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Test Renault Alaskan

Published in radical-mag.com

Französischer Nissan mit Stern

Fahrzeuge mit offener Ladefläche sind nach wie vor die Ausnahme im Schweizer Strassenbild. Eine Handvoll US-Cars, ein paar Mitsubishis und seit einigen Jahren auch einigermassen viele VW Amarok sieht man dann und wann. In den seltensten Fällen die Basisversion, also mit Einzelkabine und offenem Laderaum. Wenn Pick-up, dann muss es die volle Dröhnung sein, also: Doppelkabine, wenn es geht Leder im Innenraum, möglichst fette Räder und allerlei Chromzierrat. Dem reinen Nutzwert fast komplett beraubt machen die Karren vor der Disco sicher etwas her, die Land-Jugend mag solche Gefährte. Nichts ist mehr geblieben vom Mazda BT-50 oder Ford Ranger, die vor allem eines konnten: arbeiten. Genau wie die Modelle von Toyota. Heute braucht es – zumindest bei uns – möglichst viel Bling-Bling.

Weil mittlerweile alle Autohersteller auch möglichst viele Nischen besetzen wollen, hat nun auch Renault einen solchen Eintonnen-Pickup. Und Mercedes hat sich ebenfalls dazu entschlossen, so ein Ding anzubieten und nennt das dann X-Klasse. Sie alle basieren auf dem Nissan Navarra und werden in Barcelona zusammengeschraubt. Natürlich kann der Benz trotzdem alles viel, viel besser, sonst hätte er ja keinen Stern… Zur Erklärung: Die Gewichtsangabe wäre eigentlich die mögliche Nutzlast, nicht das Fahrzeuggewicht. Beim Navarra/Renault/Mercedes ist das etwas anders. Unser Fahrzeug mit Doppelkabine wiegt «bescheidene» 2139 Kilogramm und verfügt theoretisch noch über eine Zuladung von nicht einmal 900 kg. Wer dann das Hardtop für den Laderaum bestellt (kostet ja keine 3600 Franken und verfügt über so hakelige Schlösser wie ein Koffer vom Discounter), dann sinkt die maximale Zuladung auf lächerliche 780 Kilogramm.

Ein mächtiger Brocken also, nicht nur vom Gewicht her. Satt über fünf Meter lang (5399 mm) ist der Franzose aus Katalonien – und mit einer Breite von 185 cm (205 cm mit den Aussenspiegeln) macht er in der Stadt alles andere als einen schlanken Fuss. Optional gibts dafür eine ganze Reihe von Kameras, die beim Rangieren helfen. Und das tun sie tatsächlich. Also, wer den Alaskan bestellt, sollte unbedingt das Kamerasystem mitordern – es erleichtert das Leben sehr. Serienmässig mit dabei ist selbstverständlich viel Platz, nicht bloss auf der Pritsche, sondern auch für die hinteren Passagiere in der Doppelkabine. Man kann also gut auch zu Fünft auf die Fahrrad-Tour.

Zum Glück hat das hohe Fahrzeuggewicht auch Vorteile. So ist ein ganz einfacher Eintonnen-Pickup mit Einzelkabine ohne Beladung eine Zumutung in Sachen Komfort. Die nicht belastete Hinterachse macht so ziemlich, was sie will mit den Bandscheiben der beiden «Büezer», die vorne drin sitzen. Je höher die Zuladung, desto angenehmer wird die Fahrt. Hier kann der Alaskan punkten. Zwar verfügt er nicht über extrem gute Sitze (Renault könnte das besser, Mercedes vielleicht auch …) und das Wort Seitenhalt kommt im katalanischen Sprachgebrauch anscheinend gar nicht vor. Aber das Auto fährt trotzdem sehr angenehm. Also, wenn es mal fährt. Aus dem Stand ist der schwere Wagen eigentlich ein Beispiel für Mechanikerlehrlinge, wie so ein Antrieb funktioniert. Also, vorne wird’s laut, also kommt der Motor auf Drehzahl und schickt die Kraft ans Wandlergetriebe. Ein leichtes Verwinden verrät dem «Stift», aha, die Kraft wird vom Automatikbetriebe über die lange Kardanwelle an die Hinterräder übertragen. Und siehe da, nach einer Gedenksekunde setzt sich der Renault in Bewegung. Nicht wieselflink, aber mit Nachdruck. Dafür sorgt der 2,3-Liter grosse Vierzylinder-Diesel im Bug. In unserem Fall mit 190 PS und maximal 450 Nm. Sehr fein dafür die Schaltvorgänge des Siebengang-Automatikgetriebes. Und ja, auch das Spiel im Antriebsstrang passt, bei vielen älteren Pick-ups, die auch noch geländegängig sein sollen, ein grosses Problem: Hier haben Renault-Nissan die Hausaufgaben definitiv gemacht.

Wenn man an keinem der Knöpfe im Innenraum dreht oder drückt, verfügt der Alaskan über Hinterradantrieb; die Vorderachse lässt sich zuschalten und auch eine Untersetzung ist mit an Bord. Dafür wäre der Katalane für den Offroadeinsatz geeignet, zumal man für 750 Franken zusätzlich auch noch eine Sperre an der Hinterachse bekommt. Den Gelände-Wagemut des Fahrers wird wohl nur das Gripniveau der Strassenreifen entgegenstehen. Doch zurück zum Alltag – und der findet – bei fast allen zumindest – auf Asphalt statt. Wir nutzten den Alaskan auch für einen Autobahntrip ins ferne Leipzig. Klar, sicher nicht die Königsdisziplin für einen Pick-up, solch stundenlange Autobahnfahrten. Doch weit gefehlt, uns hat der Renault gerade dort überzeugt. Einmal auf Tempo, verblüfft der Alaskan durch eine ausserordentliche Laufruhe, ein kleines, aber gut funktionierendes Navi, eine gute Übersicht und vor allem durch sehr zahme Trinksitten. Wir hätten mit deutlich mehr als den 8,8 Liter pro 100 Kilometer gerechnet, die sich das Trumm auf den Autobahnen Germaniens genehmigt hat. Im Alltag von Dorf zu Dorf waren es dann rund 7,8 Liter, was einen Durchschnittsverbrauch über die Testdauer von 8,2 L/100 km ergibt. Angesichts der Fahrzeugmasse und -Masse ein sehr guter Wert.

Wer mindestens 46’700 Franken (Basispreis Version Intens) übrig hat, bekommt mit dem Alaskan ein Auto für – ja, für was? Zum Ziehen zum Beispiel, denn die Anhängelast ist mit 3,5 Tonnen nicht bescheiden. Damit kann man sein Boot oder seine beiden Sportpferde mit Style transportieren. Und sonst ist es einfach ein Auto für alle jene, denen es nie gross genug sein kann.

Wir bedanken uns bei Markus Chalilow für diesen Text. Mehr Renault haben wir in unserem Archiv.

Der Beitrag Test Renault Alaskan erschien zuerst auf radicalmag.