Abenteuer Alltag: Mit dem 570 GT baut McLaren seinen ersten Sportwagen für Praktiker
Bentley und der Bentayga, Porsche und der Cayenne, Jaguar und der F-Pace – für Sportwagenhersteller, die ihr Heil im SUV suchen, hat Mike Flewitt nur ein Lächeln übrig. Denn der Chef von McLaren will von großen, schweren und schwerfälligen Dickschiff nichts wissen. Wie der Schuster bei seinen Leisten will auch der Rennstall bei seinen Sportwagen bleiben und erteilt allen Gedankenspielen zu irgendwelchen Geländewagen eine kategorische Absage. Doch so ganz können sich auch die Briten nicht frei machen von den Anforderungen des Alltags und der Sehnsucht nach größeren Stückzahlen und schicken deshalb jetzt zu Preisen ab 195 350 Euro den 570GT ins Rennen. Als zweite Karosserievariante der neuen Sports Series wird er mit einer zusätzlichen Gepäckablage unter einem großzügig verglasten Heck zum Praktiker in der Modellfamilie. Und weil er zudem etwas weicher abgestimmt, etwas besser gedämmt und überhaupt ein bisschen gezähmt ist, taugt er jetzt sogar für die Langstrecke.
Mit der feinen Lederpritsche für Taschen und Tüten, die offiziell 220 Liter fasst und den 570GT zusammen mit den 150 Litern im auf das Transport-Niveau eines VW Golf hebt, ist es aber nicht getan. Damit der GT wie von den Strategen versprochen tatsächlich der „lässigste“ aller McLaren wird, sorgt zudem ein großes Panoramadach für eine lichte Atmosphäre in der mit extra viel Leder ausgeschlagenen Kabine. Und weil die verwöhnten Vielfahrer es vielleicht lieber etwas softer mögen, hat McLaren die Lenkung ein wenig entspannter übersetzt, die Federraten reduziert und das adaptive Fahrwerk durchweg gelassener ausgelegt.
Wer die Finger von der Schaltzentrale in der aufgeräumten Mittelkonsole lässt und den Lockungen des „Sport“- oder „Track“-Mode für Fahrwerk und Antrieb wiederstehen kann, der fährt mit dem 570GT tatsächlich so entspannt und gelassen wie in keinem anderen McLaren. Die Lenkung hat dann jede Nervosität verloren, die Federung zeigt sich plötzlich ungewöhnlich kompromissbereit und selbst der Sound klingt irgendwie zugeschnürt. Natürlich grollt und kreischt der V8-Motor wie eh und je, wenn man ihm die Sporen gibt. Doch gemessen an den anderen McLaren-Modellen ist der GT fast schon ein Leisetreter und taugt deshalb zum bequemen Kilometerfresser – Gran Turismo kann man in diesem Auto wörtlich nehmen.
Die Komfortoffensive endet allerdings dort, wo der Kraftakt beginnt: Beim Motor. Denn unter der Pritsche tobt unverändert der 3,8 Liter große V8-Triebwerk, dem zwei Turbos 570 PS einblasen. Bei 600 Nm und einem Trockengewicht 150 Kilo unter dem leichtesten Wettbewerber ist die Beschleunigung noch viel impulsiver, als es die ohnehin schon imposanten 3,4 Sekunden für den Standardsprint auszudrücken vermögen. Wer nicht über eine halbwegs gefestigte Verkehrsmoral verfügt, steht in diesem Auto mit einem Bein ständig im Knast und mit dem anderen im öffentlichen Nahverkehr, so schnell ist man hier zu schnell und zu nahe kommt man selbst im Alltag dem Limit von 328 km/h. Und wer einmal den Fehler macht, von der Autobahn auf eine kurvige Landstraße zu wechseln, der kommt vielleicht nie wieder. Denn bevor der Tank nicht leer ist, will man mit diesem Tanz nicht aufhören. Und jetzt, wo man auch das Reisegepäck noch mitnehmen kann, gibt es erst Recht keinen Grund zur Rückkehr.
Zwar verspricht sich McLaren von der GT-Variante viele neue Kunden, die das Auto tatsächlich öfter im Alltag bewegen werden. Doch die alten Ideale werden deshalb nicht vollends über Bord geworfen. Sondern weil ein echter Sportwagen für gewöhnlich nach oben offen ist, gibt es die Sport Series im nächsten Jahr natürlich auch als Spider. Und auch wen es der GT innerhalb der Modellfamilie womöglich auf einen Verkaufsanteil von 50 Prozent bringen und damit den Flirt mit dem Alltag noch weiter anheizen sollte, ändert das nichts an Flewitts kategorischer Ablehnung noch praktischerer Fahrzeuge: Alltagstauglicher und konventioneller als beim 570GT, so unterstreicht Pressesprecher Wayne Bruce, wird es bei McLaren nicht mehr werden: „Das ist unsere Antwort auf einen Avant.“
Und für alle, die trotzdem an den Genen des GT zweifeln, sei nur der Blick auf das Display der Klimasteuerung empfohlen. Es hat schon seinen Grund, weshalb dort auch weiterhin ein Rennfahrer abgebildet ist.