Sonnenfänger im Sternenglanz: So nimmt Maybach den Millionären die Angst vor der Endzeit des Autos
Der Antrieb emotionslos, das Design ohne Charakter, statt besessen wird es nur noch benutzt und am Steuer sitzt der Robo-Chauffeur – das Auto der Zukunft, so wie sie es bei Google& Co im Silicon Valley sehen, hat mit Lust und Leidenschaft nicht mehr viel zu tun, sondern wird vom Objekt für Sehnsucht und Begierde zu einem schlichten Funktionsgegenstand der Fortbewegung. Eine gute Stunde weiter im Süden sehen sie das allerdings ganz anders – zumindest für eine Woche Mitte August. Dann ist Monterey Car Week und rund um den legendären Concours d’Elegance feiern sie mit allem was schön, schnell und teuer ist, das Hochamt der Automobilkultur. Haben die Auto-Afficionados dort den Blick bislang zumeist zurück gerichtet und die edelsten Oldtimer bewundert, schauen sie in diesem Jahr auch dankbar nach vorn. Denn mit einer neuen Maybach-Studie nimmt ihnen Mercedes-Designchef Gorden Wagener die Angst vor der Endzeit des Autos und beweist, dass autonome Elektrofahrzeuge keineswegs emotionslos und ohne Charakter sein müssen. Ganz im Gegenteil!
Auf Basis des im letzten Jahr vorgestellten Maybach 6 hat er deshalb ein ebenso lustvolles wie leidenschaftliches Cabrio auf die 24-Zoll-Räder gestellt, das seine fast sechs Meter Länge für gerade einmal zwei Insassen verschwendet und so zum feudalsten Sonnenfänger im Glanz des Mercedes-Sterns wird. Die beiden Auserwählten thronen auf weichen Fauteuil, die über einem gläsernen Mitteltunnel schweben und förmlich mit der Luxusoase aus kristallweißem Leder verschmelzen. Und sobald das von roségoldenen Fäden durchwirkte Stoffverdeck elektrisch unter der Klappe in dem von klassischen Luxusyachten inspirierten, endlos langen Heck verschwunden ist, werden sie von der kalifornischen Sonne ins rechte Licht gerückt.
Dabei blicken sie auf ein Cockpit, das sich mit einem einzigen Display von Tür zu Tür spannt und staunen über eine Frontscheibe, die bei Bedarf zu einem riesigen Bildschirm wird, auf dem man die Inhalte für Navigation und Infotainment mit Gesten- und Blicksteuerung nahezu beliebig aufrufen und anordnen kann. Das einzig Vertraute in dieser futuristischen Neuinterpretation eines Armaturenbretts sind die analogen Zeiger der wie Luxusuhren gestalteten Instrumente – und das Lenkrad. Denn Wagener ist davon überzeugt, dass Fahren irgendwann zum wahren Luxus wird, wenn alle anderen Autos autonom unterwegs sind. Und wenn unter dem Blech 750 elektrische PS locken, die den Maybach 6 in weniger als vier Sekunden auf Tempo 100 katapultieren und danach bis 250 km/h beschleunigen – wer möchte da nicht selbst ins Steuer greifen und den natürlich trotzdem serienmäßigen Autopiloten mal in die Pause schicken?
Zwar verliert Mercedes kein Wort über die Zukunftsaussichten des offenen Luxusliners und trotz seines Elektroantriebs sind die Chancen für ein millionenschweres Nischenmodell angesichts der aktuellen Stimmungslage eher gering. Doch so ganz müssen die Auto-Afficionados aus Pebble Beach ihre Hoffnungen nicht begraben. Denn erstens hat BMW-Ableger Rolls-Royce mit dem Sweptail gerade bewiesen, dass die nobelste Tochter eines großen Konzerns durchaus wieder zurück zum alten Ideal des Coachbuildings finden kann. Zweitens ist es kein schlechtes Zeichen, wenn Mercedes jetzt noch einmal Hand an die alte Studie legt und den Faden weiterspinnt. Und drittens zeigt der Erfolg der Maybach-Variante des S-Klasse Cabrios, dass es in den besseren Kreisen sehr wohl eine gewisse Sehnsucht nach Sonne gibt. Denn die 300 Exemplare des ersten offenen Maybach seit Urzeiten waren, so hört man aus Stuttgart, binnen weniger Tage verkauft. Deshalb jetzt schon das Scheckbuch zu zücken, mag vielleicht noch etwas früh sein. Aber träumen wird man ja wohl noch dürfen.