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Mercedes SLS electric drive: Captain Future unter Starkstrom

Published in motosound.de

Nichts, man hört einfach nur: nichts. Da wird man von 1000 Nm Drehmoment in weniger als vier Sekunden von 0 auf Tempo 100 gebeamt, und statt des Brüllens eines Acht- oder Zwölfzylinders dringen nur das Abrollgeräusch der Reifen und das Rauschen des Fahrtwinds ans Ohr. Willkommen im wahrscheinlich abgefahrensten Sportwagen der Welt, willkommen im Mercedes SLS electric drive.

Mercedes SLS electric drive: Neongelb ist der elektrische Supersportwagen von Mercedes lackiert. Vier E-Maschinen treiben den 2,1-Tonner voran.

Während manche Auto-Auguren derzeit den Abgesang auf die Elektromobilität anstimmen, lassen sich die Schwaben nicht aus dem Konzept bringen und wollen aller Welt beweisen, wie aufregend ein Stromer tatsächlich sein kann. Wie vor gut zwei Jahren angekündigt, setzten sie jetzt ihren Flügeltürer unter Strom und sticheln gegen die Konkurrenz. „Wo andere aufgeben, geht es für uns erst so richtig los“, sagt Mercedes-Entwicklungsvorstand Thomas Weber mit einem spöttischen Blick auf den gescheiterten Audi R8 E-Tron und schickt stolz das stärkste und schnellste Elektroauto der Welt ins Rennen. 751 PS aus vier Motoren, maximal 250 km/h und mehr Fahrspaß als in einem Formel-1-Rennwagen – wenn so das Auto der Zukunft fährt, dann kann sie gerne schon heute beginnen. Dummerweise markiert der ab Juni lieferbare SLS electric drive nicht nur bei Power und Performance die Spitze, sondern auch beim Preis: 416.500 Euro machen ihn zum teuersten Mercedes im Modellprogramm – und bis zum Debüt des Porsche 918 Spyder auch zum teuersten Auto aus deutscher Produktion.

Lackiert in der fluoreszierenden Farbe “Lumilectric” und rasant wie es sich für einen Supersportwagen gehört, jagt der Flügeltürer bei der ersten Testfahrt über die Rennstrecke und beweist auf jedem Meter, dass Autofahren auch in der Zeit nach dem Öl nach Spaß machen kann. Denn auf Faszination müsse bei diesem Boliden niemand verzichten, sagt Projektleiter Jan Feustel. „Wir haben uns vorgenommen, mit diesem Auto das Thema Supersportwagen neu zu definieren.“ Dafür stehen nicht nur die vier Elektromotoren nahe den Rädern, von denen jeder 188 PS und 250 Nm leistet.

Sondern dafür sorgen vor auch die ungeahnten Möglichkeiten bei der Fahrdynamik, die mit dem Elektrokonzept einhergehen. Allradantrieb, eine variable Drehmomentverteilung für jedes Rad und eine Rekuperationsbremse, die sich wie Zurückschalten anfühlt – mit solchen Finessen stellen die Schwaben die bisherigen Erwartungen an ein elektrisch angetriebenes Fahrzeug auf den Kopf.

Cooles Cockpit: Man muss sich erst an die Anzeigen gewöhnen, aber dann ist eigentlich klar, worum es auch in diesem Auto geht.

Um das zu erfahren, muss man lediglich auf der Mittelkonsole von “C” wie City oder Comfort auf “Sport” oder “Sport Plus” schalten und danach die Taste mit den vier Rädern drücken. Dann schaltet die Elektronik von 60 auf 80 oder 100 Prozent Leistung und der Bordcomputer verteilt die Kraft so, dass man durch die Kurven fliegt wie ein Modellauto auf der Carrera-Bahn. Im Normalbetrieb gutmütig bis hin zu einem leichten Untersteuern, wird der Rennwagen im “S+”-Modus zu einer wilden Heckschleuder, mit der man beinahe durch die Slalomgasse driftet und die Schikanen mit einer fast beängstigenden Direktheit angehen kann. Dass der Wagen durch die riesigen Akkus zehn Zentner mehr wiegt als ein Benziner, hat man da längst vergessen. Und bei jedem Gas-, nein Stromstoß fragt man sich, weshalb hier bei 250 Sachen schon wieder Schluss sein soll. So, wie der elektrische SLS anschiebt, müsste er eigentlich locker 300 und mehr schaffen. Dass er es nicht tut, liegt nur an der Rücksicht auf die Reichweite. Außerdem soll das Auto kein reiner Sekundenjäger sein. Bevor es kritisch wird, fängt ihn die Elektronik spektakulär wieder ein, denn in diesem Fall kann das ESP nicht nur Leistung wegnehmen, sondern jedem Rad gezielt genau soviel Leistung zuteilen, dass sich der Wagen wie von Geisterhand blitzschnell wieder gerade stellt.

So eindrucksvoll wie die Beschleunigung ist die das Bremsen. Die Keramikscheiben sind vielleicht nicht sonderlich feinfühlig, doch lange bevor man tatsächlich aufs Pedal tritt, kann man den Wagen schon mit den ehemaligen Schaltwippen am Lenkrad verzögern. Mit ihnen wird in diesem Wagen nämlich der Grad der Rekuperation bestimmt; dann wird der Motor zum Generator und produziert während der Fahrt Strom fürs Weiterkommen. In Nullstellung rollt der Flügeltürer wie im Leerlauf dahin, mit jedem Druck an den Lenkradtasten wächst die Bremsleistung – also eigentlich die Energierückgewinnung – bis man in der vierten Stufe den Eindruck hat, jetzt schalte das eigentlich stufenlose Getriebe zwei Gänge zurück.

Zwar startet der SLS tatsächlich geräuschlos und geisterhaft, doch wer weiß besser als die AMG-Entwickler, dass Fahrspaß auch etwas mit Sound zu tun hat. Deshalb haben sie monatelang getüftelt, bis sie einen speziellen E-Sound komponiert hatten. Von außen nicht zu hören, füllt er auf Knopfdruck die Kabine mit einem Klangteppich, der passend zur Fahrsituation aus 20 verschiedenen Soundschnipseln gewoben wird. Das ist zwar authentischer als ein simulierter V8-Motor und passender als ein synthetisches Ufogeräusch – aber so richtig überzeugen kann der Elektro-Pop noch nicht. Dafür ist er schlicht zu dezent und zu defensiv.

Abgehoben: Der Flügeltürer mit Elektroantrieb kostet mehr als 400.000 Euro. Gebaut wird das Auto nur den Sommer über, im Herbst ist Schluss.

Die Energie für die Motoren liefert ein Lithium-Ionen-Akku, den AMG gemeinsam mit den Mercedes Formel-1-Technikern aus dem britischen Brixworth entwickelt hat. Er wiegt mehr als 500 Kilo, hat dafür aber auch eine Kapazität von 60 kWh und sichert dem SLS einen weiteren Rekord. „Kein anderes Elektroauto hat einen Akku mit einer derart großen Energiedichte“, sagt Projektleiter Feustel und verspricht nach 20 Stunden Ladezeit eine Reichweite von 250 Kilometern. Im Normzyklus mag das zu schaffen sein. Aber bei forcierter Gangart kann man vielleicht mit der Hälfte kalkulieren, und wenn ein Könner über die Nordschleife jagt, dann ist schon nach einer Runde Zeit zum Nachladen.

Doch 250 Kilometer, 125 Kilometer oder vielleicht nur ein paar Runden – bei keinem anderen Elektro-Auto ist die reale Reichweite so nebensächlich wie beim SLS. Nicht nur, weil immer nur Dritt- oder Viertauto im Fuhrpark eines Hightech-Fanatikers sein wird. Sondern auch, weil dieses Auto zum hurtigen Fahren animiert. Und das verträgt nicht jeder stundenlang. Entwicklungsvorstand Thomas Weber hat erkannt: „Der limitierende Faktor bei diesem Auto ist nicht der Ladestand der Batterie, sondern der Magen des Mitfahrers.“

Original: Blog | MOTOSOUND

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