Flaggschiff aus Fernost: So will Hyundai sogar der Mercedes S-Klasse und dem BMW Siebener ans Leder
Beim letzten Mal war es noch VW-Chef Martin Winterkorn, der sich über Hyundai gewundert und den i30 mit seinem Youtube-Hit „Da scheppert nix“ geadelt hat. Doch demnächst dürften sich auch die Herren Dieter Zetsche, Harald Krüger und Rupert Stadler bei den Koreanern die Augen reiben. Denn nachdem es Hyundai und Kia gemeinsam unter die Top5 der Weltrangliste geschafft haben, strebt der Konzern jetzt nach höheren Weihen und drängt in die Oberklasse. Nach dem Vorbild von Lexus und Infiniti gründet Hyundai dafür gerade die Nobelmarke Genesis und rollt als neues Flaggschiff den G90 an den Start. Erst einmal daheim in Seoul, dann in Amerika, Russland und China und irgendwann vielleicht auch in Europa soll dieser Luxusliner zum Aushängeschild der Aufsteiger werden und ein wenig am Ruhm von S-Klasse & Co nagen. „Damit zeigen wir, dass wir uns selbst hinter solch etablierten Luxuslimousinen nicht mehr verstecken müssen“, sagt der ehemalige BMW-Entwickler Albert Biermann, der bei den Koreanern für Abstimmung aller Modelle zuständig ist.
Was klingt, wie der Blech gewordene Größenwahn, ist nach der ersten Ausfahrt gar nicht so weit her geholt. Denn das Design des 5,21 Meter langen Prunkstücks wahrt haarscharf die Balance zwischen Protz und Prestige und mischt dabei so geschickt den Grill von Audi, die Silhouette von Mercedes und die Rückleuchten von Jaguar, dass der G90 nicht wirkt wie ein Premium-Potpourri. Sondern wenn die Limousine vor dem Flughafen Incheon auf der VIP-Spur steht, dann wirkt sie vielmehr als ob sie schon immer hier her gehört.
Auch Ambiente und Ausstattung können auf Anhieb überzeugen: Es duftet überall nach Lack und Leder, die Hölzer sehen weniger nach Vinyl als nach Furnier, was wie Metall wirkt, fühlt sich auch so an und selbst der Schlüssel ist ein Kleinod, das pfundschwer in der Hand liegt. Durch den täglichen Stau von Seoul schwebt man im Fond auf klimatisierten Sesseln, die spätestens dann zu Loungeliegen werden, wenn sich auf Knopfdruck der Beifahrersitz zusammenfaltet und im Fußraum verschwindet. Während vor den getönten Scheiben die Lichter der Großstadt vorbei fliegen und dunkle Jalousien neugierige Blicke aussperren, lässt man sich von der butterweichen Stahlfederung sanft über die allgegenwärtigen Speedpumps tragen und konzentriert sich auf das Infotainment-Programm auf den großen Screens, die an den Rücklehnen der Vordersitze montiert sind.
Zwar lässt sich der gemeine koreanische Besserverdiener in der Regel chauffieren und achtet deshalb eher auf den bei einem Radstand von 3,16 Metern ziemlich üppigen Platz hinten rechts. Doch auch vorne links macht der G90 eine gute Figur. Denn als Fahrer fühlt man sich so wichtig wie der Kapitän eines Kreuzfahrtriesen, wenn man auf dem imposanten Sessel hinter dem stolzen Lenkrad thront und sich vor einem der dichte Verkehr teilt. Und obwohl der G90 gespickt ist mit zahlreichen Assistenz- und Komfortsystemen, findet man sich im Cockpit auf Anhieb zurecht: Der Drehregler auf dem Mitteltunnel funktioniert mindestens so gut wie der i-Drive von BMW, die animierten Instrumente sind brillant wie auf einem Smartphone und der 12,7-Zoll-Bildschirm daneben hat eine Auflösung, die man sich auch daheim für den Fernseher wünschen würde. Allein wegen der genialen Navigationsgrafiken könnte man stundenlang durch die Stadt fahren und dabei keinen einzigen Blick nach draußen verschwenden.
Muss man auch nicht. Denn genau wie S-Klasse & Co erledigt der G90 die meisten Fahraufgaben (fast) alleine. Schließlich hat Hyundai nicht nur ein Head-Up-Display eingebaut, sondern auch eine automatischen Abstandregelung, die zusammen mit der elektronischen Spurführung zumindest so lange autonomes Fahren ermöglicht, bis ein wildes Fiepen die Hände zurück ans Lenkrad zwingt. Beim Rangieren sieht man den Wagen in bislang ungeahnter Brillanz aus so vielen Perspektiven, dass man den G90 so leicht einparkt wie einen Kleinwagen. Und die Navigation warnt nicht nur vor Staus und Radarfallen, sondern sogar vor den allgegenwärtigen Temposchwellen im Asphalt, die der G90 locker wegbügelt.
Das Design stimmig, standesgemäß und grundsolide, das Ambiente vornehm wie auf der Chefetage, der Komfort mustergültig, das Platzangebot großzügig, die Ausstattung üppig und das Heer der Assistenzsysteme auf der Höhe der Zeit – in der Theorie kommt der G90 seinen europäischen Konkurrenten schon ziemlich nahe.
Und auch in der Praxis macht die Limousine eine überraschend gute Figur. Für den Heimatmarkt betont komfortabel ausgelegt, im Windkanal glatt geschliffen und dick isoliert, packt sie die Passagiere in Watte und trägt sie wie auf Wolken zum Ziel. Das fühlt sich mehr nach Schweben an als nach Fahren und lässt die Frage nach dem Motor fast vergessen. Dabei sind die Koreaner doch so stolz auf ihren neuen V6-Benziner, der dank zweier Turbos immerhin 370 PS entwickelt und bis zu 510 Nm ins Rennen wirft. Zusammen mit der achtstufigen Automatik und einem eher hecklastig ausgelegten Allradantrieb ist das ein Paket, dass sich Fahrdynamiker Biermann gut auch auf der deutschen Autobahn vorstellen könnte. An den üblichen 250 km/h Top-Speed jedenfalls sollte es nicht liegen, und mit 6,2 Sekunden von 0 auf 100 muss sich der G90 auch nicht verstecken.
Alternativ dazu gibt es für das Basismodell einen zweiten V6 mit 3,8 Litern und 315 PS oder an der Spitze einen fünf Liter großen Achtzylinder mit 425 PS. Aber mangels Turbo und Direkteinspritzung sind der V6 nur für den Preis und der V8 für das Prestige, sagt Biermann und lobt den 3,3-Liter als die Performance-Lösung, die man zudem bald auch in anderen, europäischen Modellen sehen wird.
Zwar haben die Koreaner mit dem Angriff aufs Establishment erst einmal daheim begonnen, wo sie naturgemäß besonders stark sind und ihnen neben dem Lokalpatriotismus auch die Beschaffungspolitik von Firmen und Behörden in die Hände spielt. Doch dass sie binnen weniger Woche bereits fast die komplette Jahresproduktion von 20 000 Autos verkauft haben, hätten sie selbst nicht erwartet. Selbst wenn die Preise mit 73 Millionen Won oder umgerechnet rund 55 000 Euro mehr als ein Drittel unter der S-Klasse beginnen.
Der erfolgreiche Start in der Heimat macht Hyundai Mut für die neue Marke, die bis zum Ende des Jahrzehnts sechs Modelle umfassen soll. Und er stimmt die Koreaner zuversichtlich für die Genesis-Einführung auf anderen Märkten. Offiziell ist dabei erst einmal die Rede von Amerika, China, Russland und dem Nahen Osten und noch nicht von Europa. „Dort mangelt es uns noch an Reputation und Glaubwürdigkeit für den Schritt in die Oberklasse“, räumt Marketing-Vorstand Wonhee Lee ein. Doch mehren sich in Seoul die Stimmen, dass zumindest die kleineren Genesis-Modelle sehr wohl auch ihren Weg nach Westen finden sollten. Und selbst der G90 könnte es vielleicht doch noch schaffen. Im Navigationssystem jedenfalls ist die Europakarte sicherheitshalber schon mal hinterlegt.