konkurrenz eine lange Nase drehen kann. Denn 1:1-Modelle der zuletzt fast inflationär oft gezeichneten Playstation-Autos mag es zwar in den letzten Jahren einige gegeben haben. „Doch einen voll funktionsfähigen Rennwagen hat daraus bislang noch keiner gemacht,“ sagt Lichte, der damit beweisen will, wie emotional Elektroautos von Audi sein können.
Der Mann, der dafür verantwortlich zeichnet, ist Martin Mühlmeier. Er kommt aus dem Vorseriencenter und baut mit seinem Team sonst Erlkönige und zu ganz frühe Prototypen auf. Dass er auch den Vision Gran Turismo in nicht einmal zwölf Monaten aus der Virtual Reality in die Wirklichkeit geholt hat, verdankt er dem gut gefüllten Teileregal bei Audi. Denn den Antrieb hat er kurzerhand vom echten E-Tron übernommen, mit dem Audi zum Jahreswechsel sein erstes Akku-Auto in Serie bringen will. Und das brettharte Fahrwerk sowie die super-direkte Lenkung stammen aus der Rennabteilung und kommen so oder so ähnlich etwa bei der DTM zum Einsatz, erläutert Mühlmeier. Nur das Chassis und die natürlich aus Karbon gebackene Karosserie sind maßgeschneidert für das Einzelstück.
Der Griff ins Regal hat gleich mehrere Vorteile: Er hat Mühlmeier nicht nur Zeit und Geld gespart, so dass der Vision Gran Turismo am Ende schneller fertig und billiger zu haben war als jedes konventionelle Showcar. Sondern vor allem garantiert er die bestmögliche Performance. Und das war die Hauptsache. Denn der E-Tron soll nicht nur rollen, wie so viele andere Studien, sondern er soll rasen. Und zwar vor großem Publikum als Renntaxi in der Formel 1.
Vor der Jungfernfahrt beim ePrix in Rom waren wir bereits am Steuer. Und obwohl wir ganz im Hier und Heute waren, war das ein eher surreales Erlebnis. Denn wenn drei E-Maschinen von jeweils 200 kW auf gerade mal 1 450 Kilo treffen und es um nichts anderes geht als die schnellste Runde auf einer Rennstrecke, dann sprengt das schnell den Erfahrungshorizont selbst eines PS-Profis. Und so oft man auch einer Playstation gefahren sein mag, ist die Realität halt doch ein anderes Kaliber. Wenn man sich erst einmal durch die schmale Tür tief nach unten in den Sitz gefädelt hat, wenn einem die Mechaniker mit dem Fünfpunkt-Gurt den letzten Rest Luft aus der Lunge gequetscht haben und wenn dann ein freundlicher Helfer das Steuerhorn auf die Lenksäule klickt – dann mag das zwar alles aussehen, wie in der Playstation, aber es fühlt sich verdammt echt an – weil es eben auch echt ist.
Entsprechend vorsichtig rollt man aus der Boxengasse auf die Teststrecke und erlaubt seinem rechten Fuß kaum mehr als ein Streicheln. Bis die Versuchung irgendwann doch zu groß wird und man den Wagen endlich so benutzen will, wie es gedacht ist – nur um den Erfahrungshorizont gleich noch um ein paar Dimensionen zu erweitern. Denn die weniger als 2,5 Sekunden von 0 auf 100 auf 100 km/h fühlen sich noch eindrucksvoller an, wenn sich dabei der Magen auf die Größe eines Tennisballes verkrampft. Die auf 225 km/h limitierte Höchstgeschwindigkeit wirkt schneller, wenn eine kurze Gerade dafür ausreicht und am Ende eine schier unbezwingbare 180 Grad-Kehre wartet und jede Kurve jagt den Puls in die Höhe, weil die Bodenhaftung des Vision Gran Turismo dort ungeahnte Geschwindigkeiten erlaubt.
Dass die 60 kWh großen Akkus bei so einer Raserei nicht wie auf der Straße 500, 600 Kilometer reichen, sondern dass Projektmanager Mühlmeier schon froh ist, wenn der Vision Gran Turismo mit einer Ladung ein Dutzend Runden schafft, mag zwar auf ein Manko der Elektromobilität hinweisen. Doch noch nie war man dafür so dankbar wie diesmal. Denn viel mehr hält auch der stärkste Magen nicht aus.
Gut, dass sich diese Frage nach der Belastbarkeit des Magens einerseits nur selten stellen wird. Denn der e-tron Vision Gran Turismo bleibt definitiv ein Einzelstück: Den Wagen kann keiner kaufen und den Platz auf dem Beifahrersitz gibt es nur für ein paar Auserwählte. Anderseits kann ihn aber tatsächlich jeder fahren. Denn selbst wenn die Vision Wirklichkeit geworden ist, jagt die elektrische Flunder auch weiterhin über die Playstation. Nur gut, dass einem in der Virtual Reality so selten schlecht wird.