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Graue Herren fahren 126er

Published in fünfkommasechs.de
Wenn ich erklären müßte, woher meine Begeisterung ausgerechnet für die 126er-S-Klasse rührte, könnte ich ”kindliche Prägung” als mildernden Umstand anführen. Als wahrscheinlich erste bewußte Wahrnehmung darf der Film “Momo” gelten. Hier fahren die Bösewichte, die sogenannten “grauen Herren”, S-Klassen der Baureihen 116 und eben 126.  Vielen Dank an Mario aus dem gelben Forum, der diese Screenshots der Kauf-DVD angefertigt hat: Überhaupt sind es fast immer...

Wenn ich erklären müßte, woher meine Begeisterung ausgerechnet für die 126er-S-Klasse rührte, könnte ich ”kindliche Prägung” als mildernden Umstand anführen. Als wahrscheinlich erste bewußte Wahrnehmung darf der Film “Momo” gelten. Hier fahren die Bösewichte, die sogenannten “grauen Herren”, S-Klassen der Baureihen 116 und eben 126.  Vielen Dank an Mario aus dem gelben Forum, der diese Screenshots der Kauf-DVD angefertigt hat:

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Überhaupt sind es fast immer die Bösewichte! Allen voran Helmut Kohl*, der in der heutigen Zeit scheinbar nur noch als ein Ganove oder schlimmeres wahrgenommen wird.

Dessen Dienstwagen jedenfalls, vor dem die kleine Momo so viel Angst haben sollte, tauchte unentwegt in Nachrichtenbeiträgen aus der Bundeshauptstadt Bonn und anderen Zentren der Macht auf. Dies war meine zweite kindliche Prägung auf den 126er, und sicher die eindrücklichste.

Fortan war dieses schnörkellose und seinerzeit noch immer futuristisch anmutende Luxus-Automobil für mich etwa zehnjährigen Buben keineswegs ein Menetekel kapitalistischer Diktatur. Es war vielmehr das stilistisch angemessene Fortbewegungsmittel großer Persönlichkeiten, die sich meist im Widerspruch zum Zeitgeist befanden. Diese Leute, allen voran die Bundeskanzler Helmut Schmidt und Helmut Kohl galten - wie der 126er selbst - als konservativ. Rückblickend aber waren es deren schärfste Gegner, die sich geistig nicht vorwärts bewegten, was sicher als die gefährlichste Form des Konservatismus gelten darf.

Wirkungsvoller als jede Friedensbewegung der frühen 80er-Jahre war das, wofür Helmut Schmidt stand und doch an seiner eigenen (konservativen) Partei scheiterte. Sein Nachfolger Kohl wurde als gefährlicher Utopist bezeichnet, als er für die Deutsche und Europäische Einheit eintrat. Gerhard Schröder sprach noch am 12. Juni 1989 davon, daß man “nach vierzig Jahren Bundesrepublik eine neue Generation in Deutschland nicht über die Chancen der Wiedervereinigung belügen sollte. Es gibt sie nicht.”.
Sein späterer Außenminister Fischer forderte am 27. Juli 1989, also nur wenige Wochen bevor Ungarn die Grenze für die Deutschen aus der DDR öffneten: “Die Forderung nach der Wiedervereinigung halte ich für eine gefährliche Illusion. Wir sollten das Wiedervereinigungsangebot aus der Präambel des Grundgesetzes streichen.” Und im Herbst 1989 sagte er in einem Zwischenruf: “Vergessen wir die Wiedervereinigung, halten wir die nächsten 20 Jahre die Schnauze darüber.”
Kein Wunder, daß mir graue Herren lieber sind als rote oder grüne. Jene mit den vier Eheringen, die nach Kohl die vier Kühlerringe zu Insignien der Macht hochstilisierten, brachten auch automobilistisch das Mittelmaß mit sich nach oben.

Die Zeit des Mercedes W126 ist vorbei. Aber seine Ausstrahlung von Macht ohne Dekadenz und von Sachlichkeit ohne Konservatismus hat er nicht verloren.

* Gestern auf Phoenix durfte man Kohl anläßlich einer Buchvorstellung seit langem wieder live im Fernsehen erleben. Mit dem zeitlichen Abstand zu seiner und Schröders Kanzlerschaften zeigte sich dabei deutlich, wer von beiden der Gasmann und wer der Staatsmann ist. Der Unterschied Audi zu S-Klasse eben!

Bevor die Psychoanalyse zu meinen Ungunsten vollführt wird: der Besitz und Gebrauch einer 126er-S-Klasse hat nicht automatisch eine persönlichkeitserweiternde Wirkung. Bis auf wenige wohl inzwischen pensionierte Erstbesitzer, die an ihrem ehemaligen Dienstwagen noch immer festhalten und schon allein dafür große Bewunderung verdienen, hat wohl kaum ein Schiffseigner heute noch das Format, das diesem Statussymbol angemessen wäre. Ich schon gar nicht. Als Zweitbesitzer hat man mit dem großen Auto eine große Aufgabe übernommen: ein Stück Kulturgut zu pflegen, dem man es aufgrund seiner oben beschriebenen Historie und Bedeutung aber - den Grauen Herren sei Dank - leicht verzeiht, daß es fortwährend große Banknoten frißt.


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