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Platzreife für den Polo: Mit der sechsten Generation des Polo stellt VW den sogar Golf in Frage

Published in motosound.de

Jetzt wird es für den VW Golf schon wieder ein bisschen enger. Und diesmal sind es nicht die Koreaner oder die Japaner, die am Thron des ewigen Bestsellers sägen. Sondern VW selbst bringt seinen Primus in Bedrängnis. Denn wenn die Niedersachsen nach der Publikumspremiere auf der IAA in Frankfurt noch Ende September zu sehr moderat gestiegenen Preisen ab 12.975 Euro den neuen Polo an den Start bringen, kommt er seinem großen Bruder näher denn je. „Damit sprengen wir die Grenzen der Kleinwagen-Klasse“, sagt Entwicklungsvorstand Frank Welsch und verspricht einen so noch nie dagewesenen Technologietransfer aus den höheren Segmenten: „Der neue Polo bringt die Zukunft in die Klasse der Kompakten.“

Möglich wird das vor allem mit einer neuen Plattform. Denn mit der sechsten Generation wechselt der Polo auf die MQB-Architektur des Golf und bekommt damit dank jeweils knapp zehn Zentimetern mehr Radstand und Länge nicht nur neue Proportionen für mehr Platz auf allen Plätzen, sondern vor allem Zugriff auf ein prall gefülltes Regal an Konzerntechnologien – vom digitalen Kombiinstrument und dem nahezu bündig eingefassten Hochglanz-Touchscreen daneben über Assistenzsysteme wie die Einparkautomatik oder die Abstandsregelung bis hin zu den LED-Scheinwerfern.

Entsprechend seriös und erwachsen wirkt der Polo bei der ersten Ausfahrt: Wie immer bei VW fühlt sich alles vornehm und wertig an, man findet sich in den neuen Instrumenten gut zurecht und vor allem schwelgt man in einem ungewöhnlich großen Raum. Vorne war das in einem Polo noch nie ein Problem, doch jetzt können auch hinten zwei Erwachsene so gut sitzen, dass VW zurecht auf den Dreitürer verzichtet und den Passagieren die leidige Kletterpartie auf die Rückbank erspart. Und zum ersten Mal muss man auch beim Einkaufen nicht mehr sparen – zumindest nicht an Platz. Denn mit seinen 351 Litern ist der Kofferraum rund 25 Prozent größer als bisher. Aber das ist kein Wunder – schließlich knackt der Polo mit seinen 4,05 Metern und genauso wie vor ihm der Ford Fiesta und der Opel Corsa zum ersten Mal die Vier-Meter-Marke und geht obendrein um sieben Zentimeter in die Breite.

In engen Parklücken mag man dem alten Format hinterher trauern, erst recht, wenn man sich die entsprechenden Assistenten gespart hat. Doch sobald der Wagen auf der Straße steht, fühlt man sich ausgesprochen wohl mit der neuen Statur. Denn selten hat sich ein Kleinwagen so solide und souverän angefühlt wie der Polo. Der längere Radstand und die breitere Spur sorgen für Stabilität und lassen den Mini-Golfer gerade bei flottem Autobahntempo ziemlich erwachsen wirken. Weil die Lenkung aber extrem leichtgängig ist, wuselt man mit dem Polo auch prima durch den Stadtverkehr und surft mit dem größeren Auto bequem selbst durch kleinere Lücken. Und dank eines eher steifen Fahrwerks wirkt er dabei kein bisschen sprunghaft oder unseriös und legt sich auch nicht über Gebühr in die Kurven. Nur Herzrasen darf man dabei keines erwarten: Weil VW es möglichst vielen recht machen möchte, verzichten die Niedersachsen selbst in der sportlichsten Stufe des variablen Setups auf eine betont agile Auslegung und überlassen Lust und Leidenschaft den anderen – im besten Fall dem spanischen Vetter Ibiza und im dümmsten dem neuen Ford Fiesta.

Eine gewisse Zurückhaltung erkennt man deshalb zumindest in der Startaufstellung auch unter der Motorhaube. Denn los geht es erst einmal mit drei Dreizylinder-Benzinern, die alle mit einem mageren Liter Hubraum auskommen müssen und trotz der gründlichen Dämmung ihr typisches Schnattern nicht verhehlen können. Als Sauger kommen die 1,0-Liter auf 65 oder 75 PS wer den kleinen Turbo bestellt, kommt mit 95 PS schon ziemlich flott voran. Nicht umsonst mobilisiert das Triebwerk 175 Nm, beschleunigt in 10,8 Sekunden von 0 auf 100 km/h und erreicht bei Vollgas immerhin 187 km/h.

Allerdings wird es dabei nicht bleiben: Noch in diesem Jahr kommen bei den Benzinern ein weiterer 1,0 Liter mit 115 PS, ein 1,5-Liter mit 150 PS und für die Abteilung Attacke ein 200 PS starker GTI sowie als zunächst einzige Diesel zwei 1,6-Liter mit 80 oder 95 PS. Und weil VW schon vor dem Beginn der großen Elektrooffensive ab 2020 die CO2-Werte in den Griff bekommen muss, wird es den Polo erstmals auch mit einer Erdgasumrüstung geben.

Nachdem sich VW mit dem Diesel-Skandal ordentlich in die Bredouille gebracht hat, gehen die Entwickler beim Polo auf Nummer sicher: Die Diesel fahren deshalb mit SCR-Katalysator, Start-Stopp und Rekuperation sind bei allen Varianten Standard und die Benziner bekommen ebenfalls einen Partikelfilter.

Solide und seriös, geräumig und bei ausreichender Zahlungsbereitschaft auch gut ausgestattet: Zwar hat der Polo mittlerweile tatsächlich Platzreife auf für die Golfklasse. Doch eifert er seinem großen Bruder nicht nur im Platzangebot und der technischen Substanz nach, sondern auch in seiner ganzen Wesensart. Denn auch in paar schärfere Kanten im Blech und ein paar bunte Konsolen im Cockpit machen aus einem Biedermann keinen Brandstifter und es wird sich ganz anders als etwa als beim Renault Clio oder beim spanischen VW-Verwandten Seat Ibiza jemand für einen zweiten Blick auf den Polo den Hals verrenken. So ist der vielleicht beste Kleinwagen zugleich der größte Langweiler – aber es hat ja niemand behauptet, dass es auf dem Golfplatz wirklich aufregend zugehe.