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Flaggschiff im neuen Format: So probt Opel den Aufstand in der Mittelklasse

Published in motosound.de

Opel ist wieder da! Die Schwarze Null vor Augen und den Wind von der viel beachteten Paris-Premiere des elektrischen Reichweitenwunders Ampera-E im Rücken, wollen die Hessen nun auch in der Mittelklasse wieder ein deutliches Wort mitreden. Dafür bereiten sie mit großem Aufwand und noch größeren Ambitionen gerade den Start des nächsten Insignia vor.

Wie ernst es ihnen damit ist, zeigt ein zentrales Chart in der Präsentation des Projektleiters Werner Jöris: Die Grafik illustriert den Größenzuwachs des Insignia von knapp sechs Zentimetern in der Länge und gut neun Zentimetern im Radstand und zeigt die jetzt 4,90 Meter lange Limousine mit 2,83 Metern Radstand nicht mehr in einer Blase mit Ford Mondeo oder VW Passat, sondern in der Klasse darüber bei Mercedes E-Klasse, BMW Fünfer und Audi A6. Zum Format der Premium-Modelle verspricht Jöris auch Premium-Qualitäten bei Ambiente und Ausstattung und will nur beim Preis „mainstream“ bleiben. „Das macht den neuen Insignia zur smartesten Alternative zu den Premium-Modellen“, gibt er die Marschrichtung vor.

Zwar feiert der Herausforderer seine Premiere als Schrägheck und Kombi erst im Frühjahr auf dem Genfer Salon, und bis er in den Handel kommt wird es sogar noch ein paar Monate länger dauern. Doch sind die Hessen so stolz auf ihr neues Flaggschiff, dass sich die Entwickler bei den letzten Abnahmefahrten schon einmal über die Schulter schauen lassen, zur Sitzprobe bitten und vorübergehend sogar den Platz am Lenkrad räumen.

Das machen sie nicht ohne Grund. Schließich sind die Autos ein halbes Jahr vor der Premiere so gut getarnt, dass man den Fortschritt noch nicht sehen kann. Aber man muss sich nur in die Prototypen setzen, um ihn zu fühlen: Denn der Insignia bietet jetzt spürbar mehr Platz auf allen Plätzen. Während sich die Hinterbänklern auf mehr Freiheit für Knie, Kopf und Schulter freuen dürfen, will Projektleiter Jöris den Fahrer mit etwas ganz anderem locken: Dem Spaß am Steuer. Der Insignia hat schließlich nicht nur zugunsten des Verbrauchs fast vier Zentner abgespeckt, sondern auch fürs Vergnügen. Dazu noch das neue Fahrwerk, eine präzisere Lenkung und natürlich die um drei Zentimeter abgesenkte Sitzposition – schon sitzt man in einer Mittelklasse-Limousine, die man nicht nur zum Ankommen fährt, sondern auch, um damit unterwegs zu sein.

In Fahrt bringen den Insignia dabei zunächst Benziner mit 140 bis 250 PS und Diesel mit einem anfangs eher schmalen Leistungsband von 110 bis 170 PS, die man zumeist schon aus Astra & Co kennt. Dazu gibt es ein neues, sehr geschmeidiges Sechsgang-Getriebe, eine ebenfalls tadellose Automatik mit acht Gängen und für die stärkeren Versionen auch einen neuen Allradantrieb. Der verteilt die Kraft zwar deutlich schneller als früher, kann weiter vorausschauen und bietet nun auch die Möglichkeit zum Torque Vectoring, kann aber zumindest bei den Testfahrten auf den nassen Nebenstraßen im Niemandsland der südlichen Pfalz das scharren der Vorderräder nicht ganz verhindern, wenn die 400 Nm zupacken wollen.

Überhaupt ist es nicht der größte Benziner, der bei den Abstimmungsfahrten auch den größten Eindruck macht. Der 2,0-Liter-Turbo ist ein solides Kraftpaket und erfüllt alle Erwartungen. Aber mehr eben auch nicht. Da ist der vom Astra weiterentwickelte 1,5-Liter ein ganz anderes Kaliber. Denn mit 165 PS und 250 Nm ist er so forsch und flott, dass man auf einer kurvigen Landstraße schnell ein zufriedenes Lachen auf dem Gesicht hat und den Agilitätsgewinn durch den Gewichtsverlust in jeder Kurve genießen kann.

Größer als bisher und ein gutes Stück sportlicher – das wollen die Hessen künftig nicht erst beim Fahren beweisen, sondern schon im Namen zum Ausdruck bringen: Aus dem Insignia wird deshalb beim Fünftürer der Insignia Grand Sport. Bevor man jedoch allzu lange über diesen Marketing-Gag nachdenkt und ihn für den Rest der Modellpalette durchdekliniert, rudern die Hessen gleich wieder zurück. An der Bezeichnung Insignia Sport Tourer für den Kombi ändert sich nichts.

So groß die Sprünge beim Format und beim Fahrverhalten sind, so klein sind die Hüpfer abgesehen von Platzangebot und Sitzposition im Innenraum. Zwar lässt sich die Materialanmutung bei den handgeschnitzten Prototypen natürlich noch nicht beurteilen und eigentlich ist der Blick unter die dicken Kunststoffmatten der Tarnung noch Tabu. Doch wenn man sie trotzdem kurz mal lupft, bleibt das ganz große Aha-Erlebnis aus: Ja, Opel ein wenig nachgerüstet und bietet jetzt zum Beispiel erstmals ein Head-Up-Display an, ohne dabei auf die billige Klappscheibe von VW& Co zu setzen. Und natürlich wirkt das Cockpit etwas aufgeräumter als früher. Aber es gibt anders als bei der Konkurrenz nach wie vor keine voll animierten Instrumente, die Touchscreens in der Mittelkonsole sind mit wahlweise sieben oder acht Zoll kleiner als in manch einem koreanischen Kompakten, von Sprach- oder Gestensteuerung ist keine Rede, das Lenkrad wirkt reichlich überfrachtet und die Hebel dahinter mit schlichter Form und grober Typografie reichlich antiquiert. Den von Firmenchef Karl-Thomas Neumann proklamierten „großen Sprung nach vorne“ jedenfalls hätte man sich anders vorgestellt.

Dabei weiß Opel sehr wohl, wie man moderne Hightech-Cockpits baut. Das haben die Hessen zuletzt mit ihren Studien Monza und GT mehr als eindrucksvoll bewiesen. Und wenn man sich den Ampera-e mit seinem Zehn-Zoll-Display oder dem innovativen Rückspiegel mit Augmented Reality-Technik anschaut, können sie das durchaus auch bei einem Serienmodell.

Doch bei den großen Stückzahlen des Insignia waren den Hessen die Investitionen in solch Gimmicks offenbar zu groß. Schließlich rechnet Firmenchef Karl-Thomas Neumann gerade mit einem sehr spitzen, ziemlich roten Stift. Die einzig wirklich neue Technik beim neuen Insignia ist deshalb das IntelliLux-Matrix-Licht mit 32 LED-Segmenten, die den Lichtkegel individuell den Straßen- und Verkehrsverhältnissen anpassen und mit einem 400-Meter-Strahl auch die Lasertechnik überflüssig machen wollen. Und auch das ist nur eine Weiterentwicklung aus dem Astra, wo das System auf eine Bestellquote von stolzen 25 Prozent kommt und die deshalb kein sonderlich hohes Risiko-Potenzial in der Entwicklungsbilanz darstellen dürfte.

Aber Risiken kann Neumann gerade auch nicht eingehen, wenn er sein Versprechen von der Schwarze Null einhalten und den Endspurt beim Comeback von Opel zu einem Erfolg führen will. Der neue Insignia muss dazu als Flaggschiff im neuen Format natürlich seinen Beitrag leisten. Doch er trägt die Last nicht allein auf den jetzt etwas breiteren Schultern. Sondern schon bald stellt Opel ihm noch großes SUV zur Seite und zieht gegen Ford und VW zum ersten Mal mit einer Doppelspitze ins Rennen.