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Vom 560SEL in den April geschickt

Published in fünfkommasechs.de
Soviel vorweg: der Nautikblaue hat seine Jungfernfahrt gestern tadellos absolviert. Für ihn und mich ist es nun schon das zweite Mal, daß wir diese selbstauferlegte Winterpause durchgehalten haben. Dabei geht es weniger um die Schonung eines heranreifenden Klassikers, denn Kritiker meinen ohnehin, daß eine fünfmonatige Standzeit dem Wagen mehr schadet als nützt. Es geht auch nicht um die Ersparnis bei Steuer und Versicherung, denn die ist schon nach zweimal Tanken aufgebraucht. Es ist vielmehr...

Soviel vorweg: der Nautikblaue hat seine Jungfernfahrt gestern tadellos absolviert. Für ihn und mich ist es nun schon das zweite Mal, daß wir diese selbstauferlegte Winterpause durchgehalten haben.

Grosses Gaehnen nach 5 Monaten Schlaf

Dabei geht es weniger um die Schonung eines heranreifenden Klassikers, denn Kritiker meinen ohnehin, daß eine fünfmonatige Standzeit dem Wagen mehr schadet als nützt. Es geht auch nicht um die Ersparnis bei Steuer und Versicherung, denn die ist schon nach zweimal Tanken aufgebraucht. Es ist vielmehr ein psychologisches Moment, das bei mir inzwischen schon wie eine religiöse Fastenzeit wirkt. Durch den bewußten Verzicht über einen langen und ohnehin eher tristen Zeitraum hinweg steigert sich die kindliche Vorfreude zum April hin stets ins Unermeßliche.

 

Aufregung vor dem Start

Manch ein Leser wird darüber lachen, andere werden sich selbst in dem peinlichen Eingeständnis wiederfinden, daß man in den letzten beiden Wochen der rund hundertfünfzigtägigen Zwangspause sogar vermehrt von diesem verdammten Auto träumt. Mal ist es so etwas kitschig Schönes wie die erste Ausfahrt bei strahlendem Sonnenschein und Streichkonzert, mal sind es Alpträume vom gellenden Schrei ins Echo einer leer vorgefundenen Garage oder dem knirschenden Metall-auf-Metall eines achtfachen Kolbenfressers beim ersten Anlassen.

Man ist also beim Gang zur Winterhöhle des Blaubären auf vieles vorbereitet, jedoch kaum darauf, daß der 560SEL über die Zeit hinweg einen Sinn für Humor entwickelt haben und einen in den April schicken könnte. Der Reihe nach…

Die Garage liegt 20 Minuten Fahrt entfernt in einer bürgerlichen Wohngegend. Die pensionierte Vermieterin ist in der CDU aktiv, die Nachbarn bei der Stasi… naja… nicht wirklich, aber der Pudel im Grundstück nebenan ist besser als jeder Bewegungsmelder!

Es ist Dienstag, der 1. April 2008. Ich habe unerwartet frei, meine Freundin nicht. Meine Mutter übernimmt daher freundlicherweise den Shuttle-Service und setzt mich mit dem Opel Zafira an der Garage des S-Klasse-Mercedes ab. Ich habe einen riesigen Werkzeugkoffer dabei, aber die Arbeitshandschuhe daheim vergessen. Und das obwohl oder gerade weil ich die Nacht zuvor buchstäblich nicht schlafen konnte vor lauter Aufregung.

Egal, dann müßte ich mir eben etwas einfallen lassen beim Wiederanschließen der Batterie. Mit einer alten Jute-Tasche als Handschuh für den Schraubenschlüssel in der linken und einer isolierten Rohrzange in der rechten Hand schraube ich in aller Vorsicht die Kontakte wieder an. Die korrekte Reihenfolge ist mir entfallen, und jemanden anrufen will ich aus Scham nicht. Ich schließe also todesmutig erst Minus, dann Plus an. Keine Säurefontäne, keine Explosion! Wird wohl gestimmt haben. Irgendwo im Motorraum ein kurzes Summen. Der komplexe Organismus des 560SEL beginnt langsam wieder zu pulsieren. Ich habe Herzklopfen und überlegte fieberhaft, was ich nun als nächstes machen müßte.

Zündung stillegen! Der komplexeste Handgriff, den ich in Sachen KFZ-Technik beherrsche ist es, die Haube vom Zündverteiler abzunehmen und den Stecker in der Mitte der kreisförmig angeordneten acht Zündkabel abzuziehen. Stolz über mein technisches Geschick umwickele ich den nun freien BOSCH-Stecker mit dem REWE-Jutesack, damit er keine Kurzschlüsse oder Funkenflug im Motorraum wirde auslösen können.

 

Schock beim Startversuch

Nun ist es so weit für den ersten Start ohne Zündung, der zunächst nur der Drehung und Schmierung des Motors dienen soll. Meine Aufregung findet ihren vorläufigen Höhepunkt, als ich mich nervös an der Garagenwand entlang zur Fahrertür zwänge. Es ist seltsam still. Selbst der Pudel des Nachbarn hält offenbar den Atem an.

Ich ziehe am Türgriff. In dieser Sekunde setzt mein Herz für einen Moment das Schlagen aus!

Die Sonderausstattung Nummer 551 hatte ihre Funktionstüchtigkeit unter Beweis gestellt. Die Garage, die Garageneinfahrt, das Wohngebiet und wohl auch der ganze Ort sind erfüllt vom Hup-Stakkato der offenbar hellwachen Einbruch- und Diebstahl-Warnanlage. Jeder Impuls der nagelneuen Doppeltonfanfaren meines Mercedes wird durch die nackten Betonwände der Garage vielfach reflektiert und schmerzt unerträglich in den Ohren. Geistesgegenwärtig stecke ich den Schlüssel in das Türschloß und drehe einmal um. Stille! Der Schmerz läßt nach, aber ein Tinnitus im rechten Ohr bleibt noch einige Minuten. Ich zittere am ganzen Leib, bin aber froh, daß mir sonst kein Malheur passiert war.

Ich gehe vor die Garage, den Zündschlüssel sichtbar in der zittrigen Hand tragend, und gebe so den sich bewegenden Vorhängen ringsum zur Kenntnis, daß ich sehr wohl der rechtmäßige Eigentümer des Fahrzeugs bin. Der Pudel ist immer noch nicht zu hören, was mich ein wenig beunruhigt.

Dieser Aprilscherz des Nautikblauen sitzt mir noch lange in den Knochen, als ich schließlich hinterm Steuer Platz nehme und den Schlüssel ins Zündschloß stecke. Ein kurzer Moment der Andacht, eine Vierteldrehung des Schlüssels und nach fast einem halben Jahr erstrahlt zum ersten Mal wieder das Instrumentenbrett in den warmen Farben seiner vielen Warn-, Kontroll-, und Funktionslampen. Irgendwo aus dem Motorraum kommen augenblicklich Geräusche von klickenden Relais, sich öffnenden Ventilen und anlaufenden Pumpen. Das SRS-Licht erlischt. Ich warte noch kurz, dann drehe ich den Zündschlüssel ganz herum. Der Anlasser jodelt kraftvoll und ohne hörbaren Widerstand für einige Sekunden. Das muß genügen. Der Theorie nach sollte sich das über den Winter abgesetzte Motoröl nun wieder etwas günstiger im Motor verteilt und schützend um Kolben und Ventile gelegt haben. Ich steige aus, gehe nach vorne, klemme den Hauptstecker der Zündung wieder an, stecke den Zündverteilerdeckel auf, werfe einen letzten prüfenden Blick zur Batterie (ob ich dort nicht noch irgendwelche Werkzeuge vergessen habe) und schließe dann die mächtige Motorhaube.

 

Endlich startklar!

Wieder auf dem Fahrersitz überlege ich irrwitzigerweise noch kurz, ob ich den ersten Motorstart lieber bei geöffnetem oder geschlossenen Fenster erleben will. Der religiöse Charakter des Rituals drängt sich damit wieder in den Vordergrund. Das Fenster bleibt zu, und der Motor nach anfänglichem leichten Schütteln völlig ruhig, als nach 152 Tagen Standzeit und 165 Tage nach der Zylinderkopfrevision der voluminöse Achtzylinder sanft und kaum hörbar in der Garage vor sich hin rauscht. Als hätte ich das Auto erst gestern dort abgestellt!

Bevor ich meiner zweiten großen Sorge neben der Unversehrtheit des Motors, nämlich die nach der Funktionstüchtigkeit des Hydropneumatischen Fahrwerks wieder nachgehen kann, ist diese auch schon zerstreut: das rote Warnlicht der Federung und Niveauregulierung war bereits Sekunden nach dem Anlassen erloschen. Das Hydrauliköl, das wenige Tage nach der Einmottung des Wagens bereits größtenteils zurück in den Hauptspeicher gewandert war und den Wagen so weit absacken ließ, daß dessen Räder nahezu mit den Radkästen in Berührung kamen, wird nun spürbar schnell wieder zurück in die Druckspeicher der Federbeine gepumpt. Langsam richtet sich die 1,8 Tonnen schwere Langlimousine wieder auf und es ist ausreichend Spiel über den Rädern und unter dem Boden, um den Mercedes langsam aus der Garage zu fahren. Als ich draußen aussteige, ist bereits fast wieder ein normales Fahrzeugniveau erreicht, und zwar ganz ohne die meist nötige Drehzahlerhöhung auf bis zu 3000 U/min, die ich dem Dicken so kurz nach dem Aufwachen noch nicht zumuten will.

Während der Wagen läuft und es herrlich nach Abgas riecht, packe ich noch schnell meinen Plunder zusammen, schließe die Garage, öffne das Tor der Einfahrt und manövriere den nun wieder ungewohnt großen Wagen in Zeitlupe raus auf die Straße. Den Winter über fahre ich Smart Roadster - der Umstieg auf den SEL ist daher stets eine Herausforderung.

Fast im Schrittempo geht es durch das Wohngebiet. Das erste Etappenziel heißt Tankstelle, wo der Überdruck aus den Reifen abzulassen ist. Etwa 3,7 bar waren es im Oktober, jetzt sind noch 3,4 bar drauf. Der moderne Luftpumpenautomat bei ESSO führt den Druck punktgenau auf 2,2 bar zurück, die ich persönlich für optimal halte. Das alles geschieht bei laufendem Motor, sehr zur Unterhaltung der neben mir wartenden Gesundheitsapostel, die angesichts des strahlenden Wetters dort ihre Trekkingräder aufpumpen wollen. Es riecht herrlich nach Abgasen!

Fertig für die Weiterfahrt! Ich steige ein und sehe beim Hinfortgleiten im Rückspiegel, wie eine der ausgemergelten Gestalten mir kopfschüttelnd hinterherblickt. Er sollte mir dankbar sein für das schöne, warme Wetter an diesem ersten April, in das ich jedes Jahr mehrere tausend Euro investiere!

Ich öffne das Schiebedach und schalte das Gebläse ein. Feuchte Luft weht mir entgegen. Ich treibe zunächst die Heizung hoch und öffne von der Mittelkonsole aus alle Fenster, um die Luftfeuchtigkeit zu vertreiben. Während dieser ersten Fahrt richtung Ortsausgang glaubt man, alle Welt würde einen beobachten. Tatsächlich ist die nautikblaue Alt-S-Klasse eine Erscheinung, die auf den Straßen immer seltener wird. Einige der bewundernden Blicke mögen daher keine narzistische Phantasie sein. Ein Mittfünfziger im C124 Cabrio kreuzt meinen Weg. Er hat ebenfalls ein Saisonkennzeichen “April/Oktober”, sieht mich aber wohl vor lauter Konzentration auf sein frisch entmottetes Auto nicht. Schade!

Nach einigen Minuten Fahrt erteile ich der Klimatisierungsautomatik die Aufgabe, den Innenraum unter Vollast auf unter 18°C zu kühlen. Es ist ungewiß, ob sie das schafft. Der Klimakompressor war zuletzt ein wenig inkontinent und ich kann schwer abschätzen, ob noch genügend Kühlmittel im Kreislauf ist. Aber es klappt! Nach wenigen Augenblicken kommt eiskalte, trockene Luft aus den Lüftungsöffnungen. Ich lasse das System noch einige Zeit laufen, um auch diesen Flüssigkeitskreislauf des Wagens wieder in Schwung zu bringen.

Nach etwa 20 Kilometern Fahrt bei maximal 100 Stundenkilometern und ohne jegliche Zwischenfälle bin ich guten Mutes, daß der Wagen insgesamt seine Winterpause hervorragend überstanden hat. Es wird nun Zeit für die Autobahn.

 

Der schönste Teil der ersten Ausfahrt 

Von Hanau aus geht es auf die A45 richtung Aschaffenburg, noch immer mit 100 km/h im zweiten Gang bei höchstens 2000 U/min. Hier wird der Unterschied zu meiner “winterlichen Gehhilfe” am deutlichsten. Der Smart Roadster ist zwar ein echter, kleiner Mittelmotor-Sportwagen mit Turbolader, der von Brabus auf 101 PS gezüchtet wurde, aber das ausgeprägte Turboloch unterhalb von 3000 U/min bei gleichzeitigem Verzicht auf ein normales Schaltgetriebe erfordert eine gewisse Fahrkunst, wenn man mit dem kleinen Dreizylinder halbwegs aus den Hufen kommen will.

Beim 5,6-Liter Motor des Mercedes indes, bei dem ein einziger Zylinder soviel Hubvolumen wie der ganze “Suprex-”Motor des Smart hat, liegen bei jeder noch so geringen Drehzahl gleich mehrere hundert Newtonmeter Drehmoment auf der Kurbelwelle an. Bei 100 km/h ist somit kein Kickdown nötig, um beim weiteren Beschleunigen noch fest in die Sitze gedrückt zu werden. Ich gehe nicht nur aus Vorsicht recht sparsam mit dieser Gewalt um, sondern auch aus Rücksicht auf den gerade erst wieder erweckten Motor und das Getriebe.

Es ist wenig los auf der Autobahn. Langsam steigt die Tachonadel über 120 km/h. Ein leichtes Kribbeln im Bauch macht sich bemerkbar, was weniger mit Frühlingsgefühlen als vielmehr mit der Niveauabsenkung des Mercedes zu tun hat. Das Fahrwerk hat sich ordnungsgemäß auf die Fahrt bei höherer Geschwindigkeit vorbereitet. Der Mercedes duckt sich vollautomatisch, sobald 120km/h überschritten sind.

Alles ist optimal: Öldruck, Kühlwassertemperatur, die Geräusche von Motor, Getriebe und Reifen. Die Straße ist trocken, die Sonne scheint, die Sicht ist hervorragend bei 16,5 °C Außentemperatur. Ich überhole einen Lastzug. Auf dem Tacho werden knapp 140 km/h angezeigt. Schon 10 km/h mehr als der Klimaschutz erlaubt. Im Rückspiegel nähert sich recht flott ein Audi A6, offenbar mit Wackelkontakt im Aufblendlicht. Es ist klar, was nun kommen muß.

Die Anfahr-Momentabstützung des 560ers stemmt sich tapfer gegen die auf sie einwirkenden Kräfte und hält die Limousine konstant waagerecht, während der lichthupende Audi allmählich kleiner wird im Rückspiegel, und sein Aufblendlicht hinter dem elektrischen Heckrollo verschwindet. Der Fahrtwind rauscht um die Chromleisten der Fahrgastraums, von vorne kommt so etwas wie die Ahnung eines V8-Brodelns, das aber so dezent ist, daß es auch Einbildung sein könnte. Das große Wandlergetriebe hat endlich in den vierten Gang geschaltet, das Hydropneumatische Fahrwerk hat sich ausgehärtet und hält die große Limousine sicher auf der Fahrbahn, die Tachonadel steht nun regungslos knapp unter der 240er-Marke - alles ist friedlich, so wie es sein sollte. Nur der Reiserechner gibt einen momentan leicht erhöhten Verbrauch von rund 37 Litern/100km zu bedenken. Ich fühle mich ertappt und nehme langsam den Druck vom Gaspedal, das nicht einmal voll durchgetreten war. Die knapp 19 Jahre alte Luxuslimousine rollt aus und gleitet auf die nächste Ausfahrt bei Karlstein in Unterfranken zu. Der junge A6 kommt zu seinem verdienten Überholmanöver.

Bevor es dieselbe Autobahnstrecke zurück geht, halte ich am Wegesrand und schaue nach, ob im Motorraum alles dicht und trocken geblieben ist und überprüfe bei dieser Gelegenheit noch die Funktion der Beleuchtung. Ohne Beanstandung geht es zurück nach Hanau, wo ich den Wagen gemächlich parke und nach gut einer Stunde Fahrzeit den Motor abstelle, um den Wagen noch etwas zu reinigen.

Ein perfekter Saisonstart, auch wenn der Wagen selbst noch nicht ganz perfekt ist. Ende des Monats werden planmäßig die vorderen Federbeine erneuert, die zuletzt Hydrauliköl zu schwitzen angefangen haben. Außerdem muß nochmal am Klimakompressor Hand angelegt werden und geklärt werden, warum der Wagen neuerdings beim Start kurz unruhig wird. Bei dieser Gelegenheit gibt’s gleich auch TÜV/AU und dann kann die Saison erst so richtig losgehen!


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