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Fährst Du noch oder wohnst Du schon? Mit dieser Lounge auf Rädern will Nio die Oberklasse elektrifizieren

Published in motosound.de

Der nächste, bitte: Die Zahl der selbsternannten Tesla-Jäger wächst weiter. Denn in Shanghai, München, London und Palo Alto bereitet sich gerade das von chinesischem Geld finanzierte Start-Up Nio darauf vor, Elon Musk vom Thron der Akku-Jünger zu stürzen und die elektrische Revolution wieder eine Runde weiter zu treiben. „Mit uns beginnt das Autozeitalter 3.0“, sagt Managing Direktor Hui Zhang, der Firmen wie Daimler oder VW in die Kategorie 1.0 sortiert und Tesla allenfalls eine 2.0 zusteht. „Denn wir wollen nicht nur das Auto besser machen, sondern den Menschen ein rundherum besseres Leben bieten“, ergänzt Chefdesigner und Markenentwickler Kris Tomasson.

Nachdem Nio im letzten Winter mit dem 1360 PS starken, über 300 km/h schnellen und natürlich voll elektrischen Supersportwagen EP9 von sich Reden und gleich zur Premiere mit 7:05.120 Minuten den Rundenrekord für Elektrofahrzeuge auf der Nordschleife geknackt hat, zeigen die Chinesen jetzt beim Innovationsfestival South by Southwest in Austin deshalb ihr wahres Gesicht und rollen als designierten Weltverbesserer ein Wohnzimmer auf 26-Zoll-Rädern ins Rampenlicht: „Eve“ heißt der elektrische Luxusliner, der hinter seinen riesigen Schiebetüren mehr Lounge ist als Limousine und den Weg ins Büro oder zum Einkaufen so entspannt gestalten will wie einen Chillout auf dem Kanapee. Denn statt sich mit der Mühsal der Fahrzeugführung zu beschäftigen, überlässt man die Arbeit dem Autopiloten. Lenkrad und Pedale ziehen sich in die Konsolen zurück, die virtuellen Instrumente auf der digitalen, bis in den Fußraum verlängerten Frontscheibe verschwinden und geben den Blick frei auf ein Panorama, wie es sonst nur Helikopterpiloten kennen. Und wer seine Beine ausstrecken will, der klettert nach hinten, und lümmelt sich auf einer halbrunden Sitzgruppe, die einladender ist als das Sofa daheim im Wohnzimmer – der unvermeidliche Liegesessel inklusive. Platz ist dafür bei 5,20 Metern Länge und 3,52 Metern Radstand reichlich, erst recht wenn die kompakten Motoren an den Achsen montiert werden und der Lithium-Ionen-Akku im topfebenen Wagenboden verschwindet. So bekommt man auf der Fläche einer S-Klasse spielend sechs Passagiere unter, die besser sitzen und mehr sehen als in jedem Auto der Generationen 1.0 und 2.0. Selbst das Tesla Model X wird da zur Sardinenbüchse unter Strom.

Die Bedienung übernimmt dabei Nomi, die Schalt- und Steuerzentrale, die sich hinter dem pulsierenden Licht eine smagischen Würfels auf dem völlig leeren Armaturenbrett verbirgt. „Das ist das Herz von Eve“, sagt Designer Tomasson über den digitalen Assistenten, der die Insassen so gut kennt, dass er die meisten ihrer Wünsche schon erfüllt, bevor sie überhaupt ausgesprochen sind. Und falls das mal nicht klappt, ist die Sprachsteuerung mittlerweile so ausgreift, dass Tomasson auf alle Knöpfe verzichtet hat.

Das Fahren selbst wird dabei so nebensächlich, dass Nio über Banalitäten wie die Motorleistung oder die Spitzengeschwindigkeit kein Wort verliert. Und ob es bis zum avisierten Marktstart von Eve im Jahr 2020 tatsächlich halbwegs bezahlbare Akkus für mehr als 1000 Kilometer Reichweite oder eine Ladetechnik gibt, mit der man in zehn Minuten den Strom für 300 Kilometer zapft, muss die Zukunft erst noch zeigen. Erst recht, wenn das Serienauto nicht viel mehr kosten soll als eine aktuelle Luxuslimousine und deshalb die etwa 150 000 Euro für einen gut ausgestatteten Tesla mal als Referenz dienen können. Auch was Designer Tomasson aus diesem „Vision Car“ tatsächlich in die Serie retten kann, mag er auch noch nicht verraten. Die elektrischen Schiebetüren zum Beispiel stehen auf der Kippe und digitales Glas, das mit OLED-Technik zum vollflächigen Head-Up-Display wird, dürfte auch in drei Jahren noch unbezahlbar sein. Aber für den Helikopterblick aus dem Cockpit zum Beispiel, die Anordnung der Sitze und das radikal reduzierte Bedienkonzept will er durchaus kämpfen.

Natürlich wissen auch die Macher von Nio um die Skepsis, die ihnen entgegenschlägt. Schließlich sind sie nicht die ersten, die eine elektrische Weltrevolution predigen und dabei die Mobilität neu erfinden wollen. Aber nachdem Tesla-Chef Elon Musk bei jedem Auto noch immer draufzahlt und zum Beispiel Faraday Future auf so wackligen Beinen steht, dass kaum jemand an den Beginn der Serienfertigung im Lauf des Jahres glauben mag, wären sie, die ersten, die tatsächlich Geld verdienen – wenn ihr Plan aufgeht. „Wir haben aus den Fehlern der anderen gelernt“, sagt Managing Direktor Zhang und hat daraus gleich drei Konsequenzen gezogen: Sie nehmen den Mund nicht ganz so voll wie Tesla oder Farday, sie überlassen die Produktion einem erfahrenen Partner mit viel Know-how und ausreichend Kapazitäten, und sie wollen die Welt nicht in einem Rutsch erobern. Sondern 2018 fangen sie damit mit einem deutlich simpleren und deshalb auch günstigeren Auto als Nio erst einmal in China an, 2020 stehen die USA auf dem Plan und vor 2025 ist von Europa keine Rede.