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Rolls-Royce Wraith: Hier wird Emily zur Überfliegerin

Published in motosound.de

Ach du dickes Ding: Auch der sportlichste Rolls-Royce aller Zeiten ist eine echte Wuchtbrumme.

Vorne links oder hinten rechts – bis jetzt war das in ein einem Rolls-Royce nie eine Frage. Selbst wenn sich auch in der Luxuslimousine Phantom schonmal ein Eigner hinters Lenkrad verirrt haben soll, sitzt die Herrschaft in einem Rolls-Royce seit mehr als hundert Jahren üblicherweise hinten. Doch nur, weil das schon immer so war, muss das nicht für immer so sein – das zumindest ist die Botschaft des neuen Wraith, der als Coupé-Variante des Modells Ghost völlig unzureichend beschrieben wäre. Zwar baut der Zweitürer mit dem eigenwillig fließenden Heck eines Fastbacks natürlich auf der kleinen Baureihe der britischen Marke auf, nutzt die gleiche Plattform und weitgehend die gleiche Technik. Doch haben die geistigen Erben von Charles Rolls und Henry Royce nicht nur Form und Format des Autos grundlegend geändert, sondern vor allem dessen Charakter. Bissig und bestimmt, ja manchmal fast sogar böse, gibt der Wraith den ultimativen Gran Turismo für den Herrenfahrer.  Während das Modell Ghost der gute Geist aus Goodwood ist, wird der Wraith auf der Überholspur geradezu zum Schreckgespenst im Smoking.

Dass hier etwas anders ist als sonst in einem Rolls-Royce, merkt man schon beim Einsteigen: Der Schritt nach oben ist nicht ganz so hoch, der Fahrerthron nicht ganz so weich und die Sitzposition nicht ganz so entspannt wie man es von Phantom & Co. kennt. Hier dirigiert man nicht, man steuert und spürt dabei auch etwas. Der Lenkradkranz wurde so dick, dass man auch einmal mit fester Hand zupacken statt nur mit abgespreiztem kleinen Finger daran drehen möchte. Und der Zeiger für die Power-Reserve bewegt sich beim Wraith zum ersten mal ernsthaft ins letzte Drittel, was für einen vehementen Abruf der Leistung spricht. Doch auch im dynamischsten und am direktesten abgestimmten Rolls-Royce aller Zeiten fühlt man sich noch immer der Welt entrückt: „Waftability“ nennen die Briten jenes Gefühl von der Mühelosigkeit der Bewegung, das auf einem fliegenden Teppich oder auf Wolke sieben nicht unbeschwerter sein könnte. Ein Bentley Continental ist dagegen fast schon vorlaut und ungestüm und ein BMW M6 ein protziger Prolet.

Kraftpaket: 632 PS - nie war der Zwölfzylinder der Briten stärker als im Wraith.

Dass der Wraith nicht nur dem Namen nach zum bösen Geist taugt, verdankt er vor allem dem Motor. Wie beim Ghost sitzt ein 6,6 Liter großer Zwölfzylinder unter der Haube. Doch wurde dessen Leistung von 570 auf 632 PS gesteigert. „Das macht den Wraith zum stärksten Modell in unserer 102 Jahre langen Firmengeschichte“, prahlt Rolls-Royce-Chef Torsten Müller-Ötvös und unterstreicht das mit weiteren Daten und Messwerten, die früher einfach nur mit „ausreichend“ umschrieben worden wären. Das maximale Drehmoment liegt bei 800 Nm, den Sprint auf Tempo 100 schafft der Wagen in 4,6 Sekunden und als Spitzentempo sind 250 km/h möglich. Gemessen an der bürgerlichen Konkurrenz sind diese Werte allenfalls Mittelmaß. Doch wenn man schon bei Standgas mehr Drehmoment hat als ein respektabler Sportwagen und der Gipfel des Plateaus bereits bei 1500 Touren erreicht wird, dann fühlen sich selbst 2,5 Tonnen plötzlich federleicht an und es ist tatsächlich gespenstisch, wie schnell und leichtfüßig dieser Geist über die linke Spur schwebt.

Wo der Superlativ die Norm ist und Geld keine Rolle spielt, können Designer und Techniker aus dem Vollen schöpfen. Obwohl nur für eine Nische in der Nische gebaut, gibt es bei Wraith und Ghost außer der Motorhaube kein einziges Karosserie-Gleichteil. So machen das flache Dach, das lange Heck und die – natürlich aufpreisflichtige – Zweifarb-Lackierung den Luxusliner weithin unverwechselbar. Nur eine neue Silhouette war den Designern natürlich zu wenig. Beim Zweitürer mit den gegen die Fahrtrichtung angeschlagenen Türen wurde zudem der Radstand um knapp 20 Zentimeter beschnitten und eine neue Frontpartie gestaltet. Der Kühlergrill ist nun flacher aber dafür breiter als sonst und sieht entsprechend schnittiger aus.

Lack und Leder statt Schweiß und Tränen: Auch als "Sportwagen" legt ein Rolls-Royce nie seinen Smoking ab.

Dazu setzen die Briten beim Wraith auch bei Ausstattung und Ambiente neue Maßstäbe. Die Achtgang-Automatik zum Beispiel ist satellitengesteuert und orientiert ihre Gangwechsel auch an der aktuellen Position sowie der geplanten Route. Vor Kurven wird deshalb mitunter automatisch herunter geschaltet, damit man nicht eine Millisekunde auf den richtigen Gang warten muss. Der iDrive-Controller hat jetzt ein Touchpad aus dem zart die Spirit of Ectasy flimmert und natürlich ist die modernste Infotainment-Technologie an Bord. Daneben pflegen die Briten alte Handwerkskunst und protzen mit Lack und Leder, dass es eine Freude ist. Sie täfeln die Türen mit Palisander-Holz, überziehen die vier Einzelsitze mit feinstem Leder und holen ihren Kunden auf Wunsch sogar die Sterne vom Himmel. Dann flimmern unter dem Dach mehr als tausend LED-Leuchtpunkte.

Während der Phantom außer jeder Konkurrenz fährt und allenfalls mit Luxusyachten oder Privathubschraubern um die Gunst der Kunden buhlt, und auch der Ghost ein ziemlich einzigartiges Modell ist, rückt der Wraith ein wenig näher an den Wettbewerb. Doch man muss beim Bentley Continental GT schon ordentlich Zusatzausstattung ordern, wenn man den Wagens aufs Niveau des Wraith bringen will. Der Continental kostet je nach Motor und Leistung zwischen 165.000 und 207.000 Euro, den Wraith gibt es erst ab 234.900 Euro – und zwar netto.

Die Kunden scheint das nicht zu stören. Im Gegenteil: Ein halbes Jahr nach der Weltpremiere auf dem Genfer Salon hat der Wraith einen fast schon gespenstischen Erfolg und ist auf Monate hinaus ausverkauft. Wer heute bestellt, muss deshalb bis zum nächsten Sommer aufs Auto warten.

Original: Blog | MOTOSOUND

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