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Der Wirtschaftswunder-Wagen: Wie der Urvater der E-Klasse zum Käfer der Besserverdiener wurde

Published in motosound.de

Ihren Namen trägt sie zwar erst seit 1993. Doch die Wurzeln der Mercedes E-Klasse reichen viel weiter zurück. Die Bücherwürmer im Museums-Archiv jedenfalls haben den Stammbaum bis 1926 ausgegraben und selbst die Pragmatiker beginnen ihre Chronik bereits im Jahr 1947. Doch egal, ob man jetzt tatsächlich den W02 „Typ Stuttgart“ als Urvater der mit Abstand wichtigsten Modellreihe von Mercedes wertet oder doch erst den 170er aus der Baureihe W 136 als ersten Mercedes aus der Nachkriegszeit – über eines sind sich alle einig: Die Geschichte der E-Klasse ist lang und sie ist voll von Autos, die es wie die „Heckflosse“, der „Strich-Achter“ oder der 124er mit Design und Technik zu Meilensteinen der Entwicklung und trotz ihrer hohen Stückzahlen zu beliebten Oldtimern gebracht haben. Aber eine Generation sticht in dieser ehrenvollen Galerie trotz allem heraus: Der Mercedes 180, der wegen seiner Form als „Ponton“-Benz in die Annalen eingegangen ist.

Diese Sonderstellung verdankt er zum einen seiner Technik. Denn als erster Mercedes mit selbsttragender Karosserie markiert er den endgültigen Abschied vom Kutschbau, den letzten Schritt zur Fertigung in massentauglichen Stückzahlen und den Beginn der Ära Béla Barényi, die den Schwaben den Ruf als Sicherheitsfanatiker eingetragen hat. Die Knautschzone kam zwar erst später, dann übrigens ebenfalls in einem Vorläufer der E-Klasse. Aber schon beim Ponton hatte Barényi die Bodenkonstruktion so berechnet, dass die beim Seitencrash als Schutzzone wirken sollten.

Was den 180er aber ebenfalls zu einem ganz besonderen Auto macht, das ist seine gesellschaftliche Bedeutung: Er steht nicht nur für technischen Fortschritt, sondern auch für die Innovationskraft im jungen Nachkriegsdeutschland, für den Wiederaufstieg und für das Wirtschaftswunder. Was dem kleinen Mann der VW Käfer, das ist dem Besserverdiener der Ponton-Benz, der zur Markteinführung 1953 immerhin stolze 9 950 Mark kostet und damit doppelt so teuer ist wie der Krabbler aus Wolfsburg – und sich trotzdem als erster Mercedes in der Firmengeschichte mehr als 20 000 Mal im Jahr verkauft.

All das schwingt mit, wenn man im Ponton zum Ahnenforscher der E-Klasse wird und zur Ausfahrt im Kreis der Generationen startet. Im Rückspiegel der wappengleiche  Kühler und die weit ausladenden Kotflügel des noch vor dem Krieg entwickelten aber erst 1947 eingeführten 170ers und vor den Augen die zierlichen Heckflossen des W 110 – so rollt man durch den Nordschwarzwald und denkt zurück an die Zeit, in der die Lufthansa gerade ihren Neustart wagte, Edmund Hillary auf den Mount Everest kletterte und die Augsburger Puppenkiste erstmals ihren Vorhang öffnete.

Mercedes Benz Classic Insight E-Klasse 2016Dabei wippt man lässig in den weichen Sitzen, kurbelt ganz vorsichtig am dünnen Lenkrad und wundert sich, mit wie wenigen Anzeigen man früher voll im Bilde war. Denn wo die E-Klasse heute ein Datenkino aufbietet, das jeden Flachbildfernseher blass werden lässt vor Neid, gibt es im 180er nur ein paar mickrige, natürlich analoge Anzeigen, die sich im Armaturenbrett förmlich verlieren. Und von Kontrollleuchten hat man vor mehr als 60 Jahren offenbar auch noch nichts gehört.

Aber was sollte man auch kontrollieren? Als Legende der Langlebigkeit gut für mindestens eine halbe Million Kilometer, läuft der Ponton auch im hohen Rentenalter noch so zuverlässig wie am ersten Tag. Die vier Gänge flutschen nur so durch die am Lenkrad angeschlagene H-Schaltung und der 1,9 Liter kleine Vierzylinder schnurrt klaglos über die kurvigen Strecken im Hinterland von Sindelfingen, auf denen die Entwickler noch heute mit ihren Prototypen unterwegs sind.

Mit den aktuellen Autos mitzuhalten, das fällt dem Ponton natürlich ein bisschen schwer. Denn auf Tempo 100 braucht er immerhin 21 Sekunden und bei 135 km/h ist schon wieder Schluss. Aber an der ersten ernsthaften Steigung ist man überrascht, wie stark sich 65 PS und 128 Nm anfühlen, wenn sie nur 1165 Kilo zu bewegen haben. Da kann sich Michael Kelz, der die Entwicklung der neuen E-Klasse verantwortet, noch so schöner Diäterfolge rühmen: Auch mit 70 Kilo weniger bleibt der aktuelle Baureihe W 213 gegenüber dem Ponton ein schwerer Brocken.

Während der bis 1962 immerhin gut eine halbe Million Mal gebaute Ponton zu seiner Zeit nur ein Auto für Besserverdiener war, zählt er heute zu den bodenständigen Klassikern aus Stuttgart. Er lässt sich nicht nur ungeheuer leicht und unkompliziert fahren, so dass man sich selbst heute noch damit in den automobilen Alltag stürzen kann. Sondern anders als die Stuttgarter Sportwagen er ist für einen Rentner mit Stern außerdem ein überraschend bezahlbarer Klassiker und steht bereits zu Preisen ab 10 000 bis 15 000 Euro auf den üblichen Gebrauchtwagen- und Oldtimer-Portalen – bis man für diesen Preis auch eine neue E-Klasse bekommt, wird man wohl noch ein paar Jahre warten müssen.