Die Künstler und das Auto, 50 Jahre Opel Design (1)-1782
50 Jahre Opel Design (1)
Schwarzweiss war es, das Bild des Autos in den sechziger Jahren. Bestenfalls handkoloriert oder ganz selten in arg blassen Pastellfarben standen Kadett und Konsorten unter Apfelbäumen. Trenchcoat und Petticoat waren gerade aus der Mode gekommen und trotzdem hatten die Kinder rote Pausbacken und die Frauen halblange Haare. Wenn ein neues Auto präsentiert wurde, dann im Theater oder in der Stadthalle am Standort des Herstellers. Die Gäste wurden zu einem Glas Wein und einem Teller Kartoffelsuppe eingeladen, der Vorstand sprach, Vorhang auf – Beifall – Vorhang zu. Über Design wurde in jenen Zeiten nicht weiter diskutiert. Wenn es um die Gestaltung eines Wagens ging, dann hiess das allenfalls Styling und wurde im Zuge der Konstruktion von Entwicklern und Ingenieuren nach Gusto beinahe schon nebenher erledigt.
Das sollte sich ändern. Dass über Formen und Gestalt Aussagen vermittelt werden, dass kein Radius und keine Sicke ohne Einfluss auf den Gesamteindruck eines Automobils bleibt, das gehört heute längst zum Allgemeinwissen eines Schulbuben. Doch in Europa herrschte trotz der Zeiten des Wandels eine eher konservative Haltung der Ingenieure und Spitzenmanager der Automobilindustrie vor. «Modellraum» hiess bis Anfang der Sechziger der geheime Ort bei Opel, an dem die Karosserie eines neuen Automobils ihre Form bekam. Und es ging stets um ein konkretes, neues Modell, das in Arbeit war.
Mittlerweile jedoch ist die Form eines Automobils zur Visitenkarte seines Besitzers geworden. Er sendet damit Signale an seine Umwelt, offenbart seine Vorlieben und verleiht oft sogar seiner Weltanschauung Ausdruck. Und nicht zuletzt: seinem Status. Die Sicke im Blech, die Lichtkante an der Flanke, die Form der Räder und der Scheinwerfer sind expressive Mittel der Gestaltung, geben modernen Fahrzeugen in wünschenswerter Weise einen unverwechselbaren Charakter und krönen sie zu den Königen industrieller Fertigung.
Das GM Stylking Studio in Detroit...
... und der kleine Bruder in Rüsselsheim.
Wo früher vielleicht ein knappes Dutzend Stylisten, meistens als Bildhauer, Architekten oder Grafiker ausgebildet, die Auto-Kleider bügelten, sind heute Heerscharen von Designern und Entwicklern damit beschäftigt, die Wesenszüge von Technik und Leistungsvermögen optisch umzusetzen.
Bei Opel war es in eben jenen Sechzigern, als die Bedeutung des Designs in nur kurzer Zeit zum wesentlichen Entwicklungsschwerpunkt neuer Modelle befördert wurde. In Rüsselsheim entstand 1964 neben dem damaligen Technischen Entwicklungszentrum (TEZ) in der Nähe des alten Testgeländes ein Gebäudekomplex, in dem sich die kreativen Köpfe ausschliesslich mit der Gestaltung, mit Formen, Farben und Funktionen des Autos beschäftigten. In diesen Zeiten gab es keine Schule, keine Universität für Automobil-Design in Europa. «Wer sich für Autos interessierte, konnte höchstens Industriedesign studieren» erinnert sich Erhard Schnell, Vater des legendären Opel GT und Leiter eines der Designstudios im N10.
Das GM Stylking Studio in Detroit...
... und der kleine Bruder in Rüsselsheim.
«Die einzigen Fahrzeuge, die man in Industriedesignschulen entwerfen durfte, waren solche mit sozialer Relevanz: Rettungswagen, Busse oder Lkw. Personenwagen gehörten nicht dazu, ganz zu schweigen von aufregenden Sportautos.» So wurden die Stylingabteilungen der europäischen Automobilhersteller von Ingenieuren geleitet, bestenfalls von Künstlern.
Aber in Rüsselsheim wollte man die Geschicke künftig in eigene Hände nehmen und neue Ressourcen nutzen. Denn die Zeit gilt als eine Ära des Wandels, eines Aufbruchs der Designwelt. Waren bis dahin meist Modeschöpfer für ihre kreativen Leistungen bekannt, die auf den Laufstegen der Welt Beifall ernteten oder gelegentlich auch Missmut erzeugten, so hatte leise und nicht von allen gleich bemerkt die neue Berufsgilde der Industriedesigner in den Kampf um die Gunst des Kunden eingegriffen. Ein gutes Beispiel lieferte der Elektrogerätehersteller Braun, der mit einer überaus modernen und ebenso zeitlosen Formensprache seine Radios, Plattenspieler und selbst banale Objekte wie einen Rasierapparat zu Design-Ikonen entwickelte.
In Rüsselsheim bekamen im als N10 bezeichneten Gebäude gleich drei neue Abteilungen ein Zuhause. Das Interieur-Design bestimmte die Formen und Materialien des Innenraums, gestaltete Sitze, Armaturentafeln und Verkleidungen. Hier fanden auch erstmals weibliche Mitarbeiter einen Arbeitsplatz, schrieb man Frauen doch damals eine feinfühlige Hand zu, wenn es um die attraktive Gestaltung des «Aufenthaltsraumes» im Fahrzeug ging. Sogar ein «Frauen-Auto» entstand. Die japanische Designerin Taeko Nakagome entwickelte 1970 einen modifizierten Innenraum des Opel Commodore, der speziell auf die Belange der weiblichen Klientel zugeschnitten war. Unverzichtbar an Bord: Das integrierte Beauty-Case mit Schminkspiegel im Handschuhfach (in dem schon damals viele Accessoires, nur meist keine Handschuhe mehr untergebracht wurden) und für den Kofferraum massgeschneiderte Einkaufskisten, die den zur Verfügung stehenden Raum besonders intelligent nutzten.
Das GM Stylking Studio in Detroit...
Die zweite Abteilung beschäftigte sich mit der Karosserie, spielte mit dem Gesicht, der Silhouette, den Proportionen des Autos, man grübelte und prüfte, welche Gestalt am ehesten den Charakter der jeweiligen Baureihe nach aussen tragen konnte. Und welche Aussage die Formen des gepressten Stahls und der damals allmählich Einzug haltenden Anbauteile aus Kunststoff machen sollten. Denn der Erfolg, so dachte man folgerichtig, ist ein flüchtiger Gast. Nur mit attraktivem Design können Nachfolgemodelle bestehen, sie dürfen während ihres Lebenszyklus nicht vorzeitig altern, andererseits aber auch nicht mit völlig abstrahierten Formen ihre Familienzugehörigkeit in Frage stellen. Kurz: Sie gaben dem Auto optisch einen Charakter, wohl wissend, dass die Chance eines guten ersten Eindrucks nicht wiederkehrt.
War bereits die Bündelung und Betonung dieser Arbeiten ein Novum im europäischen Automobilbau, so begann die dritte Abteilung im N10 schlicht mit Pionierarbeit. Opel hatte zum ersten Mal in Europa ein Team aus hochkarätigen Designern zusammengestellt, die mehrheitlich in Rüsselsheim und bei der Muttergesellschaft General Motors in Detroit ihre Erfahrungen gesammelt hatten und nun, abseits vom Tagesgeschäft und der Weiterentwicklung bekannter Baureihen, den Blick weit in die Zukunft richten sollten. Das Advanced Design, oder auch die Vorausentwicklung, widmete ihre Arbeiten vornehmlich völlig neuen Konzepten für Automobile. Formen, Farben, Radien und Linien wurden unter Berücksichtigung des Geschmacks des Autokunden der Zukunft entwickelt. Nicht was in wenigen Monaten in die Serienproduktion einfliesst, sondern was in drei bis zehn Jahren auf den Strassen für Aufsehen sorgen würde.
Dies bedeutete für Europa eine Revolution.Bis dahin hatten hier lediglich spezialisierte Carrossiers automobile Visionen in Form gebracht. Die bekanntesten hatten nahe der piemontesischen Hauptstadt Turin, die als Mekka der Gestaltung von Automobilen galt, ihren Standort. Pietro Frua, Giuseppe «Nuccio» Bertone oder Sergio Pininfarina hatten zwischen Alpen und Apennin ihre Karosseriefertigungen eingerichtet und zeichneten für die Gestaltung von extravaganten, Forschungs- oder Experimental-Fahrzeugen verantwortlich, mit denen neue Gestaltungen und Ideen erprobt werden sollten. Während die etablierten Hersteller sich auf die Entwicklung ihrer Serienfahrzeuge konzentrierten, erfanden diese Designkünstler neue Formen und Ideen, die jenseits der Modellpaletten rangierten. Sie machten damit ihre Kreativität und ihre Innovation öffentlich, immer in der Hoffnung, von den Herstellern mit Designarbeiten beauftragt zu werden – was zum Beispiel Pininfarina mit der Kooperation mit Peugeot oder Ferrari gelang. Auch wurden wohlhabende Automobil-Enthusiasten aufmerksam und bestellten bei ihnen ihren ganz persönlichen, massgeschneiderten Traum-Sportwagen.
Daher baute Opel ein eigenes, ins Werk integrierte Design-Studio auf. Das erste Projekt dieser Abteilung der Denker, klugen Köpfe und Visionäre stand schon ein Jahr nach dem Beginn der Arbeiten im N10 1965 auf der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt am Main (IAA): Es war das erste in Europa von einem Hersteller und von Grund auf neu entwickelte Konzept-Fahrzeug, der Opel Experimental GT. Der war während seiner Entwicklung zu keinem Zeitpunkt als Serienfahrzeug geplant, das in die Modellpalette aufgenommen und verkauft werden sollte. Zum ersten Mal hatte ein ernstzunehmender Hersteller in Europa ein Fahrzeug entwickelt, das einzig die Möglichkeiten neuer, kreativer Formen aufzeigen sollte.
(Hier geht es weiter zum zweiten Teil.)
Original: radical