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Fahrbericht Volvo PV444

Published in radical-mag.com

Zäher Bursche

Also die Geräuschentwicklung entspricht in etwa der Drehfreude des Vierzylinders. Das ist alles doch ziemlich zäh, deshalb ist es wohl auch besser, dass es keinen Drehzahlmesser gibt, denn der würde sich noch langsamer vorwärts bewegen als die Tacho-Nadel. Der Vierzylinder mit 1,4 Liter Hubraum leistet in diesem Exemplar aus dem Jahre 1955 immerhin 51 PS, die ersten Varianten von 1947 mussten noch mit 40 Pferdchen auskommen; geschaltet wird über drei Vorwärtsgänge. Die mehr so ein Rührwerk darstellen – die Wege sind lang, die Definition dieser Wege ist nicht ganz so klar (und der 1. Gang ist nicht synchronisiert). Doch man will ja gar nicht wild unterwegs sein, also: man kann gar nicht, da ist wirklich nicht viel los unter der Haube. Und das Fahrwerk entspricht ziemlich genau diesem Fahrstil, die Lenkung ist mehr so eine Richtungsangabe, die Seitenneigung schon bei friedlich umrundeten Kurven mehr so in Richtung besorgniserregend – und die hintere Starrachse mag Unebenheiten gar nicht erst verarbeiten. Wobei: In den 50er Jahren galten die etwa 25 Sekunden für den «Sprint» von 0 auf 100 km/h als sehr anständig – viele Konkurrenten wurden gar nie so schnell. Als Höchstgeschwindigkeit wurden etwa 130 km/h angegeben – was wir uns heute kaum mehr vorstellen können. Denn, eben, ein Leisetreter ist der Schwede nicht.

Das tönt jetzt nach nicht wirklich viel Fahrfreud’. Aber: unser PV444 ist unterdessen im Pensionsalter, also 65 Jahre alt. Als der Volvo 1944 vorgestellt und ab 1947 gebaut wurde, war er wohl das modernste Automobil auf dem Markt – 1955 war der Schwede immer noch ganz vorne, all die anderen «Volks-Wagen» jener Jahre, der Käfer, der 2CV, der 500er, waren noch schwächer, waren noch einfacher in ihrer Konstruktion. Wenn man sich heute vorstellt, wie die Schweden in den 50er Jahren so langsam mobil wurden, auch reisefreudig, in den Sommerferien nach Italien oder gar Spanien reisten, mit wohl maximal 100 km/h quer durch Deutschland und quer durch Frankreich bis an die Costa Brava – Familie und Pilot mussten leidensfähig sein. Tagelang war man unterwegs, der Motorenlärm trieb die Insassen nah an den Wahnsinn, aber es lockte die Sonne, Sand, Meer und billiger Alkohol. Das Leben konnte doch so schön sein, da durfte man schon ein paar Schmerzen auf sich nehmen. Denn die Sitze waren auch nicht wirklich bequem. Und obwohl der PV444 doch 4,37 Meter lang ist und der Radstand 2,6 Meter beträgt, gab es auch nicht wirklich viel Platz – vorne ist es für Menschen über 1,80 Meter eher knapp. Immerhin: mit wenigen Handgriffen lässt sich aus den hinteren Sitzen so etwas wie ein Doppelbett bauen – böse Zungen behaupten, dass ein nicht unwesentlicher Teil der schwedischen Kinder in den 50er Jahren in einem dieser «Buckel» gezeugt worden seien. Der Rest «entstand» dann wohl in den Ferien in Spanien.

Assar Gabrielsson, der legendäre Volvo-Chef der frühen Jahre, wusste schon Mitte der 30er Jahre, dass die Zukunft von Volvo nicht bei den luxuriösen Fahrzeugen liegen konnte, es musste etwas Kleineres, Volkstümlicheres her. Er betraute Helmer Petterson mit dem Projekt, verlangte eine selbsttragende Karosserie, kompaktere Abmessungen, eine einfache Konstruktion. Petterson schaute zuerst über den grossen Teich nach Amerika, verfolgte die dortigen Design-Entwicklungen ganz genau – und kaufte sich einen Hanomag, wohl Anfang 1940, begann ein bisschen zu rechnen und zu zeichnen. So richtig flott ging das Projekt nicht voran, Schweden war zwar nur am Rande am Krieg beteiligt, doch die Materialien waren knapp. Jeweils im September veranstaltete Volvo damals traditionell eine grosse Ausstellung, und im Jahr 1944 war dort das neue Modell zu bewundern: der PV444. Gemäss dem damaligen Kundenmagazin «Ratten» (übersetzt: das Lenkrad) stand diese Bezeichnung für: 4 Zylinder, 40 PS, 4 Sitze.

4800 schwedische Kronen verlangte Volvo für das neue Modell, das war ein Kampfpreis, es war absehbar, dass man den PV444 gar nicht für so wenig Geld produzieren konnte. Und wohl weil er ein Schnäppchen war, unterschrieben noch auf der Ausstellung 2300 Personen einen Kaufvertrag, die Produktion einer ersten Serie war gesichert. Doch der eigentliche Serienanlauf begann erst 1947, damals lagen schon über 10’000 Bestellungen vor (der Preis hatte sich unterdessen auf 6050 schwedische Kronen erhöht), doch die Schweden konnten nur gerade 1920 Stück ausliefern, 1948 dann auch nur 2176 Exemplare. Auch merkte man, dass Petterson wohl nicht ganz so sauber gearbeitet hatte, die selbsttragende Karosserie brauchte einen zusätzlichen Rahmen; böse Zungen behaupten, das stabilste Teil an der ersten Serie der PV444 sei die Verbundscheibe aus Glas gewesen, die Volvo als erster Hersteller in Serie verwendete.

Schweden erholte sich schneller als andere Länder von den Kriegswirren, in den 50er Jahren ging es steil bergauf, auch beim Volvo und dem PV444. 1953 war er das meistverkaufte Auto Schwedens, eine Kombi-Variante wurde eingeführt, der PV445, besser bekannt als «Duett», auch gab es eine andere Farbe als Schwarz, nämlich: grau. Schon 1951 war der Blinker in Form eines Mastes auf das Dach montiert worden, das sah nicht nur eigenartig aus, sondern gab auch Probleme bei der Herstellung, also wurde das Ding wieder auf der Seite angebracht. 1955 gab es dann ein umfangreiches «Facelift» die bisher geteilte Rückscheibe wurde aus einem Stück gefertigt, die Rücklichter verschwanden von den Kotflügeln, das Reserverad wurde nicht mehr einfach in den Kofferraum gelegt, sondern stehend aufbewahrt, was das Gepäckvolumen um satte 30 Prozent verbesserte. Und erstmals wurde in jenem Jahr ein Volvo nach Amerika exportiert. Ab 1956 gab es dann aber interne Konkurrenz, den P122, besser bekannt als «Amazon» – der «Buckel» sah dann ein bisschen alt aus. Wobei: 1958 kam ja dann noch der PV544, der direkte Nachfolger, mit der quasi gleichen Form, die bis 1965 bestehen bleiben durfte. Von den PV444 und PV544 wurden in all ihren Versionen genau 444’000 Stück gebaut.

Mehr Volvo finden sich in unserem Archiv.

Der Beitrag Fahrbericht Volvo PV444 erschien zuerst auf radicalmag.