Entspannungspolitik: Mit dem Ampera-E probt Opel den elektrischen Ernstfall
An jeder zweiten Ecke ein Tesla, der Nissan Leaf eine feste Größe im Straßenbild und der Chevrolet Volt so weit verbreitet wie bei uns der VW Golf – in den Straßen von Palo Alto ist Elektromobilität längst alltäglich. Doch in diesen Tagen surrt zwischen all den Stromern ein Auto durchs Silicon Valley, das diesen Geist jetzt endlich auch nach Europa tragen will. Der neue Opel Ampera-E. Ein halbes Jahr vor dem Verkaufsstart in Deutschland bitten die Hessen im Heimatland des Zwillingsmodells Chevrolet Bolt zur Jungfernfahrt mit ihrem Hoffnungsträger, der auch Normalverdienern endlich die Angst vor dem Ende der Reichweite nehmen und der Elektromobilität zum Durchbruch verhelfen soll. „Wir wollen mittelfristig wirklich Masse machen“, sagt Projektleiter Ralf Hannappel und setzt dabei vor allem auf eine Zahl: 520 Kilometer schafft der Ampera-E im offiziellen Messzyklus und kommt so 120 Kilometer weiter als der Renault Zoe oder rund 200 Kilometer weiter als der frisch upgedatete E-Golf. Auch wenn Hannappel diesen Wert selbst als Prüfstands-Prosa abtuen muss und sich eher an die 380 Kilometer aus dem noch nicht amtlichen, aber sehr viel alltagsnäheren WLTP-Verfahren hält, ist das ein Pfund, mit dem Opel mächtig wuchert: „Man muss sich einfach keine Gedanken mehr machen“, sagt Hannappel und die erste Testfahrt rund um die Bucht von San Francisco gibt ihm recht.
Natürlich starrt man die ersten Minuten noch wie gebannt auf die grüne Anzeige für den Akkustand im digitalen Display. Doch als sich der Balken nach einer halben Stunde noch immer kaum bewegt hat, setzt eine erste Entspannung ein. Und als nach zwei Stunden Berg- und Talbahn auf dem Skyline Boulevard hinuter zur Half Moon Bay noch immer 200 Kilometer auf der Uhr stehen, beginnt man so langsam zu glauben, dass Elektromobilität im Alltag tatsächlich funktionieren kann.
Wie man es sonst nur aus den hoffnungslos überteuerten Teslas kennt, fühlt man sich plötzlich auch im Elektroauto frei und ungebunden und denkt irgendwann überhaupt nicht mehr an den Ladestand. Wie selbstverständlich kreuzt man durch die Bay Area, fährt zum Lunch nach Sausolito, macht eine Stadtrundfahrt in San Francisco, rollt über die Golden Gate Bridge und schaut, ob man bei Tesla in Freemont vielleicht schon ein Modell3 entdeckt, das als wichtigster Konkurrent des Ampera-E und seines Zwillings Chevrolet Bolt zu Elon Musks erstem Massen-Modell werden soll – und wundert sich schon gar nicht mehr, dass man abends bei der Ankunft im Hotel noch Saft für 70, 80 Kilometer hat. „Das ist es, was wir unter Alltagstauglichkeit verstehen“, freut sich Hannappel.
Aber nicht nur. Denn Alltagstauglichkeit ist beim Ampera-E nicht allein eine Frage des Antriebs, sondern auch des Aufbaus. Wo andere Elektroautos wie der BMW i3 oder das Tesla Model X den Exoten geben und die Kunden mit unkonventionellen Konstruktionen etwa bei den Türen ködern wollen, ist der Opel ein grundsolider Praktiker, der überraschend viel Raum auf ungewöhnlich wenig Fläche bietet und dabei so gestaltet ist, dass er niemanden verschreckt. Mit 4,17 Metern kaum länger als ein Corsa aber innen geräumiger als ein Astra und mit einem riesigen Kofferraum von 381 bis 1 274 Litern, ginge er deshalb auch als würdiger Nachfolger des Meriva durch. „Das ist das Segment, in dem wir uns die größten Chancen ausrechnen, weil dort unsere meisten Kunden zu Hause sind“, rechtfertigt Hannappel diesen Zuschnitt. „Eine elektrische Luxuslimousine wie einen Tesla hätte uns niemand abgenommen.“
Je länger die Testfahrt dauert, desto stärker spürt man eine Veränderung, die sich im Fahrer vollzieht: Wer nicht mehr ständig auf die Reichweitenanzeige starrt, der hat plötzlich auch einen Sinn für die anderen Vorzüge des Ampera-E. Man freut sich an der spontanen Beschleunigung und schießt in San Francisco die Hügel hinauf wie einstmals Steve McQueen mit seinem Mustang in Bullit. Schließlich leistet der Opel eben nicht nur 150 kW, sondern bringt zudem seine 360 Nm so spontan auf die Straße, dass man viele stärkere Autos nur noch im Rückspiegel sieht. Kein Wunder, dass er in 3,2 Sekunden von 0 auf 50 km/h beschleunigt und der Tacho nach 7,3 Sekunden bei Tempo 100 steht. Dass dagegen bei 150 Sachen schon wieder Schluss ist, kann man dafür ganz gut verschmerzen. Denn anders als der Tesla muss sich der Opel ja nicht mit Luxuslimousinen jenseits der 200er-Marke messen lassen, sondern mit braven Familienkutschen. Und vor allem hat man plötzlich Spaß am elektrischen Bremsen. Denn anders als bei den meisten Akku-Autos gibt es bei Ampera-E neben den unterschiedlichen Rekuperationsstufen am Getriebewählhebel noch eine Art „Handbremse“ am Lenkrad: Mit einem kleinen Hebel kann man den elektrischen Fahrwiderstand noch einmal spürbar steigern und sich so an jede Kreuzung herantasten, ohne je die mechanischen Bremsen zu nutzen.
Dass sich der Ampera-E so wacker schlägt und so weit kommt, ist freilich keine Zauberei. Sondern es liegt schlicht an der Größe des Akkus. Wo die anderen kleckern und mit den Kilowattstunden knausern, wollen die Hessen klotzen und packen ein Paket mit satten 60 kWh in den Wagenboden. Das nimmt dem Fahrer zwar alle Sorgen, und außer bei der etwas härteren Straßenlage fallen die 430 Kilo des Batterieblocks bei dem spontanen Drehmomentaufbau auch nicht ins Gewicht. Doch dafür bereitet es Männern wie Ralf Hannappel und mehr noch seinen Buchhalter einiges Kopfzerbrechen. Der Chefingenieur muss den Kunden erklären, dass sie die Freiheit beim Fahren an der Ladesäule bezahlen. Denn wer keine 50 kW-Säule findet, die in 30 Minuten den Strom für 150 Kilometer liefert, der zapft daheim in der Garage in einer halben Stunde maximal für zwölf Kilometer. Dann kann es schon mal einen Tag dauern, bis die Akkus wieder ganz voll sind. Und die Buchhalter müssen irgendeinen Weg finden, wie sie das Tesla-Feeling zu einem Toyota-Preis verkaufen können. Schließlich ist der Akku mit Abstand das teuerste Bauteil am Elektroauto. Auch das ist ein Grund, weshalb Opel ansonsten offenbar ziemlich gespart hat beim Ampera und seinen Kunden bis auf den großen Touchscreen und das digitale Cockpit ein eher schlichtes Hartplastik-Ambiente zumutet, das es so sonst bei den Hessen allenfalls noch im Kleinwagen Karl gibt.
Weil das eine knifflige Rechnerei ist und weil sie über Wohl und Wehe des Autos, ja vielleicht sogar der ganzen elektrischen Revolution bei Opel entscheidet, werden die sonst so beredten Opel-Manager auch ziemlich still, wenn man sie nach dem Preis fragt. Ja nicht einmal den genauen Verkaufsbeginn wollen sie verraten. Erst wenn man nachbohrt, lassen sie sich auf „Sommer“ festlegen und räumen ein, dass man wohl eher nicht auf die netto 33 000 Euro hoffen darf, mit denen der Verkauf im Dezember in Norwegen begonnen. Stattdessen dürften sie schon froh sein, wenn sie irgendwie unter 40 000 Euro bleiben können. Doch je teurer das Auto wird, desto schwerer dürfte es werden mit der „Demokratisierung des Elektroantriebs“, die Opel-Chef Karl-Thomas Neumann mit dem Ampera-E versprochen hat. Denn die Liebe zur Umwelt und die Faszination für die Zukunft endet dort, wo die Sorge um den Kontostand beginnt.