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Rem D Koolhaas

Published in radical-mag.com

«Die Automobilindustrie macht alles falsch»

Irgendwie logisch, dass Rem D Koolhaas Architektur studierte, schliesslich trägt sein Onkel den gleichen Namen, einfach ohne den Mittelinitial D. Doch dann verliebte sich Rem D, schmiss sein Studium – und zeichnete für den Fuss seiner Angebeteten einen Schuh. Der so sehr anders war als alle anderen Schuhe, wie Koolhaas erklärt: «Es ist nicht so, dass ich die Regeln der Schuh-Welt durchbrechen wollte – ich kannte sie schlicht und einfach nicht». Die Designer-Welt wurde sofort auf den jungen Niederländer aufmerksam, er erhielt Lob von Miuccia Prada und Sergio Rossi – und einen Geschäftspartner, Galahad Clark. Der wiederum stammte in siebter Generation aus dem Schuh-Imperium Clarks, hatte das nötige Kleingeld und die richtigen Beziehungen – und gleich das erste Produkt der gemeinsam gegründeten Marke «United Nude», ein Schuh namens Möbius, brachte den beiden 2003 den Durchbruch. Der Erfolg hält weiterhin an, Lady Gaga trägt alleweil UN, die leider verstorbene Architektin Zaha Hadid wollte unbedingt mit ihm zusammenarbeiten; ganz besonders in Asien ist Koolhaas ein Held, jede neue Kreation wird ihm aus den Händen gerissen.

Unterdessen ist Koolhaas verheiratet, hat drei Kinder, lebt nicht mehr in Hongkong, sondern in Los Angeles. Er hat ein Stück Land gekauft, die Architektur für sein Haus zeichnet er selbstverständlich selber: «Das wird keine Millionen-Villa, sondern ein ganz zweckmässiges Gebäude». Er zückt sein iPhone, zeigt Instagram-Bilder, und tatsächlich: sehr schlicht, mehr so eine Lagerhalle mit Fenstern. Einen Stuhl hat er auch schon entworfen, auch Uhren designt – und 2016 gewann er die «Wallpaper Design Trophy» für seinen «Lo Res Car». Der auch gleich für viel Geld von einer privaten Sammlung erworben wurde.

Die Entwicklung des Designs darf man sich so vorstellen: Koolhaas nimmt eine Darstellung eines Lamborghini Countach, legt diese auf einen 3-D-Drucker – und arbeitet dann wiederholt mit der geringst möglichen Auflösung, bis nur noch ganz simple Linien zu erkennen sind. Diese werden dann dreidimesional umgesetzt, das Teil sieht aus wie ein dunkler Keil auf Rädern, und die alte Designer-Weisheit «form follows function» wird vom Feinsten ad absurdum geführt. Unterdessen gibt es eine limitierte Serie dieser «Lo Res Car», die tatsächlich fahren würden, wären sie nicht absolut alltagsuntauglich. Doch wieder erregt Koolhaas Aufsehen, die Auto-Industrie wurde auf ihn aufmerksam – er durfte sein Werk als Kunst-Objekt im Beisein von Giorgetto Giugiaro und Andrea Zagato auf der Präsentation der «Grand Basel» zeigen, die zu wichtigsten Auto- und Oldtimer-Messe der Welt werden will, mindestens.

Doch Koolhaas will mehr – und er will etwas ganz anderes. Die «Lo Res Car» sind auch für den Niederländer nur eine Spielerei, denn er macht sich Gedanken in ganz andere Richtungen. So hat er in Los Angeles eine Organisation gegründet, die Obdachlose von der Strasse bringen soll – mit Hilfe jener Menschen, die sich über die Obachlosen aufregen. Koolhaas: «Natürlich brauchen wir auch Geld, doch dieses zu bekommen ist kein Problem. Aber vor allem brauchen wir Land, auf dem diese Menschen arbeiten und wohnen können. Wir geben diesen Personen wieder eine sinnvolle Aufgabe, meist in der Landwirtschaft, viele sorgen unterdessen für sich selber – und alle sind zufrieden».

Aber da ist noch: mehr. Es dauert ein bisschen, bis Koolhaas auch noch darüber spricht, eigentlich will er ja zeigen, dass sein «Lo Res Car» gar nicht so unbequem ist, wie er von aussen ausschaut. Doch dann geht die Fernbedienung nicht, mit der sich die ganze Kunststoff-Karosse hätte hochklappen lassen sollen. Und vielleicht auch deshalb sprudelt es plötzlich aus ihm heraus: «Die Automobilindustrie macht alles falsch. Moderne Automobile sind viel zu teuer – und qualitativ miserabel. Eigentlich müsste ein so teures Produkt ein ganzes Menschenleben lang halten, doch dem ist beim besten Willen nicht so. Wir werden das alles ganz anders machen…». Aha, denkt man sich, was genau will er denn nun wieder tun, der Holländer – Autos bauen? «Ja, wir haben einen Start-up gegründet, wir haben ganz klare Vorstellungen, ein ausgezeichnetes Konzept – und es sieht gut aus, dass wir das Geld zusammenkriegen». Wer ist «wir»? Darüber will Koolhaas dann nicht reden, auch über Geld nicht. Es ist ihm sichtlich ein wenig peinlich, dass er sich überhaupt hat dazu hinreissen lassen

Aber er spricht dann ausführlich über John DeLorean, einst so etwas wie Erfinder der amerikanischen «Muscle Car» (er verantwortete den legendären Pontiac GTO, der 1964 auf den Markt kam), später auf dem besten Weg zum CEO von General Motors (damals noch das grösste Unternehmen der Welt), bis er – unterdessen mit einem Kiefer aus Stahl – Detroit den Rücken kehrte und seine eigene Marke gründete. Trotz bester Publicity als Film-Auto in «Zurück in die Zukunft» wurde der DeLorean aber zu einem absoluten Desaster, es gab wilde Geschichten von ertrogenen Regierungsgeldern, Kokain-Schmuggel und anderen Katastrophen (unter anderem ist Lotus-Gründer Colin Chapman seither spurlos verschwunden). Aber: das Konzept eines Fahrzeugs, das etwa mit einer vollverzinkten Karrosserie und einfacher Technik deutlich haltbarer sein sollte als alle anderen Automobile, das fasziniert noch heute. Unter anderem auch Rem D Koolhaas, der Geschichte von DeLorean auswendig erzählen kann.

«Unser Ansatz liegt nicht in der Gewinnmaximierung», sagt er, «wir wollen Mobilität, die für alle erschwinglich ist». Selbstverständlich wird das Koolhaas-Projekt rein elektrisch angetrieben, «da können wir eine vernünftige Lösung bieten, genügend Reichweite, aber auch kostengünstig». Drei Karosserieformen schweben ihm vor, sicher ein SUV, «das muss man heute haben, das wollen alle», aber es soll auch der Fahrspass nicht zu kurz kommen: «Der Mensch liebt die individuelle Mobilität, gerade in den Vereinigten Staaten definiert er sich oft darüber. Das wollen wir den Leuten geben, zu einem geringen Preis, mit hervorragender Qualität, die Kunden sollen nur noch ein einziges Auto kaufen müssen für das ganze Leben». Und dies dann selbstverständlich auch für Car-Sharing-Modelle einsetzen können, das ist alles schon bedacht, ausgerechnet, soll von Anfang an im Angebot stehen. Autonomes Fahren? «Wir verfolgen die Entwicklungen, aber wir glauben noch nicht daran». Und wann darf man mit dem Koolhaas-Auto rechnen? Koolhaas sagt: «Bald». Wie bald? «Bald». Aber solchen ungefähren Zeitangaben kennt man ja auch von durchaus seriösen deutschen Premium-Herstellern.

Ist das alles nur warme Luft eines Phantasten, dessen einzige automobile Erfahrung bisher darin bestand, ein unfahrbares Objekt auf vier Räder zu stellen? Das ist schwierig zu beurteilen. Koolhaas hat mit «United Nude» eine der angesagtesten Design-Brands aus dem Boden gestampft – und schon bald 15 Jahre Erfolg damit. Er spricht klug, überlegt, sein soziales Engagement hat Hand und Fuss – und diverse amerikanische Medien mutmassen über ein grosses Auto-Projekt in Kalifornien, das massiv derzeit Start-up-Gelder einsammeln soll. Ob da wirklich Koolhaas dahinter steckt, das weiss aber niemand. Dass er aber aufgerechnet auf der «Grand Basel», die in Zukunft alle Reichen und Mächtigen der Automobilindustrie unter einem Dach versammeln will, zum ersten Mal über sein jüngstes, sicher grösstes Projekt spricht, nimmt gewissen Vermutungen den Wind nicht wirklich aus den Segeln.

Und das Design, wird es den «Lo Res Car» folgen? Koolhaas lacht wie ein kleiner Bub: «Nein, sicher nicht. Sehen Sie, unsere Schuhe sehen auf den ersten Blick auch sehr unbequem aus. Doch eigentlich sind sie eine Liebeserklärung an die weiblichen Füsse und Beine – und deshalb werden sie von den Frauen geliebt».

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Der Beitrag Rem D Koolhaas erschien zuerst auf radicalmag.