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Fahrbericht Citroën Ami 6

Published in radical-mag.com

Verkehrsberuhigung

Es ist so: anders. Es ist so – friedlich? Zwar ist man auf der Strasse inmitten von anderen Automobilen – und doch in einer ganz anderen Welt. Einen Tacho würde man nicht brauchen, zu schnell ist man eh eigentlich nur in den 30er-Zonen, ansonsten rollt man in aller Ruhe einher und kümmert sich nur am Rande um das Verkehrsgeschehen, die Jungs mit ihren 400 Pferdchen und die nervösen Hausfrauen in ihren fetten SUV wirken wie von einem fremden Stern. Ja, der Citroën Ami 6 ist schon schneller als eine Kutsche, aber die Form des Reisens in diesem Wagen ist wohl ähnlich wie früher: man nimmt sich die Zeit. Und man erlebt sie. Indem man mehr schaut, Häuser, Menschen, Landschaften nicht vorbeihuschen sieht, sondern sie beobachten kann. Indem man auch etwas riecht, den Duft von nassem Asphalt oder frisch gemähtem Gras (ok, sofern der Citroën nicht zu stark diesen typischen Duft hat, Benzin-Öl-leichtmodrigeFeuchtigkeit, wie man ihn vor allem aus den nicht ganz dichten 2CV kennt). Man hört sogar das Zirpen der Grillen, wenn man im 4. Gang mit offenen Fenster übers Land rollt. Und nicht gestört wird vom Hupen seiner drängelnden Zeitgenossen.

Es ist noch so vieles so anders. Die Geräusche, die Wagen von sich gibt, manchmal knarzt er, einfach so. Das Röcheln der 2-Zylinder-Boxer ist ja sowieso Musik in den Ohren – wenn auch wohl nur für Citroën-Freunde. Die Revolverschaltung. Die Seitenneigung, wenn man nur schon ein Papier-Taschentuch von der rechten in die linke Hosentasche transferiert. Die nicht stattfindende Beschleunigung, wenn man auf das Fahrpedal tritt. Die Angst vor einem Purzelbaum, wenn man bremst. Wenn man diese in Frankreich so beliebten Verkehrsberuhigungsbodenwellen überfährt, dann ist das wie im Meer, sanft wird man emporgehoben, sanft geht es wieder hinunter, der Körper reagiert mit einiger Verzögerung. Es ist dies noch ein schönes Gefühl, wie schwimmen auf der Strasse. Dass man im Citroën dauernd lächelt, versteht sich von selbst. Auch das ist ein gutes Gefühl.

Er ist so anders. Eigentlich: Sie ist so anders, la Missis. Dieser Dachabschluss, dieses Z, es ist so sinnlos wie schön. Form, um der Form willen. Denn Raumgewinn bringt das nicht unbedingt, es liess sich so einzig die senkrecht gestellte Heckscheibe verstecken. Flaminio Bertoni, dieser Bildhauer, dieser König der fliessenden Formen, hielt sich so an das Lastenheft für ein Fahrzeug oberhalb des 2CV und unterhalb der DS mit Kofferraum und überhaupt Raum, aber er erfand auch die Formensprache neu, verband das Runde mit der Kante und dann auch noch den Ecken; es war wie in der modernen Küche das Spiel mit den unterschiedlichen Konsistenzen und Geschmacksnoten. Und am Schluss entsteht: Harmonie. Heute sind wir uns diese Verbindungen der Kontraste gewohnt, doch damals muss das Verständnis eher gering gewesen sein. Trotzdem wurden mehr als eine Million Ami 6 (und Derivate) verkauft; aber diese Geschichte wurde schon erzählt, hier.

Anders als etwa im 2CV herrscht auch fast so etwas wie Luxus im Innenraum. Alles ist relativ in diesem Leben, die Sitze sind Sofas, aber immer noch dünn und weich und schaukeln mit – das zentrale Bedienungselement, also dort, wo bei aktuellen Automobilen der Touchscreen sitzt, ist im Ami 6: der Aschenbecher. Einspeichen-Lenkrad von vollkommener Schönheit, optisch, haptisch. Ergonomie bedeutete damals, dass es nur wenige Schalter und Hebel brauchte, der Fahrer sich ganz auf das Fahren konzentrieren konnte. Was ist eigentlich in den vergangenen 50 Jahren mit den Autos passiert, wieso wurden sie nicht besser, sondern nur komplizierter? Wieso bieten all diese 2-Tonner weder mehr Platz noch mehr Kofferraum? Wer braucht denn Infotainment, wenn man sich auch mit der charmanten Beifahrerin unterhalten kann? Sicherheit? Es gilt für den Ami 6, was Robert Braunschweig einst zum 2CV geschrieben hatte: Wenn ein Unfall passiert, dann ist er noch gar nicht da. Vielleicht, wahrscheinlich ist Citroën aktuell auf dem richtigen Weg mit seiner Rückbesinnung auf den Komfort, den Automobilsten als entschleunigtes und soziales Wesen.

Anders als bei anderen Automobilen reichen im Ami 6 die 32 PS aus (in der stärksten Version, die ersten Fahrzeuge hatten 19), es reicht gut für 100 km/h. Die man vielleicht irgendwann auch erreicht. Oder dann halt nicht. Es wird anderes wichtig im Citroën als unsere dauernde Eile, die ewige Effizienz fällt weg. Kommt man halt etwas später an im Restaurant. Doch dafür ist, isst man entspannter. Bleibt länger sitzen, denn es lohnt sich ja sowieso nicht, sich zu beeilen. Das Licht, übrigens, ist erstaunlich gut für ein Fahrzeug aus den 60er Jahren, Cibie entwickelte damals Zusatzreflektoren für eine bessere Lichtausbeute. Und das funktioniert noch heute. Man muss ihn eh auch unbedingt von vorne anschauen, den Citroën, die schelmischen Augen, diese so wunderbar geschwungene Motorhaube – heute haben die Fahrzeuge einen Grill so massiv wie ein Tiefkühlschrank, «la Missis» hatte Charakter. Hat ihn immer noch. Wiegt nur knapp über 600 Kilo. Man baute übrigens eigens für den Ami 6 eine neue Fabrik. Der Kombi ist auch sehr, sehr cool.

Mehr Citroën haben wir in unserem Archiv. Eine schöne Sammlung gibt es auch unter: 100 Jahre Citroën.

Der Beitrag Fahrbericht Citroën Ami 6 erschien zuerst auf radicalmag.