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Fahrbericht Volvo 850 T-5R

Published in radical-mag.com

Merkurgelb

Die Farbe heisst übrigens Merkurgelb, Farb-Code 607. Und ja, es muss Merkurgelb sein für einen Fahrbericht Volvo 850 T-5R. Von den 5500 in den Jahren 1995/96 gebauten Exemplaren waren zwar nur 1975 so lackiert, der grössere Rest war schwarz; zum Schluss gab es noch eine Sonderserie von 500 Exemplaren in grün. Doch der erste T-5R, den ich Mitte der 90er Jahre fahren durfte, eine Limousine, war schon Merkurgelb; jetzt steht ein Kombi vor dem Hotel in Göteborg, selbstverständlich wieder mit dem Farbcode 607. Es ist schon erstaunlich, wie sehr man bei gewissen Fahrzeugen auf eine Farbe fixiert sein kann. Dieses blasse Gelb ist ja nun nicht wirklich das, was man sich an einem Automobil wünscht, doch zum 850er Volvo, der bei seiner Präsentation 1991 bereits etwas ältlich wirkte und dafür heute für sein zeitloses Design geliebt wird, passt es einfach. Jan Wilsgaard, Stil-Ikone und seit einer Ewigkeit Chefdesigner bei den Schweden, hatte Anfang der 90er Jahre wieder einmal der Kante den Vorzug gegeben gegenüber der Rundung, für ihn war das Ausdruck von Solidität, die Kunden sollten sofort Vertrauen verspüren.

Der 850er, auch wenn er uns heute so bekannt erscheint, war ein grosser Schritt für Volvo, die wohl grossartigste Neuerung der schwedischen Marke seit dem PV444. «auto, motor und sport» schrieb: «Ein neues Auto, jungfräulich von vorne bis hinten.» Und es war tatsächlich vieles anders, die ersten quer eingebaut Fünfzylinder-Motoren, der erste Seitenaufprallschutz (SIPS), viele weitere Sicherheitsmerkmale. Der Frontantrieb sei nicht vergessen, hinten gab es eine Verbundlenker-Achse; zuerst gab es nur die Limousine, aber 1993 dann auch den Kombi. Mit der Einführung des Kombi erhielt der Fünfzylinder ausserdem einen Turbo – und wurde mit seinen 226 PS aus 2,3 Liter Hubraum quasi über Nacht zum Kult. 2500 Stück, so dachte man in der Plüschetage von Volvo, könne man allenfalls verkaufen, es wurden dann mehr als doppelt so viele – und es hätten noch viel mehr sein können, doch Ende 1996 wurde der 850 in S70 (Limousine) und V70 (Kombi) umbenannt (viel mehr als ein Facelift war das allerdings nicht…).

Ferdinand Piëch – aber was hat denn nun «der Alte» in einer Volvo-Geschichte zu suchen? Piëch nun also hatte als freischaffender Konstrukteur Mitte der 70er Jahre für Mercedes einen Dieselmotor mit fünf Zylindern in Reihe entwickelt (OM617). Später, bei Audi, hatte Piëch weiterhin Freude an Motoren mit ungeraden Zahlen (Quattro!), und als Volvo merkte, dass die bisherigen 2-Liter-Vierzylinder und die bekannten Reihensechszylinder nicht unter die Haube des neuen Modells passen würden, wandten sich die Schweden an Porsche. In Zuffenhausen wurde kurzum ein Zylinder beim Reihensechser abgeschnitten, es gab die Maschine mit 2 Liter (126, 143, 211 PS) und 2,4 Liter Hubraum (140, 144, 170, 193 (AWD) PS); die Turbo hatten (meistens) 2,3 Liter Hubraum (226, 240, 250 PS). Die Selbstzünder wurden von VW zugekauft, hatten ebenfalls fünf Zylinder, 2,5 Liter Hubraum und schafften 140 PS – und gelten als unkaputtbar.

Die Erinnerung an die erste Ausfahrt mit dem Volvo ist noch sehr lebendig, weil ich laut schimpfend auf die Redaktion kam und das Fahrzeug als unfahrbar bezeichnete. Der Probleme waren männiglich: beim Schalten vom zweiten in den dritten Gang drehten die Vorderräder sinnfrei durch, auch im dritten Gang konnte man den Wagen kaum auf der Strasse halten, auch wenn man das Fahrpedal behandelte wie ein rohes Ei. Und dann schob er noch so etwas von gnadenlos über die Vorderachse. Gut, ich musste dann eingestehen, dass die Strassen nass gewesen waren. In der Folge wurde die Beziehung dann schnell besser, allein schon der Sound des Fünfzylinders (plus Wastegate…), das knochentrockene Getriebe, die ziemlich grobe Auslegung des Fahrwerks – grossartig. Auf trockener Gasse waren auch die Fahreigenschaften ganz anständig, obwohl der Kraftfluss in die vorderen Räder halt schon heftig war, die Einflüsse auf die Lenkung ziemlich brutal (noch bin ich am Suchen jenes Textes).

Auch wenn ich mir in den vergangenen Jahren immer wieder solche 850 T-5R (und auch R, jene mit dem grösseren T16-Garrett-Turbo) anschaute (und leider nie einen gekauft habe), so machte das Wiedersehen im Göteborg doch ganz besonders viel Freude, nicht nur, weil das Fahrzeug aus dem Volvo-Museum Merkurgelb war. Eine längere Ausfahrt der Küste entlang, das ist eine schöne Aussicht, friedlich, zu flott ist in Schweden ja nicht angesagt. Dann, kaum fuhr ich aus der Tiefgarage, begann es zu regnen; irgendwie scheine ich kein Wetterglück zu haben bei diesem Volvo. Aber das hat den Vorteil, dass man sich besser, konzentrierter mit den Feinheiten dieses Fahrzeugs auseinandersetzen kann. Etwa der Leistungssteigerung gegenüber den normalen T5, die eigentlich nur in einer über die Software gesteuerte Overboost-Funktion besteht, der Ladedruck wird während 30 Sekunden um 0,1 bar erhöht, was 15 PS mehr ergibt und immerhin 30 Nm zusätzliches Drehmoment (330 Nm bei 3000/min). Die offiziellen Fahrleistungen sind heute nicht mehr so sehr beeindruckend, 0 auf 100 in 6,9 Sekunden, Höchstgeschwindigkeit 245 km/h, doch vor 25 Jahren war das grosses Kino. Die Werksangabe von einem Durchschnittsverbrauch von 9,4 Litern war nur möglich, wenn man sie auf 50 Kilometer berechnete. Rennen fahren mussten sie auch noch.

Das gilt übrigens auch für Leichtmetallfelgen: 17 Zoll, das war damals eine grobe Fuhre. Und das sieht auch heute noch gut aus, vielleicht auch deshalb, weil der Volvo ein doch einigermassen schmächtiges Fahrzeug ist, 4,66 Meter lang, nur 1,76 Meter breit, 1,40 Meter hoch. Als Leergewicht wurden bei der Limousine 1399 Kilo angegeben – und wir sprechen da noch von klassischem Schwedenstahl. Gar nicht so klassisch war dafür das Innenleben, die Innenausstattung bestand aus einer Mischung von Leder und Amaretta, der schwedischen Schwester von Alcantara, die sich (aus guten Gründen) nie durchsetzen konnte. Ein Lenkrad ohne 76 Knöpfe. Dafür eine Mittelkonsole mit mindestens so vielen; das Radio übrigens noch mit Kassettengerät. Und prominent in der Mitte ein Zigarettenanzünder, auch so eine Gerätschaft, die mittlerweile quasi komplett aus dem Automobil verschwunden ist, obwohl es doch schon noch den einen und auch die andere Raucherr*in gibt. Die Sitze sind vielleicht etwas stark fragmentiert, das war damals so Mode, aber der Seitenhalt ist gut und ziemlich kommod sind sie auch noch. Hinten ist es eher eng, die Sitzenlehnen stehen sehr steil.

Und es muss selbstverständlich sein, obwohl es sich um ein Fahrzeug aus dem Museum handelt: die durchdrehenden Vorderräder auf dem nassen Asphalt. Man kennt das ja heute gar nicht mehr, all die elektronischen Helferlein verhindern solches, und irgendwie macht es doch Spass. Das heftige Untersteuern sind wir uns auch gar nicht mehr gewohnt, da lässt sich heute jeder Citroën Berlingo sportlicher in die Biegung hauen. Dafür ist das Knurren des Fünfzylinders immer noch grossartig – nicht nur in Schweden wurden diese Fünfzylinder-Turbo gerne auch gepimpt, 500 Pferdchen sind kein Problem, aber wichtig ist auch dann, dass es nur ein richtig fettes Auspuffrohr gibt, denn sonst geht das Sound-Erlebnis verloren. Überhaupt, diese Pimps: leider gibt es nur noch wenige unverbaute, gut erhaltene 850 T-5R. Noch sind sie im Preis teilweise ganz vernünftig, aber das wird sich noch ändern. Wer sich interessiert: unbedingt einen mit manuellem Getriebe, der Automat ist schnell einmal überfordert mit der schlagartig einsetzenden, brutalen Kraft.

Als ich dann nach einem halben Tag auf den Schneewittchen-Sarg wechselte, da brach dann gerade die Sonne durch. Mehr Volvo haben wir in unserem Archiv.

Der Beitrag Fahrbericht Volvo 850 T-5R erschien zuerst auf radicalmag.