Schaulaufen auf der Datenautobahn: So erobern die Automobilhersteller die Elektronikmesse CES
Von wegen Zaungäste: Als vor ein paar Jahren die ersten Automobilhersteller zur CES nach Las Vegas gekommen sind, wurden sie noch milde belächelt. Denn mit lackiertem Blech und rostigen Verbrennungsmotoren könnten die Nerds so gar nichts anfangen, und mit den Anzugsträgern aus Detroit oder Stuttgart erst recht nicht. Doch im Jahr 2016 zeigt die größte Elektronikshow der Welt ein anderes Bild: Die Vorstandsbosse haben die Krawatten ab- und dafür die Smartwatch angelegt. Ein gutes Dutzend Autohersteller und Zulieferer aus der ersten Reihe haben die Northhall für sich eingenommen. Und Messechef Gary Shapiro feiert das Auto als elementaren Bestandteil der digitalen Lebenswelt. Dafür fahren die Pkw-Hersteller in Las Vegas mittlerweile fast so groß auf wie bei einer konventionellen Motorshow und treten im großen Ornat beim Schaulaufen auf der Datenbahn an.
VW-Chef Herbert Diess zum Beispiel hat deshalb zu seiner Keynote-Ansprache gleich noch einen elektrischen Bulli mitgebracht, mit dem er der Vision von „New Volkswagen“ ein Gesicht geben will. Mit weitreichender Vernetzung, faszinierender Gestensteuerung und einen interessanten Infotainment-Konzept soll dieses Budd-E genannte Schaustück beweisen, dass VW in der Generation Smartphone angekommen ist und sich endlich auf die digitale Revolution eingelassen hat.
BMW hat die Spyder-Studie des i8 noch einmal überarbeitet und ihr ein Interieur geschneidert, dessen Touchscreens nicht einmal mehr eine Berührung benötigen. Mercedes punktet noch einmal mit dem in einem komplett digitalen Prozess entstandenen Aerodynamik-Wunder Concept IAA. Audi hat neben dem e-Tron Quattro schon mal das Cockpit des nächsten A8 mitgebracht. Und Chevrolet hat nicht nächste Woche daheim in Detroit, sondern hier in Las Vegas das Tuch vom neuen Elektroauto Bolt gezogen.
Wobei das womöglich sogar vergebene Liebesmühe gewesen ist. Denn welche Kraft die Autos treibt, das ist den meisten Messebesuchern in Las Vegas herzlich egal. Wo man in Detroit über Motorleistung philosophiert, interessiert auf der CES eher die Rechenleistung und dass Autos noch mit fossilen Treibstoffen fahren, will sich hier ohnehin kaum jemand vorstellen. Der Elektroantrieb ist im Mindset der Messegäste deshalb längst genauso selbstverständlich wie das autonome Fahren. „Hier fragt keiner mehr nach dem Ob, sondern nur noch nach dem Wann“, sagt Johann Jungwirth, der bei VW die Digitalisierung vorantreiben soll. Selbst einem bis vor wenigen Wochen noch völlig unbekannten Newcomer wie Faraday Future nimmt man hier ab, dass er die Mobilität völlig neu erfinden und die Autowelt auf den Kopf stellen kann – selbst wenn das mit chinesischem Geld im Silicon Valley gegründete Start-Up in Las Vegas außer ein paar leeren Worthülsen nur eine schnell zusammengeschusterte Studie zeigt, die als 1 000 PS-Supersportwagen mit Elektroantrieb ohnehin nicht den geringsten Serienbezug hat. Macht nichts, dafür sieht der Zero1 aus, als käme er direkt aus einem Videospiel. Und damit ist man auf der größten Elektronikmesse der Welt schließlich genau richtig.
Überhaupt sind es in Las Vegas ganz andere Gadgets und Gimmicks als in Detroit, mit denen die Autohersteller die Messegäste auf die völlig überlaufenen Stände locken. Sie staunen über kunterbunte Multimedia-Landschaften, Bedienung mit Gesten oder Sprache und Autos, die so gut vernetzt sind, dass sie nicht nur automatisch auf den Gesundheitszustand und den Terminkalender des Fahrers Rücksicht nehmen, sondern sogar dafür sorgen, dass genügend Essen im Kühlschrank ist, wenn man nach Staus und stockendem Verkehr endlich nach Hause kommt.
All das klingt nach ferner Zukunft, ist aber schon relativ greifbar. Eine Gestensteuerung, wie es sie im BMW Siebener bereits zu kaufen gibt, kommt noch in diesem Jahr auch im VW Golf. Die Vernetzung von Auto und Smart Home ist nur noch eine Frage von Wochen und selbst das bis vor kurzem noch utopisch ferne autonome Fahren ist plötzlich ziemlich greifbar. Mit der neuen Mercedes E-Klasse zum Beispiel, die in Las Vegas zumindest virtuell ihre Weltpremiere feiert, kommt man schon mit verdammt wenigen Eingriffen über die Autobahn. Auf den Parkplätzen rund um das Convention Center wimmelt es nur so von selbstständig rangierenden Prototypen, die wahlweise mit der Fernbedienung, mit der Smartwatch, per Sprache oder zum Teil auch nur mit einem Winken auf die Stellplätze gelotst werden. Und selbst Marken aus er zweiten Reihe versprechen stark automatisierte Fahrprogramme noch im Lauf dieses Jahrzehnts.
Entsprechend aufgeräumt ist die Gemütslage bei den Ausstellern. Noch vor ein paar Jahren hat bei Daimler & Co in Las Vegas beinahe Endzeitstimmung geherrscht, geprägt von der Angst, den Anschluss zu verpassen und sich von Newcomern wie Tesla oder IT-Giganten wie Apple und Google abhängen zu lassen. Doch heute zeigen sich die alten Giganten stark und selbstbewusst in der neuen Welt: Während Apple gar nicht auf der Messe ist und Google mal wieder kein selbstfahrendes Auto mitgebracht hat, beweist deshalb zum Beispiel Toyota Rückgrat und sperrt die Software der beiden Herausforderer aus dem Silicon Valley kategorisch aus seien Autos aus. Und VW-Chef Diess lässt genau wie seine Kollegen Mark Fields bei Ford oder Marry Barra bei General Motors keinen Zweifel daran, dass sich die PS-Branche due Deutungshoheit über de Zukunft des Autos nicht nehmen lassen wird, selbst wenn sich die Geschäftsmodelle verändern, die Nutzung wichtiger wird als der Besitz und man neue Partner für neue Angebote ins Boot holen muss. Neue Ideen und alte Stärke, saubere Antriebe, faszinierende Benutzeroberflächen und die vollständige Vernetzung mit allem und jedem. So sieht die Automobilindustrie ihr Kernprodukt für die Zukunft gerüstet und gibt sich in Las Vegas betont zuversichtlich: „Seine beste Zeit hat das Auto erst noch vor sich“, sagt VW-Chef Herbert Diess.“ Und wir werden dabei eine der treibenden Kräfte bleiben.“