PS-Panoptikum in Peking: Die Auto China zwischen schicken SUV, sauberen Stromern, gestreckten Limousinen und schrägen Studien
Die Party ist vorbei, der Markt ist gehalten und der Druck ist raus aus dem Kessel – was haben die Miesmacher und Kaffeesatzleser in den letzten Wochen das Autoland China heruntergeschrieben. Es mag zwar sein, dass die Zeit der zweistelligen Wachstumsraten erst einmal vorbei ist, räumt auch Dieter Zetsche ein. „Doch China ist und bleibt der größte Automarkt der Welt“, sagt der Daimler-Chef Und wenn so ein Markt um realistische acht Prozent wächst, ist da mehr als genug Musik drin. Das kann man jetzt in Peking sogar wörtlich nehmen. Denn wenn China zur Automesse bittet, dann ist es dort nicht nur heißer, voller und bunter als in jedem anderen Land der Welt, sondern es gibt auch lautere Premierenshows – und zwar reichlich. Denn von der erwarteten Konsolidierung des Marktes und seiner allein 180 lokalen Marken ist auf der Messe jedenfalls noch nichts zu spüren. Im Gegenteil: Die Motorshow in Peking bleibt ein kunterbuntes PS-Panoptikum, das so schrill und schillernd ist wie die vielen Märkte in der Stadt.
Noch mehr als auf allen anderen Messen dominiert dabei das SUV. Egal ob Haval, Cherry, Geely, Saic oder Baic – es gibt kaum einen chinesischen Hersteller, bei dem nicht mindestens ein neuer Geländewagen enthüllt wird. Kein wunder, wenn die aufgebockten Allradautos bei den lokalen Marken mittlerweile auf einen Zulassungsanteil von über 50 Prozent kommen. Und viele der Neuheiten sehen wie der SC5 von JAC oder der G5 von Geely sogar überraschend gut aus und würden sich in Potsdam oder Salzgitter genauso gut machen wie in Peking oder Shanghai. Das gilt auch für zahlreiche neue Kleinwagen und für die kompakten Limousinen, die zumindest vor den Toren der Großstädte auch weiterhin das Straßenbild bestimmen.
Aber so gelungen mache Geländewagen wirken und so seriös viele Studien mittlerweile scheinen, ist das PS-Panoptikum noch lange nicht vorbei. Denn neben vielen überraschend ernsthaften Autos findet man eben auf jedem zweiten Stand auch noch immer mehr als genügend Kopien und Kuriositäten. Die Kollektion der Klone beginnt direkt gegenüber von Mercedes mit einer nachgeahmten G-Klasse bei BAIC, neben der gleich auch noch der Fake eines Jeep Grand Cherokee steht. Sie führt weiter über einen FJ Cruiser aus dem Copyshop bei Dongfeng oder den Nissan Leaf als JAC iEV6e und ist bei der Blaupause des Smart Fortwo auf dem Stand von Zotye noch lange nicht vorbei.
Ins Kuriositäten-Kabinett dagegen gehören Autos wie der offensichtlich vom Bugatti Veyron inspirierte Quiantu K50 mit 600 PS-Hybrid, der gigantische Geländewagen Karlmann King im Stealth-Bomder-Design, den eine chinesische Firma für einen Stückpreis von gut 1,85 Millionen Dollar in Deutschland bauen lassen will, das total verquollene SUV „Let’s Car“ von Cowin oder ein pfeilschneller Flugzeugrumf, der beweisen will, dass man auch auf zwei Rädern stabil Autofahren kann. Aber nicht nur mit den Chinesen gehen bisweilen die Gäule durch. Auch manche ausländischen Designstudios haben ihre Studien passend zur Messe schrill überzeichnet. Der Chevrolet FNR zum Beispiel wirkt mit seinen asymmetrischen Radnabenmotoren und den gegenläufig aufschwingenden Schmetterlingstüren deshalb eher wie für einen Science Fiction Film gezeichnet als für die Straße und der die Studie eines Iveco Daily mit Hybrid-Antrieb ginge auch als Raumtransporter durch.
Dritter Messeschwerpunkt neben SUV und Skurrilitäten sind in diesem Jahr in Peking die Stromer. Denn während der Markt für elektrifizierte Fahrzeuge etwa in Deutschland nur sehr langsam wächst, zahlen sich der große Druck und die großzügige Förderung der Regierung bei den Zulassungen aus: Allein im letzten Jahr haben die so genannten New Energy Vehicles deshalb um über 300 Prozent auf 331 000 Exemplare zugelegt. Und wenn man sieht, was da so alles auf der Messe steht, geht der Run ganz sicher weiter. Dabei ist das Spektrum der Strom-Premieren so breit wie die Mauer lang und reicht deshalb vom gesichtslosen Kleinwagen für weniger als 200 000 RMB über die unvermeidlichen Akku-SUV bis hin zu spektakulären Sportwagen wie dem Arcfox-7 bei BAIC, der verdächtig an den BMW i8 erinnert, seine mehr als 600 PS aber ganz ohne Verbrenner erzeugt.
Die größte Aufmerksamkeit erregen allerdings zwei Firmen, die als chinesische Antwort auf Tesla gelten, weil sie nicht aus der Automotive-Welt kommen sondern aus der Elektronik: Faraday Future, die man mit ihrem abgefahrenen Prototypen schon aus Las Vegas kennt, und LeEco, deren Vierer-Flunder LeSee das Model S von Tesla ganz schön alt aussehen lässt. Wann deren Autos kommen, wie viel sie können und was sie einmal kosten sollen, das erfährt man auf der Messe freilich nicht. Denn so gerne sich Chinesen auf eine Bühne stellen und so laut sie dort reden, so wenig sagen sie dabei.
Das gilt auch für das zweite Technik-Thema, das auf vielen Ständen gespielt wird: Die Idee vom vernetzen oder gar autonomen Fahren. Zwar stehen deshalb überall Prototypen mit mehr oder minder auffälliger Beklebung und den üblichen Sensoraufbauten auf dem Dach. Und die Regierung ist zumindest dabei, dem Autopiloten den Weg zu ebnen. Aber auch nach noch so vielen Gesprächsversuchen auf der Messe bleiben mehr Fragen als Antworten.
In diesem Rausch aus Farben und Formen, aus Faszination und Fragezeichen finden sich die ausländischen und vor allem die deutschen Hersteller nur mühsam zurecht. Waren Audi, VW oder Mercedes früher die gesetzten Starts der Show, tun sie sich in ihrer Favoritenrolle zunehmend schwerer und wollen die Chinesen mit der Konzentration auf die lokalen Bedürfnisse bei der Stange halten. Aus der europäischen Perspektive mögen die lange E-Klasse bei Mercedes, der gestreckte A4 bei Audi und nun sogar ein langer X1 bei BMW nur schnell gemachte Derivate sein. Doch in China sind die Langversionen um Längen wichtiger als globale Neuheuten wie ein Audi TT RS mit jetzt 400 PS und den OLED-Rückleuchten bei Audi, ein auf 109 PS erstarkter Smart Brabus oder der Porsche 718 Cayman, der jetzt analog zum Boxster ebenfalls mit Turbo-Vierzylindern von 300 und 350 PS im Rampenlicht steht. Einzige Ausnahme ist die Studie T-Prime, die auf dem VW-Stand noch mehr Blicke fängt als die neuen Kooperationsflaggschiffe Magotan und Phideon. Aber erstens sieht das fünf Meter große Showcar einfach verdammt gut aus, zweitens hat es ein faszinierendes Infotainment mit Bildschirmen, die im Halbrund gebogen sind. Und drittens ist es als Vorbote des nächsten Touareg schließlich ein SUV.
Neben den Deutschen machen in Peking neuerdings auch die Franzosen mächtig auf sich aufmerksam und punkten mit Modellen, für die es bei uns nur zum Ladenhüter gereicht hat. So enthüllt Renault auf der Messe den noch einmal deutlich gewachsenen Nachfolger des so glücklosen Koleos, der nun auf der Basis des Nissan X-Trail steht, und Citroen hat tatsächlich noch einmal einen neunen C6 aufgelegt.
Dazu gibt es von Jaguar einen um 14 Zentimeter gestreckten XFL, in dem man um Längen besser sitzt als im Flaggschiff XJ und von Mazda einen CX-4, der nicht schlechter aussieht als ein BMW X4 oder ein Mercedes GLE Coupé – aber genau wie die meisten deutschen Messe-Neuheiten wird es diese China-Premieren bei uns nicht geben. „Es geht vor allem darum, sehr genau die chinesischen Wünsche zu erkennen und diese möglichst passend zu erfüllen. Das sind wir unserem größten Markt schuldig,“ fasst Daimlers-China-Chef Hubertus Troska die Zielvorgabe zusammen und spricht seinen Kollegen bei der Konkurrenz damit wahrscheinlich aus der Seele.
Dieses Bemühen schlägt durch bis in die Personaldecke. So hat zum Beispiel Mercedes die Zahl der Jobs in seinem erst vor 18 Monaten eröffneten Forschungs- und Entwicklungszentrum mittlerweile bereits verdreifacht und will jedes Jahr noch eine dreistellige Anzahl an Kollegen einstellen. Auch dieser Boom ist allerdings vor allem ein lokales Phänomen: 90 Prozent der Mitarbeiter sind Chinesen.