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Warm-Up in Wales: Hier macht sich der Meister aus München bereit zur Mission Titelverteidigung

Published in motosound.de
Mit den Business-Limousinen ist es ein bisschen wie im Fußball: Die anderen geben sich Mühe und ziehen ein As nach dem anderen aus dem Ärmel – und am Ende gewinnen doch immer die Bayern. Denn egal wie gut die Mercedes E-Klasse oder der Audi A6 auch sein mögen: Kein anderer Firmenwagen ist weltweit so erfolgreich wie der Fünfer. Und damit das auch nach dem Generationswechsel Anfang 2017 so bleibt, schicken die Bayern das neue Modell jetzt kurz vor der Premiere auf der Motorshow im Januar in Detroit noch einmal ins Trainingslager nach Wales, wo die Ingenieure auf ebenso schlechten wie einsamen Landstraßen der Fahrdynamik des Fünfers ihren letzten Schliff geben.
Das ist eine Disziplin, die Projektleiter Johann Kistler gar nicht hoch genug hängen mag. Zwar weiß auch er, dass andere Eigenschaften eines Autos dramatisch an Bedeutung gewinnen. Deshalb kann der intern G30 genannte Fünfer natürlich wieder ein bisschen autonomer fahren als der neue Siebener, mit dem er sich die Architektur und die Assistenzsysteme teilt. Und selbstredend gibt es ein wunderbar animiertes Cockpit, die weiterentwickelte Gestensteuerung und jede Menge digitaler Spielerein für die Generation Smartphone, für die ein Heer von Programmieren jetzt monatelang in die Tasten gehauen hat. „Aber am Ende ist es die Fahrdynamik, die einen BMW ausmacht und die den Fahrer dieses Auto auch mit geschlossenen Augen als Fünfer erkennen lässt“, ist Kistler überzeugt. 
 
Mercedes mag sich deshalb der schlausten Business-Limousine der Welt rühmen und wenn Audi in einem Jahr den nächste A6 bringt, könnte der den Schönheitspreis einfahren. Erst recht, weil der Fünfer augenscheinlich seine bekannte Linie behält und sich beim Styling den überfälligen Sprung verkneift. Aber die sportlichste Limousine in dieser Liga, die kommt auch weiterhin aus München, verspricht Kistler und ist darauf so stolz, dass er sogar ausnahmsweise den Platz hinter dem Lenkrad räumt und schon ein halbes Jahr vor dem Start im Nirgendwo zwei Stunden westlich von Birmingham zur Testfahrt im Prototypen bittet.
 
Wenn man mit den auch innen noch verhüllten, wild aus Vorserienteilen zusammen gestückelten Prototypen durch die Kurven fliegt, über Bodenwellen bügelt und den verwundenen Asphaltpisten folgt, erlebt man den Fünfer als ungewöhnlich verbindliches Auto, das sich engagiert über die engen Nebenstraßen treiben lässt. Der Wagen wirkt leichtfüßig, ist präzise und lässt sich so feinfühlig auf Kurs halten, dass man auf der Autobahn wahrscheinlich auch jenseits der 200 km/h nicht viel mehr als zwei Finger am Lenkrad braucht. Aber genauso gut, wie man mit dem Fünfer den Bizeps anspannen und gegen die Uhr fahren kann, genauso gut kann man sich zurücklehnen, den Griff lockern, ganz entspannt dahin gondeln und die Landschaft genießen:  „Es geht darum, Vertrauen in jeder Verkehrssituation zu schaffen und einem am Lenkrad das Gefühl zu geben, man sei exakt der Fahrer, für den man sich hält,“ fasst Kistler seine Arbeit zusammen.
 
Dass der Fünfer so agil ist und die Fahrspaßwertung wieder für sich entscheidet, liegt zum einen daran, dass er auch ohne den „Carbon Core“ des Siebeners ein bocksteifes Auto geworden ist, dass er rund 100 Kilo abgespeckt hat und dass er mit zwei völlig neuen Achsen fährt. Und es liegt daran, dass Kistler ihm so ziemlich alle Fahrwerksfinessen mit auf den Weg gibt, die er im Konzernregal finden konnte: Es gibt die Progressiv- und die Hinterachslenkung, es gibt adaptive Dämpfer und es gibt einen elektronischen Wankausgleich. Nur eine Luftfederung hat der Fünfer im Gegensatz zur E-Klasse nicht. „Wenn man seine Hausaufgaben ordentlich macht, bringt die keinen Mehrwert und man erzielt mit konventioneller Technik bessere Ergebnisse“, ätzt einer aus Kistlers Truppe gegen die Stuttgarter Kollegen. 
 
Die finale Abstimmung eines Fünfers ist allerdings keine ganz so triviale Aufgabe, klagt Projektleiter Kistler und berichtet von langen Wochen im verregneten Wales. Einen Einser zu definieren oder einen Sechser, das ist kein Kunstwerk, weil dort die Erwartungen vergleichsweise klar und einheitlich sind. „Aber wir müssen zwei Millionen Geschmäcker treffen“, stöhnt er über die Last des Bestsellers, und dabei die größte Spreizung abdecken: Von einem betont sparsamen und eher vernünftig bewegten 518i bis zum sportlichen M5.“ Nicht umsonst wächst die Variantenzahl deshalb mit Heck- oder Allradantrieb, einem halben Dutzend Fahrwerkskonfigurationen und Motoren vom Vier- bis zum Achtzylinder, vom Power-Modell aus Garching bis zum PlugIn-Hybriden schon auf über 80 verschiedene Baumuster. Und da sind die Langversion des Fünfers für China, der schon für Genf 2017 avisierte Kombi und der unförmige aber umso einträglichere Fünfer GT für den nächsten Herbst noch gar nicht mitgezählt. Kein Wunder, dass Kistler seine Mannschaft in den nächsten Monaten noch öfter nach Wales schicken wird. Aber selbst die Bayern müssen eben fleißig trainieren, wenn sie am Ende wieder Meister werden wollen.