„F. you, Ferrari!“: Mit dieser blauen Flunder stiehlt Ford jedem roten Renner aus Maranello die Schau
Ein Ford, der es mit einem Ferrari aufnehmen kann? Das ist kein Fall von Größenwahn, sondern das nächste Kapitel einer ebenso alten wie guten Geschichte. Denn wenn die Amerikaner in diesem Sommer endlich ihren neuen GT vom Stapel lassen, ist das nicht weniger als die Widergeburt einer Legende.
Die beginnt vor etwas mehr als einem halben Jahrhundert mit Verhandlungen darüber, ob Ford nicht vielleicht Ferrari kaufen sollte. Weil die Italiener den Deal auf der Zielgeraden platzen ließen, war Firmenchef Henry Ford so sauer, dass er zu einem unkonventionellen Gegenschlag ausholte: Denn eigentlich nur um Enzo Ferrari für die gescheiterte Übernahme zu bestrafen, hat der PS-Patriarch aus Detroit Anfang der Sechziger einen eigenen Supersportwagen entwickeln lassen, mit denen die Amerikaner den Italienern „mal kräftig in den Hintern treten“ sollten. Und dieser Tritt hat so gut gesessen, dass Ford beim Debüt des GT bei den 24 Stunden von Le Mans 1966 gleich alle drei Podiumsplätze erobert und der Konkurrenz die Rücklichter gezeigt hat. Kein Wunder, dass der GT auch als Straßensportwagen ein Renner war und bis heute für Millionen gehandelt wird: Weil von 1964 bis 1968 nur 134 Exemplare gebaut wurden, hat es die Flunder von Ford mittlerweile zum wertvollsten US-Oldtimer der Welt gebracht.
Achtstellig sind die Summen zwar nicht, die ein paar handverlesene Raser für die pro Jahr gerade einmal 250 Exemplare des neuen GT bezahlen sollen. Doch eine halbe Million muss man schon anlagen, wenn man im teuersten Ford aller Zeiten ab diesem Sommer noch einmal Ferraris jagen will. Allerdings bekommt man dafür auch ein Auto, das alle Grenzen sprengt.
Denn das Serienmodell sieht nicht nur fast genauso aus, wie der Rennwagen, mit dem die Amerikaner im letzten Jahr pünktlich zum 50. Jubiläum ihres Sensationssieges in Le Mans noch einmal einen Klassensieg errungen haben. Sondern er fährt auch so. Auf Tempo und auf nichts anderes als Tempo getrimmt, gibt der GT den kompromisslosem Tiefflieger, der nur wiederwillig in das Korsett der Straßenzulassung gezwungen wurde: Die Sitze so fest mit der Karosserie aus Karbon verbacken, dass man für die perfekte Position stattdessen die Pedale verstellen muss, das Lenkrad mit Knöpfen und Schaltern gespickt wie in der Formel 1 und das Display dahinter nur Daten und kein Kino – so fokussiert sich der Fahrer wie von selbst auf die Straße und rast ohne Ablenkung dem Horizont entgegen.
Als Treibsatz dient dabei ein 3,5 Liter großer V6-Motor, der zwar für einen Supersportwagen ungewöhnlich leise ist, dafür aber um so mehr Leistung und Leidenschaft bietet. Nicht umsonst pressen die von mächtigen Lüftern beatmeten Lader den sechs Zylindern etwas mehr als 650 PS ab und mobilisieren knapp 750 Nm, die von den breiten Walzen im Heck überraschend kraftschlüssig auf die Straße gebracht werden. Weil der GT dabei weder dem Wind noch der Waage viel Widerstand zu bieten hat, fällt die Tempo 100-Marke nach nur etwa 2,8 Sekunden, und wenn unterwegs der Mut nicht verlässt, den beschleunigt der GT danach mir nichts dir nichts weiter auf knapp 350 km/h. So schnell war bislang noch kein anderer Ford mit Straßenzulassung.
Zwar ist der GT für die Rennstrecke entwickelt und ist deshalb auf einem Rundkurs in seinem Element. Nicht umsonst verwächst er fast mit der Fahrbahn, hält narrensicher seiner Spur, nutzt jede noch so kurze Gerade zum Zwischenspurt und verzögert mit den Keramikbremsen und der riesigen Airbrake vor den Kurven derart eisern, dass einem die Fliehkraft fast die Augen aus dem Schädel treibt. Doch kann man mit dem Boliden tatsächlich auch ein bisschen Bummeln. Natürlich ist er viel zu breit und unübersichtlich für den Stadtverkehr und bei einem Kofferraum kaum größer als eine Schuhschachtel dürfte es mit Urlaubsfahrten schwierig werden. Doch im Komfortmodus sind die Federn sanft und die Automatik bedächtig genug für eine langsame Ladpartie. Nicht umsonst haben die Amerikaner einen Navi-Bildschirm in den Querträger aus Karbon geschnitten, die eine Klimaanlage in das Puzzle der Versteifungsröhren für die Kabine gequetscht und sogar offenbar unverzichtbare zwei Cupholder in den Mitteltunnel gefrickelt.
Das Problem ist deshalb weniger das Auto, als sein Fahrer. Denn wer im GT sitzt, der kann einfach nicht langsam. Und er will es auch nicht. Zu riesig ist der Reiz des Rasens und zu groß die Versuchung, schnell wieder in den Trackmode zu wechseln, sich fünf Zentimeter tiefer auf den Asphalt plumpsen zu lassen und einmal mehr zur Jagd auf Ferrari & Co zu blasen.
Das ist ein Privileg, das allerdings nicht viele Ford-Fahrer haben werden. Nicht nur, weil das Auto so unsagbar teuer ist. Sondern mehr noch, weil es so selten gebaut wird. Denn obwohl Ford die geplante Laufzeit bereits auf vier Jahre verdoppelt hat, wird es nur 1 000 Exemplare geben.
Aber für alle Enttäuschten haben die Amerikaner einen Trost: „Alles, was wir bei diesem Auto ausprobieren, kommt irgendwann auch der Großserie zugute“, verspricht Technikvorstand Raj Nair. Beim neuen GT meint er damit neben dem Leichtbau mit einem Karbonchassis vor allem die Elektronik: War der erste GT40 von 1964 noch ein nahezu mechanisches Auto, das Kabel eigentlich nur für Scheinwerfer und Blinker kannte, hatte das seinerzeit komplett aus Aluminium gefertigte Remake von 2005 immerhin schon ABS.
Doch der neue GT ist nicht nur beim Design im 21. Jahrhundert angekommen. Sondern er hat auch mehr Technik an Bord als ein Space Shuttle: Sechs Can-Busse mit einem Datenvolumen von 300 MB pro Sekunde verbinden 50 Sensoren und 28 Micro-Prozessoren, prahlen die Amerikaner und erzählen stolz von den zehn Millionen Programmzeilen in der Betriebssoftware. Dabei braucht ein F22-Kampfjet gerade mal zwei Millionen und die neue Boeing 777 etwa acht Millionen Softwarebefehle für den regungslosen Betrieb.
Mit dieser Datenflut dirigiert die Elektronik bald zwei Dutzend Regelsysteme von den Ventilsteuerzeiten über das Torque Vectoring bis hin zum adaptiven Fahrwerk und den Schaltzeiten der Automatik, die alle nur ein Ziel haben – den Wagen schneller und schärfer zu machen Und zwar so, dass der Fahrer davon möglichst wenig mit bekommt. Denn anders als in vielen europäischen Supersportwagen fühlt sich der GT nicht an wie ein digitaler Renner, sondern wie ein analoges Auto, mit dem man bei jedem Rennen ringen muss. Nur dass man am Ende der Elektronik sei dank doch immer der Sieger bleibt.
Er sieht spektakulärer aus als jeder Ferrari, fährt mindestens genauso gut, ist ähnlich rar und mindestens genauso teuer – ein halbes Jahrhundert, nachdem die Amerikaner den Italienern mit dem GT das erste Mal in den Allerwertesten getreten haben, schleudern sie ihnen jetzt aus den rot glühenden Endrohren noch einmal ein entschiedenes „F. You, Ferrari“ entgegen. Aber nicht nur bei der Performance hat es der Massenhersteller aus Detroit auf das Niveau der Manufaktur in Maranello gebracht, sondern auch beim Habitus. Denn für einen Ford GT muss man nicht nur bezahlen, sondern beinahe betteln. Nicht umsonst wird jeder Kunde von einem Kreis von Spitzenmanagern durchleuchtet und jeder Vertrag am Ende von Firmenchef Bill Ford persönlich abgehakt. Über Geld spricht man dabei allenfalls am Rande, räumen die Beteiligten ein. Denn wer sich ernsthaft fragen muss, ob der GT jetzt 450.000 Euro kostet, 500.000 oder 530.000 und wie das nun mit der Steuer sei, der hat in diesem erlauchten Kreis ohnehin nichts zu suchen.