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Ruhe bitte!

Published in radical-mag.com

Eine Lektion mit Walter Röhrl

Der Lancia 037 ist ein Auto, das ich nie wieder vergessen werde. Jede Fahrt mit ihm, sei sie auch noch so kurz, prägt für immer. So ging es auch Walter Röhrl 1983 und ich musste ihn anlässlich seines 70. Geburtstages einfach noch einmal danach fragen. Natürlich auch nach seinem Rezept für schnelles Autofahren. Danach habe ich meinen Führerschein durch den Reißwolf gejagt. Vielen Dank Walter – und herzlichen Glückwunsch.

Kurz unter 7.000 Umdrehungen, unter dem Gekreische des Roots-Kompressors von hinten, zwischen den Vibrationen am spindeldürren Zweispeichen-Lenkrad, kurz bevor die Rechte den Vierer einwirft, wenn das alles also gar nimmer auszuhalten ist vor so viel Geilheit und du in dich reinbrüllen willst, drückt eine zweite Art von Gänsehaut unter der normalen, die du aufgezogen hast, als du dieses Auto vom Hänger abgeladen hast und das du eigentlich nur fürs Foto ein bisschen warmfahren solltest, kommt es dir: Was, wenn das, was hier am Flugplatz links und rechts von dir vorbeifliegt, keine Leitplanken oder Markierungsstipfel wären, sondern Menschen? Hunderte, tausende, kilometerlang, und alles, was sie wollen, ist, dich während der Fahrt zu berühren oder wenigstens deinen Luftzug zu spüren? Das Abgas riechen, das der Lampredi-DOHC aus dem irren Auspuffgewürm bläst, 70 Liter Super durchziehend alle 100 Kilometer, weil er so viel arbeiten muss? Wenn sie vom Schotterhagel deiner Hinterräder gesegnet werden wollen? Was, wenn das hier kein griffiger, trockener Asphalt wäre an einem schönen Tag und du nicht zum Vergnügen hier wärst, sondern zum Geldverdienen? Wenn das hier Portugal wäre, Griechenland oder Finnland? Wenn du die 960 Kilo dieses GFK-Kunstwerks über Schotterkuppen fliegen lassen müsstest – blind – und noch in der Luft den nächsten Kurvenschwung ansetzen, ganz klassisch mit Anpendeln, das halbe Heck im Straßengraben, und keine Gnade? Was, wenn dein Name Walter Röhrl wäre?

Es war das Beste aus den Köpfen ausgesuchter italienischer Manufakturen, damals, als die Welt der stolzen Firma Lancia noch intakt war. Sie wollten es der Welt noch einmal zeigen, entwarfen aus den Erfahrungen des Stratos und den Lehren der Formel 1-Ferrari einen Stahlrohrrahmen, rückten den Motor eng hinter den Fahrer, links und rechts davon die Tanks, dahinter das Getriebe. An jedem Eck des Rahmens Fixpunkte für das Fahrwerk. Dopperlquerlenker, feinste Feder- und Dämpfertechnik. Dazu der alte Lampredi-DOHC, in der Abarth-Kraftkammer auf über 335PS gekitzelt und mit Druck in allen Lebenslagen.

Leider passte er nicht rein: Pininfarina zeichnete eine Außenhaut, die im Ergebnis in ihrer Schönheit, aber auch in ihrer Brutalität und Unfertigkeit berückend war, ganz besonders verstärkt vom Schwung der Martini-Streifen. Also mussten sie das Dach aufschneiden und zwei GFK-Wuchteln einlaminieren, damit il tedesco, dieser Röhrl, mit seiner langen Rübe irgendwie auch den Helm ins Auto brachte. Am Ende war der 037 dann wie ein Traum, vielleicht das beste Gerät, das er je fahren konnte. „So ein präzises, radikales Rennauto, eines, das so am Punkt war, das kam meinem exakten Strich entgegen. Er war Teil meines Körpers. Die Saison war ein einziger Genuss.“

„Mit den kleinsten Bewegungen hast du ihn im Drift gehalten, es ging wunderbar über den rechten Fuß. Der Motor hatte eine tolle Kraft, bei jeder Drehzahl, gleichmäßig und unmittelbar. Wenn du dich konzentriert hast, war das Lenkrad praktisch überflüssig.“

Überhaupt ist die Konzentration der Schlüssel zu allem: „Wenn du abgelenkt bist, dann geht nix.“ Und so zieht sich eine unglaubliche Disziplin durch sein Leben. Ob das die ausgefallenen Diskobesuche am Wochenende waren, weil er entweder früh aufs Rad oder ins Ruderboot wollte, das zeitige ins-Bett-gehen an den Vorabenden der Rallies, an denen er das Gebetbuch akribisch durchging und danach mit geschlossenen Augen die Wertungsprüfungen in Gedanken abfuhr oder die Heimfahrt von der Skipiste. „Ich muss den Schnee unter der Reifen hören, wie er sich von griffig, pulvrig, über eisig, körnig hin zu matschig, sulzig im Tal wandelt. Wer mit seinem Beifahrer plaudert, Lieder im Radio mitsingt oder gar am Handy tippt, der kriegt nichts mit. Der muss sich auf ABS und ESP verlassen und versteht dann überhaupt nicht, warum er plötzlich im Graben steht.“

Vorausschauen, wach sein, kleinste Details wahrnehmen und das Ganze bis zur Perfektion treiben, das sei immer sein Schlüssel zum Erfolg gewesen. Denn natürlich sei er nicht der liebe Gott, streng katholisch erzogen weiß er das sehr sicher, und dementsprechend wollte er sich nie auf das Glück verlassen. So ging er dann auch immer wieder hart mit sich selbst ins Gericht. Etwa damals 1979, als er in seinem 131er Fiat – weit in Führung liegend – das Getriebe kratzen hörte. „Ich muss den Jungs sagen, dass sie es wechseln müssen“, dachte er sich, verpasste die Kehre und krachte rückwärts in den Giebel eines gut vierzig Meter unter der Kurve stehenden Bauernhauses. Weil er die Schmach nicht ertragen konnte, ist er die fünf Kilometer zu Fuß ins Ziel gelaufen und erklärte sich seinem Chef. Dieser wollte der Presse dann in der herrlichsten aller italienischen Manieren von einem Ölfleck berichten, auf dem Röhrl ausgerutscht sei. „Nix da, du sagst ihnen, ich bin ein Riesenarschloch, weil ich gepennt habe!“

Und so ist er dann auch ein bisschen einsilbig, wenn er die Leute reden hört, wie sie es im Hintern spüren, was der Wagen gerade macht. „Wenn du es im Hintern spürst, ist es doch schon viel zu spät! Du musst wissen, was passiert, bevor es passiert, nur so bist du schnell“. Er spricht dann gerne von der Leistungseskalation der späten Audi quattros und, dass diese Biester eigentlich ungeheuer furchtbar zu fahren waren. „Mit dem Denken warst du hier zu langsam. Das ging von der Linie weg, als ob dir jemand mit dreißig Sachen ins Heck gekracht ist. Aber in den Kurven, da musstest du sie würgen und konntest nur hoffen.“

Er demonstriert das Ganze dann in einem neuen Porsche 911 turbo, mit dem wir gerade gemeinsam in Levi auf einem See unterwegs sind. Nimmt auf der Geraden Tempo auf, schwingt den Elfer ein, justiert ihn nur mit dem Gas in Haaresbreite an der Schneemauer entlang und bleibt dabei so gnadenlos drauf, dass du aus der Seitenscheibe nach vorne schaust und staunst, wie hoch die 540PS den Schnee in die finnische Weite schaufeln können. „Mit dem Audi hätten wir jetzt ein Riesenproblem“, sagt er und setzt den Gegenpendler perfekt, während er noch kurz am Funk den Kanal wechselt, weil der Chefinstrukteur plötzlich krächzend aus dem Gerät plärrt, dass für heute Schluss sei und alle zum Treffpunkt zurückkehren sollen.

„Mensch, wir sind wirklich ein bisschen spät dran, alle sind schon weg!“ Er orientiert sich kurz, klickt den Sport Plus-Modus rein und wechselt in die manuelle Getriebegasse. Was dann folgt, ist eine Lektion in Demut. Niemals zuvor habe ich Derartiges erlebt. Vollgas auf blankem Eis, ächzendes Grollen der Spikes, stoßartig aufheulende Drehzahl-Eruptionen und dazu ein Röhrl, der mit sparsamen Bewegungen den turbo bis an den absoluten Anschlag treibt. Der Tacho zeigt Zahlen, die dich selbst auf einer kerzengeraden Autobahn leicht beunruhigen würden, doch er wirkt: entspannt.

Aber er redet nichts. Weil er sich konzentriert.

Dann fährt es dir rein: die ganzen Demonstrationsrunden, die endlos-geduldigen während-der-heißen-Runde-Interviews, die Drifterei für die Fotografen – es war alles nur Schau, obwohl es für uns schon so wirkte als ob er die Physik neu sortiere. Es war nicht mal ansatzweise das, was er wirklich kann.

In diesem kurzen Augenblick, in dem er den turbo zu Bewegungen verführte, die mit einem Auto nicht möglich sind, in dem es der Panikschaltung deines Gehirns ganz normal die Sicherung riss, sitzt er mit festem Blick und lockerer Hand am Lenkrad. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Plötzlich weißt du: so fährst du, wenn dein Name Walter Röhrl ist.

Es war einfach wunderbar, doch wir hatten auf dem Eis noch nicht alles besprochen, also saßen wir nach dem Essen, bei einer Tasse Tee noch einmal zusammen und haben ausführlich gesprochen. Zum Beispiel: „Was tun, wenn wirklich Feuer am Dach ist!“ Unser Kamingespräch finden sie HIER.

 

 

 

Der Beitrag Ruhe bitte! erschien zuerst auf radicalmag.