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Vorne zornig, hinten mau? Das neue S-Klasse-Coupé polarisiert die Fans

Published in fünfkommasechs.de

Die seriennahe Studie auf der IAA erntete ungebrochene Begeisterung, auch bei unseren Lesern

Nein, das wird kein schöner Valentinstag :-( In meinem ersten Entwurf für diesen kleinen Aufsatz hier war ich ziemlich sauer.

Sauer darüber, dass mein neuer Schwarm genauso grummelig dreinschaut wie ihre ungezogenen kleinen Geschwister, dass sie ihre Stirn so aggressiv in Falten legt wie ein Kerl beim Gewichtheben und andererseits mit unnötigem Modeschmuck daherkommt. Besonders enttäuscht war ich darüber, dass plötzlich alle ihren Hintern nicht mögen, obwohl doch gerade der so wunderbare Vorbilder hat.

Äh, ja… vielleicht ist es auch einfach noch viel zu früh für eine Design-Rezension. Noch kennen wir das neue S-Klasse-Coupé ja nur von Bildern – und von der Designstudie auf der IAA. Die hatte Euch kurioserweise besser gefallen, ja: regelrecht begeistert. Kaum ist sie aber vom Laufsteg runter und in Alltagskleidung geschlüpft, kochen die Emotionen hoch – ein bißchen auch bei mir, das gebe ich zu. Alles nur Psychologie?

Die Seitenlinie funktioniert tadellos, auch in meinem kargen Badezimmer-Vorraum. Und das ist wichtig! Anstoß nehmen die Fans vor allem am Heck des C217 | Foto: Daimler AG

Andererseits: als ich meine fertige Anklageschrift dann mit Bildbeweisen illustrieren wollte, wurde mir beim Gang durchs Archiv immer klarer, dass es vieles von dem, woran ich Anstoss nahm, in der Ahnenreihe schon längst gegeben hatte. Ein S-Klasse-Coupé war nie damenhaft leise, schon gar nicht bescheiden. Oft polarisierte es und trug dabei allerlei Klunker. Einige dieser “schlechten” Eigenschaften machten rückblickend sogar überhaupt erst den Klassiker aus, an anderes haben wir uns einfach gewöhnt.

Also alles nochmal auf Anfang, aber die Fotomontage darf bleiben:

Zwei Charakterköpfe mit verblüffend ähnlichem Gesichtsausdruck – das findet zumindest der Autor und Photoshopkünstler ;-) | Foto: Daimler AG & Universal Pictures / Montage: fünfkommasechs.de

Ja, die erwartbaren Aufschreie der Kategorie “Mercedes baut heute keine schönen Autos mehr” gibt es immer wieder. Und wenn sie pauschal und nicht selten vulgär daherkommen, muss man ihnen nicht allzu viel Bedeutung beimessen. Nach Ablauf einer mehrjährigen Halbwertszeit verkehrt sich die Meinung der Schreiberlinge meist ins Gegenteil, sobald das kritisierte Fahrzeug als Gebrauchter dann plötzlich in den eigenen Geldbeutel paßt – so wie derzeit der C215 – und dann von denselben Design-Experten frenetisch gefeiert, bisweilen auch “stilistisch opimiert” wird. In diesen Chor mag ich schon aus Prinzip nicht einstimmen.

Interessant sind vielmehr die Kommentare derer, die durchaus differenziert zum Ausdruck bringen, was genau an der neuen Baureihe C217 mißfällt, und vor allem warum. Zum Beispiel bei uns auf Facebook. Und da zeichnet sich eine Tendenz ab.

Warum so zornig?

Der Blick in den Rückspiegel könnte künftig viele Fragen aufwerfen: A-Klasse? Zu groß! CLA? Zu flach! Der Frontschürze nach irgendwas von AMG, oder doch nicht? Eines steht fest: die wollen vorbei, so böse wie die schauen… Sympathisch ist anders! | Foto: Daimler AG

Das Gedränge im so genannten Premiumsegment, zu dem sich nicht erst seit gestern auch Volumen-Marken wie VW zählen, ist groß geworden und die Lautstärke entsprechend hoch. Wer heute auffallen will, muß die anderen übertönen. Die Limousine der neuen S-Klasse thront zwar über allem und strahlt dabei noch eine ruhige Souveränität aus. Schade aber, dass sich nun ausgerechnet das vermeintlich über alle zeitgeistigen Zweifel erhabene Coupé genötigt sieht, sich in die Look-Alikes der weit aufgerissenen Ansaugmäuler, bösen Blicke und zornesfaltigen Stirne mit einzufinden. Aber ist das wirklich so?

Je nach Farbe, Ausstattung und Blickwinkel wirkt das neue Coupé-Gesicht energisch oder – wie hier – geradezu brav | Foto: Daimler AG

Klar, der Daimler will’s wissen und packt zum Zwecke einer noch immer ausbaufähigen “Eroberungsrate” von Anfang an sämtliche als jugendlich-dynamisch identifizierten Zutaten in die optische Ausstattung. Da werden Limousinen ihres Haubensterns beraubt, Kompaktwagen erhalten Aerodynamik-Pakete, die man sonst nur vom Wörthersee kannte – und dem S-Klasse-Coupé wachsen Powerdomes, die zuletzt als das optische Erkennungsmerkmal den AMG-Modellen vorbehalten waren und den echten Affalterbacher vom normalen “AMG Styling” unterscheiden sollten. Jetzt also darf sie auch der basismotorisierte CLA haben, der GLA und das eigentlich über derlei modische Launen transzendierende S-Klasse-Coupé.

Über die Powerdomes mag man streiten, über diese Farbe sicher nicht. Ein wohltuendes dunkelgrün irgendwo zwischen After Eight und nachtgrün-metallic, das viel von der vermeintlichen Aggressivität des Auftritts mildert | Foto: Daimler AG

Doch halt! Die “Powerdomes” sind viel älter. Sie haben ihren Ursprung im W198 Flügeltürer und wurden auch schon früher zitiert, zum Beispiel beim SLK der Baureihe R170. Noch interessanter wird es, wenn man den C217 neben seinen Urgroßvater C126 stellt. Dann wird plötzlich klar, woher er seine Stirnfalten tatsächlich geerbt haben dürfte: Bruno Saccos vielleicht größtes Werk trägt an identischer Stelle zwei parallel verlaufende Sicken!

Konnte auch schon böse gucken, wenigstens für damalige Verhältnisse: der C126 mit den coupé-typischen zusätzlichen Sicken in der Haubenmitte

Dekadenter Blick nach Asien?

Weil der Luxus im neuen S-Klasse-Coupé schon zur Grundausstattung gehört, müssen völlig neue Sonderausstattungen ge- und erfunden werden, um die Wucht des Auftritts noch bis in dekadente Details steigern zu können. Das treibt dann stilistische Blüten wie die Integration von jeweils 47 Swarovski-Kristallen in die Frontscheinwerfer in der “Edition 1″ und später als SA-Code. Muss man denn wirklich so sehr auf die Neu-Superreichen aus Russland und Asien abzielen und derartigen Kitsch zulassen?

Ja, man muß, denn es hat auch ohne diese neuen Märkte längst Tradition, bei den Luxuscoupés aus Stuttgarter Fertigung ein wenig über die Stränge zu schlagen. Das Bild rechts zeigt einen Urahn der Grand Coupés mit Stern aus 1901 und ist gleichzeitig der Beweis, dass BingBling keine amerikanische Erfindung ist ;-)

Und doch hätte ich erwartet, dass viele der Kritiker des neuen Coupés noch am ehesten an derlei Glitzerdetails Anstoß nehmen. Taten sie aber mehrheitlich nicht. Stattdessen entzündet sich der Juckreiz am neuen Heck des großen Coupés – dabei ist genau das ein puristischer Ruhepol. Für mich sogar das designerische Highlight, ähnlich wie es auch schon beim CL der Baureihe 216 der Fall war.

C126 und C217 als virtuelle Begegnung. Noch haben wir das neue S-Klasse-Coupé nicht persönlich getroffen | Fotos: Daimler AG / Montage: fünfkommasechs.de

Traditionsbetonte Heckpartie – und trotzdem mißverstanden?

Gerade wir Klassikliebhaber sollten uns freuen: der Heckbereich ist tatsächlich eine Zitatesammlung großer Coupé-Jahrgänge aus 1958 (W128), 1981 (C126) und 1998 (C215).

Erstmalig seit dem W128 gibt es wieder ein zentrales Typkennzeichen direkt unter dem Stern. Ich würde nicht darauf verzichten wollen, denn in der Tat wirkt die neue Heckansicht bei “Wegfall Typkennzeichen” befremdlich und weckt allerlei Assoziationen mit anderen Fabrikaten.

Daran ändert auch die neue, umlaufende Chromleiste über den kantigen Heckleuchten nichts.

Diese Kombination trägt zwar unverkennbar die Gene des C126 in sich, aber im Moment ist der neue Coupé-Rücken, den wir auch für den AMG GT und den C205 erwarten dürfen, noch nicht “gelernt”.

Die Erfahrung mit den ersten Pressefotos bspw. des W212 zeigt aber, dass sich die schnell herbeigeredete Ähnlichkeit mit einem Fremdfabrikat (in jenem Falle dem Hyundai Sonata) in Luft auflöste, sobald man die neue E-Klasse in echt vor sich hatte. Nun muß man den 212 trotzdem nicht für zeitlos elegant halten, ebensowenig wie den C217. Trotzdem sollte man das immer bedenken bei einem “ersten Eindruck” anhand flacher Bilder.

Kommen wir zur Heckscheibe des C217: sie ist eine Hommage an die Baureihe 215, dem letzten großen Coupé aus der Designverantwortung Bruno Saccos. Die geschwungene Form war seinerzeit schon eine Reminiszenz an den W111, wenngleich auch mit ihrer breiten Maske hinter dem Glas weniger weit geöffnet als es von außen schien. Die nach unten vergleichsweise schmal zulaufende C-Säule kommt hingegen jetzt auch wieder im C217 einer besseren Rundumsicht zugute.

Beim C126 war der Fondbereich noch zu den Seiten hin wesentlich geschlossener durch die viel breitere Basis der C-Säule.

Was am neuen Coupé richtig gut funktioniert

Die neue “Signaturlinie”, die zuerst mit der zweiten Generation des CLS (Baureihe 218) eingeführt wurde, kommt am neuen großen Coupé vollends zur (Ent)Faltung. Durch die beiden zum Zerreissen gespannten Blechsehnen, die sich vom Heck aus bis weit in den Bug hinein ziehen und dabei scherenartig öffnen, wirkt die Karosserie obszön muskulös. Wer das mag, hat sicher seine Freude daran. Was immer die Dropping Line je erreichen wollte, auf den großen Flanken des Zweitürers kann sie es ungestört tun.

Übrigens verfügen die neuen Baureihen von C- bis S-Klasse über noch ein weiteres metallisches Signet in Längsachse, das ich bereits zu den schlechten Angewohnheiten der Wagnerschen Linienführung zählte und ebenfalls durch Blick ins Archiv zu verstehen lerne: die Chromleiste unten am Schweller.

Besondere Ausprägung hatte die u.a. am W111-Coupé, der vielleicht schönsten Karosserie der 1960er Jahre.

Heute wird sie wieder zitiert, oder vielmehr inszeniert: auch als eine Art metallisches Stück Endoskelett, das sich aus dem figurbetonten Blechkleid vor lauter Anspannung herauszuplatzen scheint.

Die Fahrgastzelle (Greenhouse) wirkt gedrungen duch die niedrige Fensterhöhe | Foto: Daimler AG

Der C126 mit größer proportioniertem, aber tatsächlich kleinerem Fahrgastraum

Schauen wir nach oben: das flache “Greenhouse” unterstützt den breitschultrigen Auftritt. Im Innenraum tritt ein maximaler “Cocooning”-Effekt ein. Nicht jedermanns Sache – ich aber mag dieses “Wrap Around” Gefühl, das in Ansätzen schon in meinem Alltags-W211 zu spüren ist. Da ganz besonders, wenn ich vom 126er umsteige, in dem man vergleichsweise “haltlos hoch” sitzt.

Die hohe Schulterlinie des C217 bedeutet, dass die Sitzposition als tiefer wahrgenommen wird. Mit dem Hntern näher am Boden, wie es sich für einen Sportwagen gehört.

Halb Salon, halb Trutzburg: der Innenraum des C217 umfängt die Insassen ähnlich imposant wie einst der C140 | Foto: Daimler AG

Und wer nun korrigierend anmerken möchte, daß ein S-Klasse-Coupé kein Sportwagen ist, dem sei klar widersprochen: seit den Neunziger Jahren haben viele der neuesten Fahrdynamik-Entwicklungen zuerst im S-Klasse-Coupé Einzug gehalten: ESP (C140), Active Body Control (C215) und jetzt Carving. Die große Luxusyacht war immer auch regatta-fähig!

Dabei kann man dem C217 nicht einmal vorwerfen, über zu wenig Glas zu verfügen. Das neue Glas-Panoramadach ist allein 50% größer als in der Vorgänger-Baureihe und der Innenraum damit der bei weitem lichteste der gesamten Ahnenreihe. Das schließt ausdrücklich auch die Rundumsicht im (an sich für ein Coupé unwichtigen) Fondbereich mit ein, die im C126 aufgrund der breiten C-Säule noch stark beeinträchtig war.

Fensterplatz im Fond: Rundumsicht unwichtig, aber “nice to have”. Die weit zurückgezogene und für ein Coupé vergleichsweise schmale C-Säule dürfte auch für Fondinsassen einen guten seitlichen Ausblick ermöglichen | Foto: Daimler AG

Was soll man nun von all dem halten?

Ich bin hin- und hergerissen. Die Binse vom “weniger wäre mehr gewesen” mag ich nur ungern auf ein S-Klasse-Coupé anwenden, aber was die schrillen Details wie die CLA-Powerdomes, die böse funkelnden Diamantaugen und die aufgerissenen Mundwinkel der Ansaugöffnungen anbelangt, kann ich nicht umhin als auf den ersten Realeindruck zu warten. Im Augenblick ist mir das “too much”, wie der Creative Director gerne sagt.

Das Flaggschiff von Mercedes soll und darf dominant und opulent sein, und es zieht seinen überlegenen Auftritt aus der Gewißheit, daß es das beste am Markt verfügbare Stück Automobiltechnik ist, gepaart mit maximalem Luxus und Komfort. Effekthascherei sollte es nicht nötig haben – auch wenn seine Vorfahren in dieser Hinsicht ebenfalls keine Kinder von Traurigkeit waren. Ich sag’s mal so: mehr Clint Eastwood als Hulk Hogan, bitte!

Seien wir gespannt auf den Bericht des Herrn Dreikommanull, der das neue S-Klasse-Coupé in drei Wochen zum ersten Mal persönlich treffen wird – auf dem Genfer Auto-Salon.

 

Original: 5komma6

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